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KRIEG/1343: NATO und EU - Politik der Militarisierung, Militarisierung der Politik (SB)



Anläßlich des Wechsels an der Spitze der NATO, an der künftig der frühere dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen das Amt des NATO-Generalsekretärs bekleiden wird, hat Ex-General Klaus Reinhardt im Deutschlandradio Kultur (01.08.2009) das Aufgabenfeld der Militärallianz umrissen. Der in deutschen Medien als Militäranalyst vielgefragte Reinhardt war erster Kommandant der KFOR im von der NATO eroberten Kosovo und als hochrangiger NATO-General an der Strukturreform des Militärbündnisses beteiligt. Der von ihm propagierte Ausbau Zivil-Militärischer Zusammenarbeit (CIMIC) ist seit langem in Gang und gehört zu den wesentlichen Strategien der Einbeziehung der ganzen Gesellschaft in die Kriegführung der NATO-Regierungen. Nicht nur die Unionsparteien, die den Einsatz der Bundeswehr im Innern fordern, sondern alle die Kriegseinsätze der NATO unterstützenden Bundestagsfraktionen gehen mit dieser für die Vorbereitung der effizienten Verhängung des Ausnahmezustands bedeutsamen Entwicklung konform.

Eng verknüpft mit CIMIC ist die Präventionsdoktrin der NATO, die, propagiert als eine Methode der vorausschauenden Konfliktvermeidung, antidemokratischen Ermächtigungsstrategien Tür und Tor öffnet. Es wird von vornherein davon ausgegangen, daß gesellschaftliche Konflikte mit der Option einer im Endeffekt gewaltsamen Lösung befriedet werden müssen. Ansonsten gäbe es keinen Grund dafür, daß die zahlreichen zivilen Behörden und Agenturen nicht ohne militärische Hilfe Krisen und Katastrophen bewältigen könnten. Abgesehen davon wird die Frage nach der Konfliktgenese in einem ausschließlich symptomatischen Sinne gestellt. Sollten soziale Unruhen ausbrechen, die, weil sie angeblich die Grundfesten des Systems bedrohen, mit militärischen Mitteln niedergeschlagen werden, dann wird nicht danach gefragt, ob es nicht eine weniger konfliktträchtige Alternative als die der kapitalistischen Vergesellschaftung gebe. Eben deren störungsfreien Verlauf gilt es vor den Folgen der anwachsenden sozialen Widersprüche zu schützen, das verlangt in der Logik der Herrschenden nach bewaffneter Absicherung.

Reinhardt propagiert denn auch eine stärkere Zusammenarbeit von NATO und EU, weiß er doch, daß sich Entscheidungen, die sich potentiell gegen die demokratische Souveränität der Menschen richten, auf EU-Ebene am besten voranzutreiben sind. Sein Argument, die EU habe auf dem Gebiet der zivilen Risikoanalyse und Risikobekämpfung ein wesentlich breiteres Potential als die NATO aufgebaut, ließe sich auch auf gegenteilige Weise verwenden, indem man die deutliche Abgrenzung ziviler Kompetenzen von denen des Militärs verlangte. Diese Annäherung wird jedoch von beiden Seiten betrieben, wie der Vertrag von Lissabon zeigt. Darin verankert ist die Beauftragung des Rats, "Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung" auch außerhalb des EU-Territoriums anordnen zu können, die "die Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet", sprich Militärinterventionen in souveränen Staaten, umfassen können, das programmatische Aufrüstungsgebot und die weitere Integration der nationalen Streitkräfte in die Verteidigungspolitik der EU.

Da die NATO noch undemokratischer als die EU ist, wird sich diese Annäherung als zusätzliche Schwächung bürgerlicher Partizipation an Entscheidungen über Krieg und Frieden auswirken. Schon vor längerer Zeit hat der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU, Javier Solana, der vor diesem Amt als NATO-Generalsekretär den Überfall der Allianz auf Jugoslawien anordnete, durchgesetzt, daß Dokumente zur "Sicherheit und Verteidigung der Union oder einer ihrer Mitgliedstaaten" wie auch zum "nichtmilitärischen Krisenmanagement" generell unter Geheimhaltung gestellt werden. Gerade dort, wo die Regierungsdokumente betreffende Informationsfreiheit aufgrund des prekären Charakters exekutiver Vollmachten wichtig wäre, wurde sie zum Schutz militärischer Handlungsfreiheit aufgehoben. Das ist nur ein Beispiel für mögliche Einschränkungen, die mit der Militarisierung der EU und der daraus resultierenden Sachzwanglogik einhergehen können.

In Frankreich wurde gerade ein 24jähriger NATO-Gegner nach vier Monaten, die er unschuldig in Haft verbrachte, aus dem Gefängnis entlassen. Aufgrund mangelnder Beweise konnte er nicht verurteilt werden. Der Mann hatte sich an den Protesten gegen den NATO-Gipfel Anfang April in Strasbourg beteiligt und fiel nach seiner Verhaftung einem gerichtlichen Schnellverfahren zum Opfer, das einem Standgericht gleichkommt. Die an NATO-Kritikern verübte Repression ist ein weiteres Beispiel dafür, was mit der engeren Zusammenarbeit von EU und NATO auf die europäischen Bürger zukommt.

Nimmt man den Katalog, mit dem Reinhardt die künftigen Zuständigkeitsbereiche der NATO beschreibt, in Augenschein, dann weiß man, daß die Gefahr einer antidemokratischen Okkupation ziviler Kompetenzen durch militärische Kommandogewalt kein Produkt von Verschwörungstheorien ist:

"Die Folgen der Klimaveränderung, Verknappung von Rohstoffen, Stichwort Wasser, das wird das zentrale Problem des 21. Jahrhunderts sein. Demografische Entwicklungen, Energietransport, Energiesicherheit, Proliferation, Massenvernichtungswaffen, um nur ein paar Punkte anzusprechen. Fast alles Probleme, die sich territorial nicht eingrenzen lassen und die sich auch mit Leoparden und Eurofightern nicht bekämpfen lassen."
(Deutschlandradio, 01.08.2009)

Warum denn, möchte man fragen, soll die NATO überhaupt mit diesen Aufgaben betraut werden, wenn ihre Kernkompetenz dazu nicht geeignet ist? Reinhardt propagiert eine Befriedungsstrategie, in der Panzer und Kampfflugzeuge zwar nicht an vorderster Front stehen, aber niemals gänzlich aus dem Katalog zur Verfügung stehender Optionen ausgeschlossen werden. Ginge es um politische Lösungen, dann wäre die NATO auf diesen Feldern völlig überflüssig, lassen sich auch grenzübergreifende Probleme mit dem heutigen Bestand an supranationaler Gouvernementalität angehen, ohne daß man einen General einbeziehen müßte. Die Anwendung von Gewalt bleibt, wenn die NATO mit besagten Problemen befaßt ist, stets ein gewichtiges Argument etwa im Umgang mit Staaten, die auf ihren Territorium verlegte Pipelines blockieren, die einem Nachbarn am Oberlauf wichtiger Flüsse das Wasser vorenthalten oder in denen Befreiungsbewegungen für eine Politik kämpfen, die nicht im Sinne der NATO ist.

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, daß das Welternährungsprogramm (WFP) seine Hungerhilfe kürzen muß, weil die Geberstaaten ihre Hilfszusagen nicht einhalten. Von den zugesagten 6,7 Milliarden Dollar für dieses Jahr werden lediglich 3,7 Milliarden Dollar tatsächlich an das WFP ausgezahlt. Bei über einer Milliarde Hungernden in der Welt haben die reichen Staaten trotz einer vielfach so hohen Summe, die sie zur Alimentierung ihrer Finanzwirtschaft ausgeben, angeblich nicht genügend Geld, um für das Notwendigste in anderen Weltregionen zu sorgen. Vergleicht man diese Zahlen mit den Militärbudgets der NATO-Staaten, dann ist die Behauptung Reinhardts, die NATO betreibe auf zivilem Gebiet Konfliktprävention, frivol. Wenn Hungeraufstände, zu denen es bereits in der EU kam, losbrechen und von NATO-Truppen niedergeschlagen werden, dann müßte die Militärallianz das Versäumnis eingestehen, nicht frühzeitig für die Ernährung der notleidenden Menschen gesorgt zu haben. Allein das Beispiel zeigt, daß es bei der militärischen Konfliktvermeidung ausschließlich um die Durchsetzung machtpolitischer Interessen geht, die mittels autoritärer Ermächtigung und mörderischer Kriege durchgesetzt werden.

1. August 2009