Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KULTUR/1063: "Die Erdzerstörer" - Gründe und Abgründe ... (SB)



Der Dokumentarfilm "Die Erdzerstörer", der am 9. Juni um 23.20 Uhr auf Arte gezeigt wird, richtet die Aufmerksamkeit so wirksam auf den Zusammenhang von Technologieentwicklung, Militarismus und Naturzerstörung, daß sich dem Publikum unwillkürlich die Frage aufdrängt, wieso diese Verbindung im Kampf zahlreicher Bewegungen für Klima- und Umweltschutz eine so geringe Rolle spielt. Wieso finden die sozialökologischen Folgen militärischer Aufrüstung und kriegerischer Staatenkonkurrenz in den internationalen Verhandlungen zum Klimaschutz fast keine Beachtung? [1] Wieso wird die Eigendynamik der kapitalistischen Innovationslogik nicht auch am Beispiel als grün beworbener Technologien kritisiert, wenn der fossile Input in ihre Produktion und ihren Betrieb Zweifel an der beanspruchten Nachhaltigkeit weckt?

Wie "Die Erdzerstörer" anhand der historischen Entwicklung industrieller Massenproduktion, militärischer Forschung und kapitalistischen Massenkonsums nachweist, liegen dem Problem der Naturzerstörung stets gesellschaftliche Produktionsweisen zugrunde, für deren Dominanz der politische Wille zur Förderung privatwirtschaftlicher Kapitalakkumulation und nationaler Wirtschaftsleistung maßgeblich ist. Über Alternativen weniger zerstörerischer Art wurde nicht nachgedacht, wenn das Versprechen auf nationalökonomischen Zugewinn mit der Sicherung der Herrschaft der EigentümerInnenklasse konform ging. Was im Bestreben, sich im Krieg siegreich zu behaupten, an neuen Technologien in die Welt gesetzt wurde, befeuerte die industrielle Entwicklung auf zivilem Gebiet maßgeblich. Die kriegsökonomisch bedingte Förderung industrieller Arbeit brachte darüberhinaus Formen gesellschaftlicher Rationalisierung hervor, die die Ausbeutung von Lohnarbeit intensivierte und die Lohnabhängigen noch enger in den Griff jenes Mangels nahmen, der ihre Existenz permanent bedrohte und sie dazu zwang, sich zu immer schlechteren Bedingungen zu verdingen.

Was heute an weit ausgreifender Mobilität dazu geführt hat, daß der Planet in zeitlicher Dimension auf die Erreichbarkeit fast jedes Ortes innerhalb eines Tages geschrumpft ist, hat an der Immobilität eines Großteils der Menschen nichts geändert. Dafür haben sich ihre Lebensbedingungen durch die verkehrsgerechte Gestaltung der gebauten Umwelt, die Segmentierung der Landschaft durch die Asphaltbänder der Straßen und weiträumigen Abschottungen der Flughäfen, den streßerzeugenden Lärm der Automobile und die Kontamination der Atemluft erheblich verschlechtert. Mit der hochgradigen Mobilität der Streitkräfte auf dem Land, zu Wasser, in der Luft und im erdnahen Weltraum kann das zivile Verkehrswesen zwar nicht mithalten, beide Infrastrukturen sind jedoch eng verzahnt, und die Notwendigkeit, über hochverdichteten Treibstoff in Form von fossiler Energie zu verfügen, ist immer wieder in kriegerische Eskalationen gemündet.

Wie bei der Erforschung der Atomenergie ist die Entwicklung informationstechnischer Systeme maßgeblich auf Investitionen in Rüstungsprojekte zurückzuführen. Daraus hat sich eine energie- und rohstoffintensive Megainfrastruktur herausgebildet, die die Frage aufwirft, ob das Streamen audiovisueller Inhalte, auf das das Gros des weiterhin stark anwachsenden Energieverbrauches für IT-Leistungen entfällt, nur deshalb so unverzichtbar ist, weil die Entfremdung der Lohnarbeit die Betäubung durch Unterhaltungskonsum zwingend nach sich zieht [2]. Wofür wird die Energie überhaupt verwendet, deren Produktion zwar als erneuerbar und damit nachhaltig gilt, jedoch die durch fossile Energieproduktion und Bergbau für mineralische Rohstoffe erzeugten Probleme lediglich modifiziert? Alte in neue Abhängigkeiten stofflicher Art zu verwandeln wirft nicht nur ökologische Fragen auf, sondern kann immense soziale Konsequenzen haben, da grüne Industrieprojekte erheblichen Flächenbedarf haben können und keineswegs frei sein müssen von neokolonialistischem Extraktivismus.

Die Zerstörung der Erde ist durch individuellen Konsumverzicht nicht aufzuhalten, wenn nicht zugleich die Voraussetzungen des warenproduzierenden Kapitalismus in Frage gestellt werden. Die strukturelle Abhängigkeit der KonsumentInnen von den industriellen und politischen Vorgaben, an denen ihre Lebensführung ausgerichtet ist, wird allzu häufig vergessen, wenn Verbrauchsumstellung und Konsumverzicht zur Lösung ökologischer Probleme propagiert werden. Solange die Entscheidung, Milliarden in die militärische Rüstung zu stecken, aber nur wenige Millionen für die Bekämpfung des Hungers in notleidenden Regionen entbehren zu können, die Haushaltslogik der meisten Regierungen prägt, ist die Kritik individuellen Verbrauchs ein schwacher Ersatz für politische Interventionen, die nicht an nationalen Grenzen enden, sondern allen Menschen gleichermaßen zugute kommen sollen.

Wo sich technisch-wissenschaftlich-industrielle Komplexe in Kooperation von Staat und Kapital herausbilden, denen die jeweiligen Bevölkerungen als "Humankapital" für Lohnarbeit und deren meist von Frauen kostenlos ermöglichte Reproduktion dienen, steht den KonsumentInnen die Emanzipation davon, lediglich als Rädchen im Getriebe kapitalistischer Wertschöpfung zu fungieren, noch bevor. Die Eigendynamik der Herausbildung dieser Komplexe zu analysieren und die Definitionsmacht zu kritisieren, mit der ihre vermeintliche "Systemrelevanz" in die Waagschale politischer Entscheidungen geworfen wird, an die sich pfadabhängige Technologieentwicklungen von langfristiger Konsequenz koppeln, erfordert viel Arbeit und Mut. Wenn es um die Zukunft von Mensch und Natur geht, sollte das kein Hinderungsgrund sein, auch dies könnte am Schluß der sehr sehenswerten Dokumentation "Die Erdzerstörer" [3] stehen.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1739.html

[2] https://www.heise.de/tp/features/Stromfresser-Internet-4776573.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/medien/redakt/mrrz0040.html

8. Juni 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang