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KRIEG/1349: Rezept für Eskalation ... mit Raketen gegen Drogenhändler (SB)



Schon im Januar hatte der damalige NATO-Oberbefehlshaber, US-General Bantz John Craddock, alle Drogenhändler unabhängig von möglichen Verbindungen zu den Taliban oder Al Qaida zu einem legitimen Angriffsziel der ISAF-Truppen erklärt. Der vermittelnde Vorschlag des für Afghanistan zuständigen deutschen NATO-Befehlshabers, General Egon Ramms, die gesamte Opiumernte aufzukaufen, um so die Einkünfte der afghanischen Bauern zu sichern und gleichzeitig den Opiumhandel auszutrocknen, fand bei der US-Regierung kein Gehör. Eine Deeskalation auf diesem Gebiet hätte ihr ein wichtiges Machtinstrument im Umgang mit der Oligarchie des Landes genommen.

Indem die US-Regierung nun 50 angebliche Drogenhändler, die Verbindungen zu den Taliban oder anderen Gruppen der Besatzungsgegner unterhalten sollen, in die "joint integrated prioritised target list" (The Guardian, 10.08.2009) aufnimmt, erklärt sie diese ebenso wie die 317 anderen Namen auf dieser Zielliste für vogelfrei. Sie können jederzeit angegriffen und getötet werden, müssen sich also darauf einstellen, in ihrem Auto oder ihrem Haus unversehens von einer per Drohne abgefeuerten Hellfire-Rakete getroffen zu werden. Damit werden erstmals Zivilisten zu militärischen Zielen erklärt. Das Argument, die Drogenhändler ermöglichten den Taliban den Kauf von Waffen, wäre auch dazu geeignet, ganze Dörfer auszuradieren, die den Taliban Unterschlupf und Verpflegung gegeben haben.

Das Szenario erinnert nicht umsonst an den Vietnamkrieg, in dem die US-Truppen ganze Gebiete zu Zonen der willkürlichen Vernichtung erklärten, indem sie dort jegliche Auflagen des Waffeneinsatzes aufhoben. Mit der direkten Bedrohung von Drogenhändlern, die Beziehungen zu den Taliban unterhalten sollen, erklärt die US-Regierung zudem, daß mit ihr verbündete Warlords nichts zu befürchten haben. Für diese ist es nun um so wichtiger, sich die Protektion der Besatzer zu sichern.

Ein solcher Eingriff in die unterentwickelte Volkswirtschaft Afghanistans wird zweifellos dazu führen, daß die Zahl der Menschen, die sich dem bewaffneten Kampf gegen die Besatzer anschließen, wachsen wird. Nicht umsonst hat die Bundeswehr es im Norden des Landes stets vermieden, mit vergleichbarer Härte gegen den Drogenhandel vorzugehen. Hätte sie dies versucht, dann hätte sie heute zweifellos mehr gefallene Soldaten zu beklagen. Das wenige, was Afghanen verdienen können, stammt zu einem Gutteil aus dem Opiumanbau, dem Handel mit Opium und der Weiterverarbeitung zu Heroin. Daß sie damit der Nachfrage nach Betäubungsmitteln in der westlichen Welt, in zunehmendem Maße aber auch in Zentralasien entsprechen, verstehen die Apologeten der freien Marktwirtschaft in Washington sehr gut.

Wie der Verweis auf die Finanzierung der Aktionen des Widerstands belegt, geht es bei der militärischen Antidrogenpolitik ohnehin nicht darum, zum Schutz der Bevölkerungen im Westen eine Quelle zum Versiegen zu bringen, die sogleich an anderer Stelle um so kräftiger sprudelt. Die USA haben noch niemals Probleme mit Verbündeten gehabt, die tief in den Drogenhandel verstrickt sind, wie sie in zahlreichen Kriegen und zuletzt bei der Zusammenarbeit mit der Nordallianz in Afghanistan bewiesen haben. Während die Taliban erfolgreich gegen den Drogenanbau vorgingen, frönten ihre Feinde im Norden Afghanistans diesem lukrativen Geschäft auch dann noch, als sie offiziell Verbündete der Invasoren waren.

Die Bundeswehr wird sich dieser Eskalation nicht entziehen können, ist sie doch in ihrer Strategie weitgehend von den Beschlüssen Washingtons abhängig. So hat die Offensive der US-Truppen in der südlichen Provinz Helmand dazu geführt, daß die Taliban ihre Aktivitäten in der nördlichen Provinz Kunduz verstärkt haben. Am Sonntag vor einer Woche entgingen afghanische Geheimdienstler in der Nähe der Stadt Kunduz nur knapp einem Bombenattentat. Zwei Tage darauf erstürmten die Taliban eine 35 Kilometer nördlich der Stadt Kunduz gelegene Polizeiwache und töteten den Polizeichef und zwei Beamte. Am Mittwoch fiel Ex-Präsident Burhanuddin Rabbani ebenfalls in der Provinz Kunduz fast einem Angriff der Taliban auf seinen Fahrzeugkonvoi zum Opfer. Der feindliche Beschuß von ISAF-Truppen in der Region ist inzwischen so häufig, daß kaum noch über einzelne Vorfälle berichtet wird. Spätestens dann, wenn es zu Vergeltungsangriffen von Drogensyndikaten auf NATO-Soldaten kommt, wird auch die Bundeswehr an der erweiterten Kriegführung der US-Streitkräfte teilhaben.

16. August 2009