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KRIEG/1379: Fort Hood-Anschlag ... auf der Suche nach dem Feind in den eigenen Reihen (SB)



15.000 Trauergäste inklusive des US-Präsidenten und seiner Gattin beteiligten sich an der Trauerfeier, die auf der Militärbasis Fort Hood zur Ehrung der 13 Opfer des Mordanschlags am 5. November abgehalten wurde. Während um die Gefallenen der Kriege im Irak und in Afghanistan weit weniger zeremonieller Aufwand betrieben wird, ist in diesem Fall ein nationaler Weiheakt erforderlich. Sterben US-Soldaten im Gefecht gegen die Taliban, dann wird ihr Tod als zwar trauriges, aber notwendiges Opfer zur Verteidigung der Freiheit verbucht. Sterben US-Soldaten durch die Hand eines anderen Soldaten, dann wird von einem sinnlosen und deshalb um so tragischeren Tod gesprochen.

Die Ratio, mit der das Leben eines Menschen gegen nationale Interessen gerechnet und für verzichtbar erklärt wird, kann jedoch auch auf diese Soldaten angewendet werden. Die 13 Toten und zahlreichen Verletzten von Fort Hood sind ebenso zu den Opfern der US-Kriegführung zu zählen wie die ebenfalls nicht in der Gefallenenstatistik auftauchenden Toten, die den Folgen im Krieg erlittener Verletzungen erlegen, die immer zahlreicher werdenden US-Soldaten, die sich aus Verzweiflung selbst umbringen, die an Armut und Gewalt sterbenden Veteranen, die niemals wieder Fuß im zivilen Leben fassen konnten. Die Kriegführung der USA zeitigt soziale und gesellschaftliche Folgen, die allein allen Anlaß dazu geben, sich jeder kriegerischen Erzwingung außenpolitischer Ziele zu enthalten.

Eben das soll mit pathetischen Ritualen, in denen militärische Pflichterfüllung bis zum Tode glorifiziert wird, vergessen gemacht werden. Die Welt soll weiterhin fein säuberlich in eine im Frieden lebende US-amerikanische Zivilgesellschaft und die Kriege an fernen Fronten, mit denen sie geschützt wird, eingeteilt bleiben. Realisierte man, daß vor der eigenen Haustür die Virulenz des sozialen Krieges lauert, dann wäre imperialistischen Abenteuern jegliche Legitimation entzogen. Zwar befindet sich die US-Gesellschaft seit dem 11. September 2001 im Belagerungszustand, doch hat sich das Szenario permanenter terroristischer Bedrohung abgetragen und wieder einem Selbstverständnis Platz gemacht, daß die USA gerade deshalb als Hort der Freiheit und beste aller Gesellschaftsordnungen begreift, weil die gewaltsame Durchsetzung des hierarchischen Kapitalismus zu Lasten anderer Bevölkerungen in alle Welt ausgelagert wird.

Um so beunruhigender ist die Erkenntnis, daß auf das, was Major Nidal Malik Hasan vor einer Woche tat, weit eher die Beschreibung eines geplanten Anschlags als eines aus dem Affekt hervorgebrochenen Amoklaufes paßt. Allem Anschein nach hat er seine Tat über einen längeren Zeitraum geplant, er mußte die beiden Handfeuerwaffen auf das Gelände der Militärbasis schmuggeln, wo das Tragen von Waffen im Unterschied zur zivilen Umgebung untersagt ist, und er hat aus seiner Ablehnung der US-Kriegführung im Irak und Afghanistan ebensowenig ein Hehl gemacht wie aus der Tatsache, daß seine Loyalität zuerst seinem Glauben und dann seinem Land gehört.

Wie die Washington Post (10.11.2009) berichtet, hat der Militärpsychiater bei einem Vortrag im Walter Reed Army Medical Center in Washington, an dem Nidal sechs Jahre lang praktizierte, im Juni 2007 in aller Deutlichkeit ausgeführt, in welche moralischen Konflikte Muslime gestürzt werden, wenn sie in mehrheitlich islamischen Staaten wie Irak und Afghanistan auf der Seite der Besatzungsmacht USA kämpfen sollen. Nidal warnte davor, daß muslimische US-Soldaten unter den Einfluß von Jihadisten gelangen könnten, die sie davon überzeugten, daß es ihre religiöse Pflicht sei, sich gegen die US-Streitkräfte zu wenden. Er riet seinen Zuhörern, Soldaten muslimischen Glaubens nicht der Möglichkeit auszusetzen, einheimische Muslime bei Kampfeinsätzen zu töten, ohne daß dafür eine eindeutige Rechtfertigung vorliegt. Nidals Empfehlung zum Abschluß seiner Power Point-Präsentation an das US-Verteidigungsministerium lautete, US-Soldaten muslimischen Glaubens die Möglichkeit zu geben, aus Gewissensgründen entlassen zu werden, um die Moral der Truppe zu heben und kontraproduktive Entwicklungen zu verhindern.

Das Problem der US-Streitkräfte besteht also nicht nur darin, die sich anhand deutlicher Indizien ankündigende Illoyalität eines Offiziers nicht ernst genug genommen zu haben, sondern ganz allgemein die Zustimmung zur eigenen Kriegführung unter den Soldaten auf eine Weise sichern zu müssen, die widerständige Aktionen, zu denen es unter den einfachen Soldaten des Vietnamkriegs immer wieder kam, verhindert. Während US-Politiker wie Senator Joe Lieberman die Gelegenheit nutzen, Stimmung gegen in den USA lebende Muslime ganz allgemein und bei den US-Streitkräften im besonderen zu machen, dürften die Militärtechnokraten im Pentagon höchst beunruhigt darüber sein, daß ein Offizier die Kriegsmaschine von innen heraus angreift und sabotiert. Nidal hatte nicht nur als Muslim einen Glaubenskonflikt, er hat als Militärpsychiater Einblick in die seelischen Schäden von Soldaten genommen, die auch bei diagnostizierter Postraumatischer Belastungsstörung (PTSD) nicht davor geschützt sind, wieder in den Krieg geschickt zu werden.

Zwar handelt es sich bei den US-Streitkräften um eine Berufsarmee, doch sorgen die ökonomischen Gründe, aus denen sich junge US-Bürger rekrutieren lassen, mit dem ihnen eigenen Druck dafür, daß es mit der Freiwilligkeit nicht weit her ist. Zudem wird die Anwerbung neuer Soldaten mit allen Finessen werbetechnischer Kunst betrieben und durch einen in Hollywood produzierten Heldenmythos befeuert, auf den junge Menschen nach der patriotischen Indoktrination, der sie in der Schule ausgesetzt werden, schlicht hereinfallen. Seit Beginn des Irakkriegs sind Tausende von US-Soldaten desertiert, um kein zweites oder drittes Mal in den Krieg geschickt zu werden. Durch die große Zahl der Truppen, die in aller Welt stationiert sind und in zwei Ländern Besatzungsaufgaben verrichten müssen, werden die Anforderungen an die Verwendungsfähigkeit der Soldaten immer weiter gesenkt, um die erforderliche Truppenzahl noch aufbieten zu können.

Vor diesem Hintergrund stellt die Bluttat Nidals einen nicht auf seinen spezifischen Hintergrund zu reduzierenden Kontrollverlust dar, der sich jederzeit wiederholen könnte. Wenn das Geschehen nun als terroristischer Angriff verbucht wird, dann wird das Problem einer Feindbildproduktion zugeschlagen, die einer Eskalation dient, die die angeblich präventive Verhinderung des Terrorismus in ihr Gegenteil umschlagen läßt. Die aggressive Kriegführung der US-Regierung produziert neue Feinde am laufenden Band, und das offensichtlich nicht nur in den Ländern, die sie zur freien Feuerzone erklärt, sondern auch in den Rängen der eigenen Gewaltorgane.

Indem die USA unter dem Vorwand einer feindlichen Bedrohung geostrategische und machtpolitische Interessen militärisch durchsetzen, werden die Zonen ihrer Kriegführung auch zum Austragungsort des eigenen Sozialkampfs. Innere Konflikte werden an äußere Feinde adressiert, was nur funktioniert, so lange das Konstrukt der Bedrohung halbwegs glaubwürdig ist. Nach acht Jahren in Afghanistan mehren sich auch an diesem Kriegsschauplatz die Zweifel daran, ob die unterstellte Ausgangslage den weiteren Einsatz eigener Soldaten noch legitimiert. Je mehr danach gefragt wird, welche Gründe für die Kriegführung in fremden Ländern vorliegen könnten, desto weniger ist auszuschließen, daß US-Soldaten darüber nachdenken, für wen tatsächlich sie ihr Leben riskieren. Die Verschärfung des Sozialkampfes in den USA könnte Soldaten aus ethnischen Minderheiten und verarmten Familien erkennen lassen, daß diejenigen, die dafür verantwortlich sind, daß ihre Angehörigen und Freunde hungern, auf der Straße leben oder unter vermeidbaren Erkrankungen leiden, nicht in Afghanistan und im Irak zu Hause sind, sondern im eigenen Land.

Ein solcher Verdacht kann auch durch noch so viel patriotische Emphase nicht ertränkt werden, wenn die materiellen Lebensumstände jeden Tag beweisen, daß die Soldaten und ihre Opfer für Interessen Dritter sterben, denen nur die eigenen Privilegien von Belang sind. Auch wenn die Ansicht, daß der Feind im eigenen Land steht, unter US-Soldaten kaum jemals Breitenwirkung entfalten dürfte, reichen Einzelfälle wie die Nidals aus, um die Kampfkraft der ganzen Kriegsmaschine in Frage zu stellen. Aus diesem Grund greifen die psychologistischen und gesinnungsorientierten Analysen des Anschlags von Fort Hood zu kurz.

11. November 2009