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KRIEG/1423: Schwere Waffen für die Okkupationsarmee der Bundeswehr (SB)



In Riesenschritten schließen die im Bundestag vertretenen Kriegsparteien die argumentative Lücke zwischen der ideologischen Verklausulierung des Bundeswehreinsatzes am Hindukusch und dessen Realität. Wenngleich die deutsche Beteiligung am Okkupationsregime in Afghanistan nie etwas anderes war, als die Besetzung eines fremden Landes und die Kriegsführung gegen dessen Bevölkerung, bedurfte es doch gewaltiger Klimmzüge der Propaganda, um das den Bundesbürgern schmackhaft zu machen. Die Überzeugung, daß von deutschem Boden nie wieder ein Angriffskrieg ausgehen dürfe, ließ sich nicht über Nacht ausmerzen, weshalb es einer wohldosierten und strategisch gestaffelten Abfolge politischer Sprachregulationen bedurfte, die mit der wachsenden Intensität unmittelbarer Beteiligung am Kampfgeschehen korrespondierte.

Nach dem Tod dreier Bundeswehrsoldaten am Karfreitag bot sich die Gelegenheit, bislang verwendete Szenarien zu entsorgen und neue Prioritäten zu setzen. Knapp zwei Wochen nach den schweren Kämpfen in der Provinz Kundus flog Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in Begleitung von Generalinspekteur Volker Wieker sowie einer achtköpfigen Politikerdelegation aller deutschen Kriegsparteien erneut ins Kampfgebiet, um den Fokus relevanter Erwägungen auf die Soldaten zu verengen. Er stärkte der Truppe mit den Worten demonstrativ den Rücken, ihm sei wichtig, den Soldatinnen und Soldaten vor Ort deutlich zu machen, daß die politische Spitze hinter ihnen steht. Andererseits gehe es darum, der deutschen Öffentlichkeit klarzumachen, daß man den Soldaten vor Ort nicht vergißt, sondern ihm Unterstützung gibt.

Welch ein Befreiungsschlag nach dem Massaker von Kundus, das die Bundesbürger um ein Haar auf den Gedanken gebracht hätte, daß das Abschlachten von Zivilisten durch deutsche Soldaten keineswegs mit ihrer Zustimmung geschieht! Schien sich dabei ein Fenster zur Realität des Krieges und der Lage der afghanischen Bevölkerung geöffnet zu haben, so ist davon dieser Tage keine Rede mehr. Wichtig sei, erklärte Guttenberg, daß die Soldaten möglichst gut geschützt werden und wirkungsvoll vorgehen können. Dafür läßt er umgehend zwei Panzerhaubitzen, zusätzliche Schützenpanzer sowie Panzerabwehrraketen ins Krisengebiet verlegen. So werden Schutz und Effektivität der Soldaten zum höchsten Gut erklärt, während man die zwangsläufig damit verbundenen Opfer unter den Afghanen wie überhaupt die Rechtfertigung dieses Feldzugs zur Selbstverständlichkeit degradiert.

Die neuen Waffen änderten nicht den Charakter des Einsatzes in Afghanistan, hatte Guttenberg in einem vorab aufgezeichneten Fernsehinterview betont. Es seien "Ausrüstungsgegenstände", die den "mandatierten Einsatz der Bundeswehr" angemessen ermöglichen sollten. Natürlich müsse man "mit den schweren Waffen auch verantwortungsvoll umgehen", wobei er tunlichst offenließ, was in Anbetracht der mörderischen Feuerkraft und Zerstörungsgewalt dieser Offensivbewaffnung darunter zu verstehen sei.

Der Forderung nach einem Abzug der deutschen Truppen erteilte der Minister mit folgenden Worten eine Absage: "Das Risiko für unsere Sicherheit wird genau dann größer, wenn wir Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt sich selbst überlassen würden." Die Lage in der Region sei sehr instabil, weshalb man Stabilität schaffen müsse. An einen Abzug sei erst zu denken, wenn Ausbildungserfolge sichtbar seien, so daß auch die Afghanen einen Teil ihrer Sicherheit selbst übernehmen könnten. Daß die Lage auch im Norden Afghanistans instabil geworden ist, weil hier wie überall im Land der Widerstand gegen die verhaßten Besatzungstruppen wächst, vernebelt Guttenberg mit seinem abstrakten Sicherheitsdiskurs, der die Verhältnisse auf den Kopf stellt und die Doktrin durchträgt, daß der wünschenswerte Zustand nur durch eine Intensivierung der Kriegsführung zu erreichen sei.

Daß auch die Bundeswehr endlich voll zur Sache gehen soll, unterstreicht die hitzige Debatte über Ausrüstung und Ausbildung der Truppe. Den im Eifer des Kriegsgeschreis vom designierten Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus abgesonderten Fauxpas einer Entsendung von Leopard 2-Kampfpanzern, die in Nordafghanistan völlig unbrauchbar wären, hat dieser mit einer lahmen Rechtfertigung entschuldigt, nachdem der Vorschlag von Guttenberg als "unglaublich dummes Zeug" und von Merkel als inkompetent abgekanzelt worden war. Ihm sei es grundsätzlich um die "Enttabuisierung der schweren Waffen" gegangen, erklärte er. Letztlich solle der Kommandeur vor Ort entscheiden, welche Mittel er einsetzt. Man müsse ihm jedoch alle Möglichkeiten geben und neue Handlungsoptionen für die Soldaten eröffnen. Den Einwand, daß die Bundeswehr damit wie eine Okkupationsarmee wirke, wies der künftige Wehrbeauftragte zurück. Schließlich hätten der Einsatz des Panzers durch die kanadische Armee im Süden Afghanistans wie auch jener der deutschen Panzerhaubitze 2000 durch das niederländische Kontingent der Bevölkerung gezeigt, daß man auf den Schutz durch die Soldaten vertrauen könne.

Wenngleich letzteres eine recht kühne Behauptung des Wehrbeauftragten war, traf er doch mit seinem Wunsch nach Enttabuisierung der schweren Waffen den Nagel auf den Kopf. Mit der Panzerhaubitze 2000 bequem aus dem Feldlager Ziele in einer Entfernung bis zu 40 Kilometern auf wenige Meter genau zu treffen, ist zumindest aus Sicht der deutschen Soldaten sicherlich angesagt. Zudem hat die Bundeswehr im Eilverfahren 60 neue Panzerfahrzeuge beim Schweizer Hersteller Mowag, einer Tochter des US-Rüstungsriesen General Dynamics, bestellt, die samt zusätzlicher Spezialausrüstung wie Waffenstationen, Störsender und Funktechnik rund 61,5 Millionen Euro kosten werden. Für 2011 ist die Bestellung weiterer 90 geschützter Fahrzeuge vom Typ Eagle IV vorgesehen.

Die Bundeswehr verfügt in Afghanistan derzeit über rund 975 gepanzerte Fahrzeuge verschiedener Modelle. Das Verteidigungsministerium will unter Verweis auf eine verschärfte Bedrohungslage durch Sprengfallen und Angriffe auf Konvois 600 davon baldmöglichst ersetzen. Zur Deckung des vordringlichsten Bedarfs - auch durch die anstehende Erhöhung des deutschen Kontingents von 4.500 auf bis zu 5.350 Soldaten - entstehe zusätzlicher Bedarf, wobei das Beschaffungsprojekt bereits rund 650 dieser Fahrzeuge vorsieht.

Wie Guttenberg erklärte, hätte sich der Tod der drei deutschen Soldaten auch mit einer besseren Ausrüstung wohl kaum verhindern lassen. Die zusätzliche Bestellung der 150 Führungsfahrzeuge sei auch keine unmittelbare Reaktion auf das blutige Gefecht vom Karfreitag, sondern Teil eines Verbesserungsprozesses, räumte der Minister durch die Blume ein, daß die Aufrüstung der Truppe ohnehin längst beschlossene Sache war.

Dies gilt um so mehr, als der militärische Gleichschritt mit den US-Truppen in greifbare Nähe zu rücken scheint. Wie der Minister zur Entsendung amerikanischer Soldaten in den deutschen Verantwortungsbereich in Nordafghanistan erläuterte, befinde man sich in einem Bündnis, weshalb es völlig normal sei, daß unterschiedliche Bündnispartner Verantwortung übernehmen. Deutschland habe die Verantwortung für den Norden, was von den Amerikanern vollkommen akzeptiert werde. Nach Angaben der Internationalen Schutztruppe ISAF wollen die USA bis zu 4.500 Soldaten nach Nordafghanistan entsenden, die dort unter dem Befehl der Bundeswehr stehen sollen. Dazu sagte Guttenberg: "Wir freuen uns, daß wir die Amerikaner an unserer Seite haben. Sie schließen auch Fähigkeitslücken, die wir hier oben haben." Offenbar spielte der Minister damit auf die mehr als 20 Hubschrauber an, welche die US-Truppen nach Nordafghanistan schicken wollen.

In Kürze wird der Oberbefehlshaber der NATO-geführten ISAF, General Stanley McChrystal, zu Gesprächen mit Verteidigungsminister Guttenberg und Außenminister Guido Westerwelle in Berlin erwartet. Dabei gehe es um einen "Austausch über die aktuelle Lage", wie ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums vage mitteilte. Tatsächlich erwartet McChrystal jedoch einen wichtigen Beitrag der deutschen Truppen bei der im Sommer anstehenden Großoffensive. Auch mahnt er eine gezieltere Kampfausbildung der Bundeswehr unter realistischen Bedingungen und insbesondere eine bessere Einstellung der deutschen Soldaten auf die US-Strategie der Aufstandsbekämpfung an. Gefragt sind neben Englischkenntnissen vor allem Risikobereitschaft und Opfermut, was darauf hinauslaufen wird, daß heimkehrende Leichensäcke auch hierzulande zur Normalität werden, sofern sich die Bundesbürger nicht doch noch eines Besseren besinnen.

15. April 2010