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KRIEG/1306: Bundesregierung durch neue NATO-Strategie in Erklärungsnot (SB)



Indem der NATO-Oberbefehlshaber in Afghanistan, US-General Bantz John Craddock, alle Drogenhändler unabhängig von möglichen Verbindungen zu den Taliban oder Al Qaida zu einem legitimen Angriffsziel der ISAF-Truppen erklärt hat, ist er deutschen Politikern auf höchst unangenehme Weise in die Parade gefahren. Deren Versuch, die Besatzungspolitik in Afghanistan als humanitären Einsatz darzustellen, bei dem nur im äußersten Notfall geschossen wird, erweist sich anhand der nun ausgebrochenen Diskussion um das Einsatzspektrum der NATO-Truppen schon im Ansatz als irreführend. So berichtet der Spiegel (29.01.2009) über die NATO-Politik des gezielten "Ausschaltens" von führenden Mitgliedern der Taliban, die sich kaum mit einem angeblich defensiven Einsatz der Bundeswehr vereinbaren läßt.

Für die Bundesregierung wächst mit der Ankündigung des US-Präsidenten Barack Obama, den Krieg in Afghanistan zu intensivieren, und den aus Washington zu vernehmenden Plänen, die Zahl der US-Truppen im Land vielleicht sogar auf rund 60.000 Soldaten zu verdoppeln, der Druck, sich eindeutig zu einer offensiven Durchsetzung der Kriegsziele zu bekennen. Die von US-Verteidigungsminister Robert Gates und General Craddock seit jeher kritisierte Haltung der Bundesregierung, die Bundeswehr nicht für Kampfeinsätze zur Verfügung zu stellen, entwickelt sich durch die nun angeordnete Steigerung der Aggressivität der Kriegführung zu einer Herausforderung, der man in Berlin um so entschiedener entgegenzutreten hätte, um den bislang gewahrten Vorbehalt gegen Kampfeinsätze aufrechterhalten zu können.

Damit manövriert sich die Bundesregierung jedoch in eine ungünstige Position gegenüber der neuen US-Administration, mit der sie erklärtermaßen gut zusammenarbeiten will. Der Preis dafür bestände in der Aufgabe der immer schlechter zu vertretenden Behauptung, daß die Bundeswehr in Afghanistan nicht als Besatzungsarmee fungiert. Wenn die US-Regierung die Anstrengungen intensiviert, die die NATO bekämpfenden Einheimischen zu besiegen, werden deren gegen die Bundeswehr gerichtete Aktivitäten voraussichtlich zunehmen. Die Lebenslüge der Bundesregierung wird von den Taliban und anderen bewaffneten Kräften, für die die Anwesenheit ausländischer Truppen niemals etwas anderes als eine gewaltsame Okkupation dargestellt hat, um so gezielter in Frage gestellt werden, als sich abzeichnet, daß die Unterstützung dieser Politik in der Bundesrepublik abnimmt.

Mit der Ausweitung der Kriegführung der NATO auf zivile Elemente, die eine wichtige Rolle in der kargen Binnenökonomie des Landes spielen, dokumentiert das westliche Militärbündnis, wie gleichgültig ihr das Schicksal der Afghanen ist. Ginge es tatsächlich darum, den Drogenhandel zu unterbinden und die daraus den Taliban zugute kommenden Mittel zu schmälern, dann hätte man auch auf die Idee des für Afghanistan zuständigen deutschen NATO-Befehlshabers, General Egon Ramms, eingehen können. Der hatte vorgeschlagen, die gesamte Opiumernte in Afghanistan aufzukaufen, um sie für medizinische Zwecke zu nutzen oder zu vernichten. Sein Argument, auf diese Weise könne man die Einkünfte der afghanischen Bauern sichern und gleichzeitig den Opiumhandel austrocknen, wurde jedoch rundheraus verworfen. Indem man das Problem statt dessen mit Waffengewalt lösen will, bekundet die NATO ihre Bereitschaft, in Afghanistan einen Krieg wie einst in Vietnam zu führen, in dem ganze Gebiete zu freien Feuerzonen erklärt und ganze Gruppen der Bevölkerung unterschiedslos attackiert wurden.

Craddock folgt mit seiner Anweisung lediglich der üblichen Logik der Aufstandsbekämpfung westlicher Invasoren, die Zivilbevölkerung nicht zu schonen, sondern als Ressource der feindlichen Guerilla so sehr in Mitleidenschaft zu ziehen, daß sie dem Widerstand die Unterstützung entzieht. Wer die Kriegführung der USA im Irak oder Israels in Gaza analysiert, stellt schnell fest, daß es sich bei den Erklärungen, den Tod von Zivilisten nach Kräften zu vermeiden, um Schutzbehauptungen handelt, die unvorteilhafte juristische und politische Folgen verhindern sollen. Indem Craddock den Bundesbürgern einen ungeschönten Einblick in die Kriegführung der NATO gewährt, arbeitet allen Bundesbürgern zu, die den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch lieber gestern als heute beendet hätten, zu.

30. Januar 2009