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KRIEG/1535: Videoclip der Bundeswehr - Wie brachial darf Kriegswerbung sein? (SB)



Der seit der westdeutschen Wiederbewaffnung genährte Mythos, die Bundeswehr unterscheide sich in Auftrag, Gesinnung und politischer Einbettung in die parlamentarische Demokratie grundsätzlich von deutschen Angriffsarmeen der Vergangenheit, steht auf tönernen Füßen. Die Doktrin auszustaffieren, man unterhalte eine Truppe für die Sicherung des Friedens, deren Rekruten einen staatsbürgerlichen Erziehungsauftrag erfüllten, bedurfte stets argumentativer Verrenkungen, zumal die Bündnispflicht in der NATO auf ganz andere Zwecke und Zwänge schließen ließ. Mit Rücksicht auf den langwierigen Gärungsprozeß ideologischer Umpolung vom Volksgenossen des Faschismus zum lupenreinen Demokraten mußte der deutsche Militarismus jahrzehntelang Kreide fressen, bis ihn der Bundesbürger wieder arglos in seine Stube bat.

So verwandelte sich Schritt für Schritt eine Armee, die nach gängiger Lesart Krieg verhindern und nicht führen sollte, in eine Interventionsstreitmacht, die es mit dem Verteidigungsfall nicht so genau nahm und überall dort Menschenrechtsverletzungen entdeckte, wo sie einzugreifen beabsichtigte. Stets schweren Herzens und mit sorgenvoller Miene schickte die rot-grüne Koalition deutsche Soldaten aus, um Konflikte zu schlichten, Menschen zu schützen, Demokratie aufzubauen und dergleichen Vorwände mehr, die der Legalisierung des Angriffskriegs und der Indoktrination der Heimatfront geschuldet waren. Heute darf man offen und ehrlich aussprechen, daß die Bundeswehr in Afghanistan und anderswo Krieg führt, um Islamisten niederzumachen und unsere Versorgung zu sichern.

Als Berufsarmee hat die Bundeswehr allerdings ein Nachwuchsproblem: Obwohl der Fronteinsatz so gut bezahlt wird, daß sich die Niedriglöhner, Leiharbeiter, Teilzeitjobber und Hartz IVer die Finger danach ablecken müßten, ist das Kriegshandwerk offensichtlich nicht jedermanns Sache. Werbung muß her, um das Image deutschen Soldatentums vom Muff biederer Treuherzigkeit zu befreien und dem mediengenerierten Elitekämpfertum anzupassen. Wer die Jugend erreichen will, muß sie dort treffen, wo sie sich am liebsten aufhält, und sie in ihrer Sprache ansprechen. Daß man dabei übers Ziel hinausschießen kann, zeigt ein Videoclip der Bundeswehr, der nach empörter Pseudokritik umgehend aus dem Youtube-Kanal gelöscht wurde.

Der 100-Sekunden-Film zeigt in schnellen Schnitten marschierende und schwerbewaffnete Soldaten sowie Hubschrauber, Panzer und Raketenwerfer im Einsatz. Musikalisch begleitet werden die Bilder von einer Mischung aus harten Gitarrenriffs und der deutschen Nationalhymne. Gesprochen wird kein Wort, da die Produzenten offenbar der Auffassung waren, daß Bilder, Geräusche und Musik zum Transport der intendierten Botschaft völlig ausreichten.

Dieses Internetvideo der Bundeswehr stieß bei der Opposition auf Kritik, die freilich so halbherzig ausfiel, wie man es bei Fraktionen erwarten darf, die zu den führenden Protagonisten deutscher Kriegsbeteiligung gehören. So rügte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Agnieszka Malczak, der auf dem Youtube-Kanal der Bundesregierung veröffentlichte Clip stelle den Dienst bei der Bundeswehr wie ein "Ballerspiel" dar. "Besonders die Untermalung einer Bombendetonation mit der Nationalhymne lässt jede politische und historische Sensibilität vermissen", beklagte Malczak. Und der Verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, erklärte: "Der neue Werbespot zur Gewinnung von Nachwuchspersonal schadet massiv dem Ansehen und dem guten Ruf der Bundeswehr. Es wird eine Klientel angesprochen, die anfällig für Gewaltbereitschaft ist, und sich nicht um die besondere Bedeutung der Bundeswehr in der Gesellschaft kümmert." [1]

Die Sorge um das Ansehen der Truppe ist bemerkenswert, lassen sich doch im Wettlauf um die ehrenwertesten Motive, deutsche Soldaten ins Gefecht um machtpolitische Einflußnahme und weltweite Ressourcensicherung zu schicken, die Zerstörungsfolgen für die Opfer von Angriffskriegen und Besatzungsregimes vortrefflich ausblenden. Daß man auf deutschen Befehl detonierende Bomben wie etwa jene beim Massaker nahe Kundus mit seinen weit über hundert Toten nicht mit der Nationalhymne untermalt hören möchte, liegt auf der Hand. Schließlich hat man die Lehre aus der Geschichte, daß von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfe, längst in ihr Gegenteil verkehrt: Heute erklärt man es für unverzeihlich, sich nicht an gerechten weil vorgeblich menschenfreundlichen Feldzügen zu beteiligen. Gewaltbereitschaft, wie sie doch zur Arbeitsplatzbeschreibung des Soldaten im Auslandseinsatz gehört, zu desavouieren, dient demselben Zweck: Rambo war gestern und das Problem der Amerikaner, wenn das KSK so geheim zur Tat schreitet, daß Berliner Parlamentarier guten Gewissens vorhalten können, sie wüßten auch nichts Genaues.

Wohl wissend, daß die Pseudokritiker nichts gegen Krieg und Bundeswehr einzuwenden haben, wenn sie die Machart des Werbeclips als zu brachial bemäkeln, entgegnete der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Stefan Paris: Der von der Bundeswehr produzierte Film zeichne ein umfassendes und realistisches Bild vom Alltag der deutschen Soldaten. Er habe sich an ein junges Publikum gerichtet und entspreche mit schnellen Schnittfolgen und moderner Musik dem typischen Stil zeitgemäßer Clips. [2]

Nach dem Vorwurf der Gewaltverherrlichung bekam die Bundesregierung dennoch kalte Füße und entfernte den Werbespot nach wenigen Stunden wieder aus ihrem Youtube-Kanal. Der ausschließlich mit Musik unterlegte Clip habe in seiner Aufmachung nicht den internen Vorgaben für einen Webauftritt entsprochen, erklärte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter in Berlin. Die Bundesregierung wolle auf ihrem Youtube-Kanal in Bild und Wort über ihre Arbeit informieren. Man habe dieses Video zurückgezogen, weil die Worte fehlten. Der Film sei nicht ausreichend daraufhin geprüft worden: "Da hat halt jemand nicht aufgepasst." [3]

Dabei haben die Amerikaner schon vor Jahren vorgemacht, wie man direkt ins Kinderzimmer vorstößt, um dem potentiellen Nachwuchs dort zu Leibe zu rücken, wo er sich hinter seiner Spielkonsole verkrochen hat. Nicht zuletzt dank des Videospiels "America's Army" will es das Pentagon geschafft haben, die zwischenzeitlich akuten Rekrutierungsprobleme der im Irakkrieg dezimierten und desillusionierten Streitkräfte zu beheben. Zumindest wußten zahlreiche frischgebackene Rekruten zu berichten, sie hätten sich für das Militär interessiert, als sie das Spiel in seinen Bann geschlagen habe. Da immer mehr US-Soldaten in Leichensäcken aus Afghanistan und dem Irak heimkehrten, kühlte die Kriegsbegeisterung unter den Jugendlichen spürbar ab. Galt es zuvor als passable Idee, über die Verpflichtung bei den Streitkräften den Einstieg in eine schulische und berufliche Ausbildung zu schaffen, verlor die naive Hoffnung zusehends an Boden, dies sei im Grunde ein Job wie jeder andere.

Während Kritiker diese Verführung der Jugend mit Videospielen und Werbegeschenken zur Perversion erklärten, rühmte das Pentagon seine Vorgehensweise als erfolgreiche Kommunikation mit den Jugendlichen, die auf ihre Bedürfnisse eingehe und sie in ihrer vertrauten Umgebung anspreche. Auf diesem Weg ließen sich Werte vermitteln, die nicht nur für den Dienst in den Streitkräften, sondern auch für das spätere Leben in der Zivilgesellschaft bedeutsam und gewinnbringend seien.

Wie der Schöpfer des Videospiels "America's Army", Oberst Casey Wardynski, erklärte, handle es sich dabei um eine Art virtuellen Testlauf, bei dem der soldatische Ethos mit Tugenden wie Führung, Teamarbeit, Werten und Strukturen kommuniziert werde. Und Oberst Randy Zeegers aus dem Entwicklerteam ergänzte: "Wir wollten ein Spiel anbieten, das Kenntnisse über die Armee vermittelt und zugleich Spaß macht, weil ja auch die Armee Spaß macht. Und wir wollten damit direkt ins Wohnzimmer gehen, wo sie sich sowieso jeden Tag aufhalten."

Bei einer informellen Studie im Jahr 2006 gaben 60 Prozent der befragten Soldaten an, sie hätten "America's Army" häufiger als fünfmal die Woche gespielt, und vier Prozent versicherten gar, sie hätten sich speziell wegen dieses Spiels verpflichtet. Allerdings verdankte sich die Trendwende in den Rekrutierungszahlen einem ganzen Bündel von Maßnahmen, darunter den aufgestockten Eingangsprämien von bis zu 40.000 Dollar. Zudem setzte die Armee ihre Rekrutierungsstandards immer niedriger an und näherte sich damit einem Level, der kaum noch zu unterbieten ist.

Den Lobeshymnen der Streitkräfte auf ihr Videospiel "America's Army" halten Kritiker entgegen, daß sich dieses Spiel an Kinder wende, die oftmals nicht älter als zwölf Jahre seien und mit Sicherheit nicht verstünden, was Krieg bedeute. Man blende die Greuel aus und ziehe die Spieler in eine fiktive Erlebniswelt, um sie zu täuschen und mit falschen Versprechen zu ködern. So etwas will sich die Bundeswehr, die ja ebenfalls mit einem ganzen Arsenal von Videospielen, Waffenshows und volkstümlichen Präsentationen wirbt, natürlich nicht nachsagen lassen. Wenn sie in die Schulen geht, wo immer Kultusminister und Direktoren dies zulassen, wird sachlich darüber aufgeklärt, warum zur Erhaltung von Frieden und Freiheit auf der ganzen Welt manchmal leider auch Kriege, pardon, Auslandseinsätze unserer Bundeswehr notwendig sind - schließlich will man ja die Kinder und Jugendlichen zu verantwortungsbewußten Staatsbürgern erziehen.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/politik/deutschland/article13722821/Ballerspiel-Video-bringt-Bundeswehr-Aerger-ein.html

[2] http://www.berliner-kurier.de/politikwirtschaft/bomben-zur-nationalhymne-bundeswehr-zieht-umstrittenes-video-zurueck,7169228,11166462.html

[3] http://www.n-tv.de/politik/Regierung-stoppt-PR-Video-article4802186.html

19. November 2011