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KRIEG/1313: Verhaltensgestört, weil nicht grausam genug (SB)



Im Rahmen der Debatte um die Behandlung von Postraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) unter Bundeswehrsoldaten lenkt der Deutschlandfunk den Blick nach Dänemark. Dort soll die Betreuung im Krieg traumatisierter Soldaten und ihre Rückführung ins zivile Leben auf geradezu vorbildliche Weise praktiziert werden. Der Krisenpsychologe an der dänischen Militärakademie, Robert Jonasen, spricht in diesem Zusammenhang von einer Persönlichkeitsveränderung, die er allerdings nicht direkt auf die Kriegserlebnisse zurückführt. Laut Jonasen "fänden biochemische Prozesse und hormonelle Veränderungen statt", die wiederum "zu Veränderungen im Sozialverhalten" (Deutschlandfunk, 13.02.2009) führten, so die angebliche Genese der Störung, unter der die Soldaten litten.

Warum erklären dieser wie andere mit posttraumatischem Streß befaßte Psychologen die Auswirkungen des Krieges auf das Befinden der Soldaten mit physiologischen Veränderungen, anstatt die bloße Einwirkung schrecklicher Erlebnisse als hinreichenden Grund zur Genese der umfassenden PTBS-Symptomatik zu betrachten? Warum muß eine somatische Veränderung und eine daraus resultierende Deformation der Persönlichkeit unterstellt werden, wenn doch auf der Hand liegt, daß kriegerische Ereignisse tiefgreifende seelische Auswirkungen vor allem auf die zivilen Opfer, aber auch die ausführenden Militärs haben können.

Was sich aus dem professionellen und institutionellen Umgang mit den Erfahrungen von Soldaten ergibt, muß auf eine wissenschaftlich evaluierbare Grundlage gestellt werden, um überhaupt als behandelbare Erkrankung qualifiziert werden zu können. Die Pathologisierung des Geschehens erfolgt jedoch nicht nur aus berufständischen Interessen der damit befaßten Experten, aus sozialhygienischen Gründen oder einer möglichen Weiterverwendung der Betroffenen beim Militär. Sie soll die normale Reaktion von Menschen, die mit außerordentlicher Grausamkeit konfrontiert werden und die nicht in der Lage sind, dies mit zivilgesellschaftlichen Normen und Werten in Übereinstimmung zu bringen, als Ausnahme von der Regel und Überforderung besonders empfindsamer Personen ausgrenzen.

Wenn Soldaten aus menschlichen Gründen nicht in der Lage wären, mit kalter Emotionslosigkeit oder auch regelrechtem Vergnügen schlimmstes Blutvergießen anzurichten, dann wäre die Handlungsfähigkeit jeder militärischen Organisation ernsthaft in Frage gestellt. Wo den Menschen die Konditionierung auf das Begehen blutiger Grausamkeiten nicht mehr, wie unter archaischen Überlebensbedingungen, wie selbstverständlich mit auf den Weg gegeben wird, sondern sie mit dem Anspruch auf eine zivile, an das staatliche Gewaltmonopol delegierte Regulation aller Konflikte aufwachsen, befinden sie sich als Soldaten in einem kaum lösbaren Widerspruch.

Dieser ist bei der Abwehr äußerer Aggressionen eher zu überwinden als bei Auslandseinsätzen, zu deren Begründung man sich abstrakter Konstrukte bedienen muß. Wer die eigene Familie gegen eine direkte Aggression verteidigt, wird dies nicht gerne, aber notwendigerweise mit aller dazu erforderlichen Gewalt tun. Wer erst mit einem fragwürdigen Feindbild indoktriniert werden muß, um die Anwendung tödlicher Gewalt vor dem eigenen Gewissen rechtfertigen zu können, kann schnell vor dem Dilemma stehen, Herz und Kopf nicht mehr in Übereinstimmung bringen zu können. Von daher fällt es den Urhebern solcher Kriege leichter, die dadurch ausgelösten seelischen Konflikte unter ein nicht minder abstraktes neuropathologisches Geschehen zu subsumieren, anstatt mit den betroffenen Soldaten in eine Diskussion über das Für und Wider des Kampfeinsatzes einzutreten, aus dem sie mit seelischen Blessuren heimgekehrt sind.

Nicht der Staat, der seine Streitkräfte in Angriffskriege schickt, nicht der Soldat, der Menschen tötet, die unter anderen Umständen seine Freunde sein könnten, sind für das Geschehene verantwortlich zu machen. Nein, es sind "biochemische Prozesse und hormonelle Veränderungen", die wiederum "Veränderungen im Sozialverhalten" bewirken. Der menschliche Faktor wird ausgeklammert, an seine Stelle tritt das anonyme Wirken eines physiologischen Regulativs. Das am anderen Ende dieser Kausalkette Leichen liegen, ja daß die Überlebenden ihrerseits schwer traumatisiert sein könnten, kann auf diese Weise wirksam ausgeblendet werden.

16. Februar 2009