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KRIEG/1410: Militärische Aufbauarbeit ... Erniedrigung zum Befehlsempfänger (SB)



Initiationsrituale unter Soldaten sind so alt, wie es Armeen gibt. Die systematische Erniedrigung von Rekruten dient der Einübung einer Hackordnung, ohne die sich Kriege, an denen der einzelne Befehlsempfänger kein Interesse haben kann, nicht führen ließen. Menschen in tödlicher Absicht gegeneinander zu hetzen widerspricht allem, was sie aus eigenem Antrieb heraus tun würden, schon deshalb, weil die Ermordung des anderen immer gegenseitiger Art ist. Wer Leben vernichtet, ist sich klar darüber, daß er dem andern antut, was ihm selbst auf jeden Fall erspart bleiben soll.

Der hehre Anspruch des Staatsbürgers in Uniform stößt spätestens dort, wo der Soldat Aufträge ausführen muß, die mit seinem Verständnis von Verteidigung nichts mehr zu tun haben, auf unauflösliche Widersprüche. Strategische Ziele, die mit Waffengewalt erreicht werden sollen, lassen sich, wenn überhaupt, nur durch hochgradige Abstraktion vermitteln. Die Behauptung, es ginge darum, "Stabilität" nach Afghanistan zu exportieren, ist ein Beispiel für die Erfordernis, objektive Interessen euphemistisch zu verklären. Die Motive, die die Bundesregierung dazu veranlaßt, den Begriff der Landesverteidigung weltweit zu entgrenzen, dem einzelnen Soldaten als Handlungsmaxime verständlich zu machen bedürfte schon des Klartextes, daß die BRD auch aus bündnistechnischen Gründen Kriege führt, um ihre Stellung im stärksten Militärbündnis der Welt zu behaupten. Dies wiederum als Vorteil für den weltweiten Kampf um Ressourcen und Standortvorteile zu erkennen ist dem einzelnen Soldaten jedoch nur sehr bedingt möglich.

Um ihn von den Widersprüchen, sie sich aus der rechtsförmigen und demokratischen Begründung von Kriegen einerseits und ihrer imperialistischen Intention andererseits ergeben, freizuhalten muß er auf das Standardmaß des zuverlässigen Befehlsempfängers reduziert werden. Die zivilen Sitten und Methoden, die dazu offiziell ins Feld geführt werden, reichen in Anbetracht der Aufgabe, im Ernstfall den "archaischen Kämpfer", sprich den grausamen Barbaren zu aktivieren, gerade dort nicht hin, wo vorbehaltlose Gewaltanwendung über Sieg oder Niederlage entscheidet. Das Einschleifen einer Befehlsgewalt, die auch und gerade dann funktioniert, wenn der Befehlsempfänger etwas ihm völlig Widersinniges tun soll, setzt die Negation des mündigen Bürgers voraus. Mit dem Vorbehalt, ihn vielleicht nicht auszuführen, über Sinn und Zweck eines Befehls nachzudenken, wenn der Gegner seinerseits die Möglichkeit besitzt, sich erfolgreich zu wehren, es also auf seine verzögerungsfreie Durchführung ankommt, ist in der staatlich organisierten Kriegführung nicht vorgesehen.

Der Sendung Streitkräfte und Strategien (NDR Info, 13.02.2010) ist zu entnehmen, daß der für das Gebirgsjägerbataillon 233, in dem einige Mißbrauchsfälle publik wurden, zuständige Presseoffizier Peter Wozniak erklärte, daß sich derartige "Rituale seit Ende der 80er Jahre eingebürgert" und sie sich in ihrer Ausprägung und Intensität in den vergangenen Jahren noch gesteigert hätten. In diesem Zeitraum wurde die Bundeswehr von einer Armee der Landesverteidigung, die sich zwar in hochgerüsteter Bereitschaft befand, während die Wahrscheinlichkeit eines Krieges aufgrund der atomaren Parität zwischen Ost und West jedoch eher gering war, in eine Einsatzarmee verwandelt. Um die Soldaten auf Kampfeinsätze vorzubereiten wurden militärische Qualitäten propagiert, denen gegenüber jedes zivile und defensive Selbstverständnis nur kontraproduktiv sein kann.

Die Umerziehung der Bundesbürger, die mit dem deutschen Sonderweg militärischer Enthaltsamkeit nicht unzufrieden waren, in eine auf den nationalistischen Furor der Kriegsmobilisierung ansprechbare Bevölkerung bedarf der generellen Brutalisierung im Umgang mit anderen Menschen. Das betrifft nicht nur die Einheimischen in den Einsatzgebieten der Bundeswehr, die ihre angebliche Befreiung oder Demokratisierung mit einem stets unvermeidlichen Blutzoll zu entgelten haben, sondern auch die eigenen Truppen. Um sie auf einen Stand aggressiver Durchsetzungsfähigkeit und klaglos ertragener Belastbarkeit zu bringen, wie er für die US-Streitkräfte selbstverständlich ist, gilt es, das Legitimationskonstrukt des Staatsbürgers in Uniform im Spind zu verstauen und den Vollblutkrieger herauszuholen, der seine "Arbeit" nicht nur pflichtgemäß, sondern mit Lust und Begeisterung verrichtet. So lange diese politische Marschrichtung anliegt, arbeiten alle Affären und Eklats, die die genuine Zerstörungsgewalt des staatlich organisierten Krieges offenlegen, dem einen Ziel zu, alle Beteiligten auf die Normalität dieser Grausamkeiten zuzurichten.

23. Februar 2010