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KRIEG/1496: Vor dem Wiederaufbau die Zerstörung - NATO intensiviert Luftangriffe auf Libyen (SB)



Großer Staatsempfang diese Woche für Merkel und Gefolge in Washington. Bevor US-Präsident Barack Obama der Bundeskanzlerin die Freiheitsmedaille verleiht, den höchsten zivilen Orden des Landes, traf er sie zum Meinungsaustausch in einem Restaurant in Georgetown. Dabei dürfte auch über den Libyenkrieg und Deutschlands bisherige Zurückhaltung hinsichtlich eines militärischen Eingreifens gesprochen worden sein. Von den fünf mitgereisten Ministern ist in dieser Frage Außenminister Guido Westerwelle gefragt, der erklärte, daß die Entscheidung der Bundesregierung, sich nicht mit Soldaten an dem Militäreinsatz in Libyen zu beteiligen, "stehe", aber scheinbar einlenkend versicherte, daß sich Deutschland für einen zivilen Aufbau des Landes engagieren würde [1].

Bis es dazu kommt, will die NATO offensichtlich noch mehr zerstören, so daß sich der Wiederaufbau, den sich Deutschland und andere beteiligte Staaten aus den libyschen Exporteinnahmen werden bezahlen lassen, lohnt. Vorgetragen werden die Angriffe mit Kampfjets, -hubschraubern und seegestützten Raketen vermutlich noch bis September [2] - ganz so, als folge der Krieg einem festen Zeitplan, der kaum mehr an die konkreten Entwicklungen auf dem Kriegsschauplatz gebunden ist. Tatsächlich hat der libysche Machthaber Muamar al Gaddafi bereits mehrmals Waffenstillstand angeboten, zuletzt gegenüber Südafrikas Präsident Zuma, ohne daß dem eine Chance eingeräumt wurde [3]. Die Antwort der NATO, die bombt und bombt, und der Rebellen, welche die "befreiten" Gebiete einnehmen: Erst müsse Gaddafi zurücktreten. Außerdem meine er das mit dem Waffenstillstand nicht wirklich. Solange er eine Bedrohung darstellt, werde weiter gekämpft.

Wer wollte ermessen, wann diese mutmaßliche Bedrohung durch die Regierungssoldaten, die allein schon durch die Verteidigung des Landes gegenüber den vordringenden ostlibyschen Milizen gegeben ist, endet?

Vielleicht hält sich die Bundesregierung in diesem Krieg noch an den von Westerwelle propagierten Kurs, obgleich der Außenminister innerhalb des Kabinetts und seiner Partei beträchtlich an Einfluß verloren hat und ein Schwenk der Regierung zum Einsatz von Bodentruppen durchaus vorstellbar ist. Zukunftsrelevanter dürften auf jeden Fall die Aussagen von Verteidigungsminister Thomas de Maizière sein, der vor kurzem bei seiner Regierungserklärung zur Bundeswehrreform davon sprach, daß Deutschland im Rahmen der Vereinten Nationen, der NATO und der EU die Verantwortung übernehmen müsse, "die wir uns zutrauen, die man uns zutraut und die man von uns erwartet". Das sei mehr, "als es bisher in Deutschland bekannt oder wohl akzeptiert ist" [4].

Wenn am Mittwoch die NATO-Verteidigungsminister zu einem zweitägigen Treffen in Brüssel zusammenkommen, wird NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen eine breitere Unterstützung für den Libyenkrieg fordern [5]. Wird sich dort de Maizière an die Westerwelle-Vorgabe halten oder Rasmussens Wunsch nach Entlastung jener Staaten, die zur Zeit die Bodenziele angreifen, entsprechen? Wahrscheinlich wird Deutschland diesmal noch nicht ganz und gar auf den Interventionskurs der NATO einschwenken, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Umbau der Bundeswehr und die Beschaffung des entsprechenden Kriegsgeräts weiter fortgeschritten sind.

Mit Libyen hat der transatlantische Militärpakt ein weiteres Land aus der Kategorie der aufstrebenden Staaten, die sich der wirtschaftlichen und politischen Hegemonie des Westens entziehen oder in naher Zukunft entziehen könnten, angegriffen. Zuvor wurden bereits Jugoslawien, Afghanistan und Irak mit militärischen Mitteln zerrüttet und geschwächt. Das könnte man treffend als "Umfeld bearbeiten" bezeichnen, denn die eigentliche Stoßrichtung der Strategie gilt den Atomwaffenstaaten Rußland und China. Letzteres verzeichnet bereits erhebliche Verluste durch den Libyenkrieg und erwägt laut eines IPS-Berichts, sein Engagement in Nordafrika zu reduzieren [6].

Ein direkter Angriff auf diese beiden Schwergewichte, die am 15. Juni 2011 gemeinsam mit anderen Staaten die Shanghai Cooperation Organization - von den hiesigen Medien etwas flapsig "Anti-NATO" genannt -, gründeten, wäre taktisch unklug, denn der Ausgang wäre ungewiß und die eigenen Kräfte würden viele Jahre so sehr gebunden, daß Länder aus der zweiten Reihe in die hegemoniale Lücke vorstoßen könnten. Länder wie Libyen. Das hat seine milliardenschweren Einnahmen aus dem Erdölexport diversifiziert und unter anderem in afrikanischen Staaten Projekte angestoßen, die unübersehbar zur Befreiung vom westlichen Verwertungsdiktat beigetragen haben [7]. Zwar konnte Libyens Einfluß in der wesentlich auf Initiative Gaddafis gegründeten und von ihm finanzierten Afrikanischen Union (AU) frühzeitig durch das einzige wirtschaftliche Schwergewicht der Subsaharastaaten, Südafrika, gekontert werden, aber alles in allem hat die AU noch zuviel "Gaddafi", zu viel China und zu wenig EU und USA.

Mit Libyen wurde ein einflußreicher afrikanischer Staat an der Peripherie eines großen Machtblocks angegriffen, und die Führer zweier wichtiger Staaten innerhalb des Blocks, Merkel und Obama, beschwören das transatlantische Bündnis. Keine Seite scheint auf die andere verzichten zu können, wollte sie nicht empfindliche Einflußverluste im globalen Ringen um Durchsetzung der hegemonialen Absichten hinnehmen. Obgleich Deutschlands Nähe zu Rußland - nicht zuletzt seine Energieabhängigkeit, die durch den Atomausstieg noch verstärkt wird -, in Washington besorgtes Stirnrunzeln auslösen. Merkel wird bei ihrem USA-Besuch vermutlich Zugeständnisse machen und sich in keinem geringen Umfang an der Nachkriegsordnung in Libyen beteiligen.

Die ostlibyschen Milizen glauben womöglich, sie spannten die NATO für ihre Interessen ein, aber langfristig sind sie der Esel, der hinter der Möhre herläuft und dabei in Kauf nimmt, daß er für andere die Gewichte schleppt. Sollten die Milizen jemals die Macht in Libyen übernehmen, werden sie zunächst einen Berg an Schulden für das NATO-Kriegsgerät, auf das sie bei der Verfolgung ihres Ziels der Machtergreifung nicht verzichten konnten, abzutragen haben. Erfahrungsgemäß werden die bereits getätigten und mit Sicherheit auch noch bevorstehenden Zusagen über eine milliardenschwere Wiederaufbauhilfe nicht halten, was sie versprechen.

Ähnlich wie beim Angriff auf Irak wird sich Deutschland, dessen Funktionseliten ihrer Verwirklichung eines Kerneuropa durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ein Stück näher gekommen sind - ungeachtet aller Unwuchten, die das Vehikel namens EU in letzter Zeit ereilt haben - an den Eroberungszügen der westlichen Wertegemeinschaft beteiligen. Wenn noch nicht in Libyen, dann im nächsten Krieg. Der kommt bestimmt. Die Bundeswehr wird bereits für die neuen Aufgaben umgerüstet.


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Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/artikel/C31325/merkel-trifft-obama-intensiver-meinungsaustausch-30433939.html

[2] http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-06/libyen-nato-militaereinsatz

[3] http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5hcEU1QCNUvrrXjs2SzgUueHljXPA?docId=CNG.07e5bdd0703ff29e3a9eab59a388a4a2.681

[4] http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE74Q08J20110527

[5] http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5g4ALxk8ehP1U7DIUKka1jYRe38GA?docId=CNG.83e345c7b15ea97ce3e859599cd284ff.221

[6] http://allafrica.com/stories/201106070745.html

[7] Näheres hierzu unter INFOPOOL -> POLITIK -> REDAKTION:
AFRIKA/2035: NATO-Krieg gegen Libyen - Krieg gegen den gesamten Kontinent (SB)

7. Juni 2011