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KRIEG/1559: Sind Massaker nicht der Zweck des Krieges? (SB)



Sollte die Frage tatsächlich lauten, warum in aller Welt ein amerikanischer Soldat in der südafghanischen Provinz Kandahar mindestens 16 Zivilisten, darunter neun Frauen und drei Kinder, getötet hat? Wenngleich die prompt präsentierte Ferndiagnose, der Täter leide offenbar an psychischen Problemen, gewiß nicht von der Hand zu weisen ist, bleibt dieser Erklärungsversuch doch nicht minder schablonenhaft und verschleiernd wie die Behauptung, das Motiv sei völlig unklar. Der Soldat habe sein Lager im Kandaharer Vorort Panjway in der Nacht verlassen und kurz darauf das Feuer auf drei umliegende Häuser eröffnet, teilten die örtlichen Behörden mit. Wie ein afghanischer Reporter nach einem Besuch des Tatorts berichtete, sehe es so aus, als sei der Soldat von Haus zu Haus gegangen, um die Bewohner kaltblütig zu erschießen. Unmittelbar nach dem Blutbad stellte sich der Täter und wurde in Gewahrsam genommen.

Was macht ein ausländischer Soldat in Afghanistan, wenn nicht Afghanen töten oder diese Möglichkeit als Teil seines Auftrags einzukalkulieren? Sollte die Version der BBC zutreffen, wonach es sich bei dem Täter um einen Unteroffizier einer Spezialeinheit handelt, liegt darüber hinaus die Annahme nahe, der Soldat habe genau das getan, wofür er ausgebildet und eingesetzt wurde - diesmal jedoch ohne ausdrücklichen Befehl. Wie die offiziellen Stellungnahmen unterstreichen, blendet man diesen Sachverhalt geflissentlich aus, um einen Sonderfall zu postulieren, der in keinerlei Zusammenhang mit der Präsenz westlicher Truppen und deren Auftrag steht.

Die US-Botschaft in Kabul verurteilte die Tat und versprach, den Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Der Kommandeur der internationalen Besatzungstruppe ISAF und der US-Soldaten in Afghanistan, General John Allen, gab sich angesichts des Vorfalls "schockiert". Eine Sprecherin des US-Außenministeriums erklärte, die Regierung spreche den betroffenen Familien ihr "aufrichtiges Beileid" aus. Sie sicherte eine Untersuchung durch die US-Truppen und die afghanischen Behörden zu. Längst sind die hundertmal benutzten Standardformeln zur bloßen Verhöhnung der Menschen in diesem okkupierten Land geronnen, die in unbekannter Zahl von westlichen Soldaten umgebracht werden. Wie ebenfalls am Wochenende bekannt wurde, haben ISAF-Soldaten erst Ende vergangener Woche in der Provinz Kapisa angeblich versehentlich vier afghanische Zivilisten getötet. Angaben des Gouverneurs zufolge wurde aus Hubschraubern, die Taliban-Kämpfer verfolgt hätten, das Feuer auf Dorfbewohner eröffnet. [1]

Präsident Hamid Karsai deutete zunächst den naheliegenden Zusammenhang mit den Worten an, die afghanische Regierung habe diese "sogenannten Einsätze gegen Terrorismus, in denen Zivilisten Opfer erleiden", immer wieder verurteilt. "Aber wenn amerikanische Soldaten vorsätzlich Menschen töten, dann ist das ein unverzeihliches Verbrechen", schwenkte auch der Statthalter der westlichen Mächte in Kabul augenblicklich auf die Version eines Sonderfalls um, den "die US-Regierung dem afghanischen Volk erklären" müsse. [2] Zu verlangen, das Besatzungsregime müsse seinen Opfern darlegen, warum es den lauteren Absichten zum Trotz derart ruchlose Übergriffe zuläßt, weist Karsai einmal mehr als unablässig lavierenden Kollaborateur aus, der mit dreister Scheinheiligkeit allseits seine Unverzichtbarkeit zu befördern trachtet.

So hatte Karsai vor seiner Stellungnahme zu dem jüngsten Massaker mitgeteilt, das Abkommen über eine strategische Partnerschaft mit den USA nach 2014 solle noch im Mai unterzeichnet werden. Beide Seiten hätten sich auf "neue Rahmenbedingungen" verständigt. Anders als ursprünglich geplant solle die Vereinbarung zunächst keine Regelung über die Stationierung von US-Soldaten über Ende 2014 hinaus enthalten. Über diese Frage solle mit der US-Regierung separat verhandelt werden. Als prominentester Profiteur der Okkupation braucht Karsai die Dauerpräsenz der Amerikaner wie die Luft zum atmen, während er sich zugleich seinen Landsleuten als Garant harter Verhandlungen um die Zukunft Afghanistans präsentiert.

Im November 2011 wurde in den USA der Anführer eines Tötungsteams zu lebenslanger Haft verurteilt, der zwischen Januar und Mai 2010 in der Provinz Kandahar mit mehreren anderen Soldaten drei afghanische Zivilisten ermordet hatte. Drei weitere angeklagte US-Soldaten erhielten mehrjährige Haftstrafen. Im Januar sorgte ein Internetvideo für Empörung, auf dem US-Soldaten zu sehen sind, die Leichen afghanischer Aufständischer schänden. Nach der Verbrennung von Ausgaben des Korans durch US-Soldaten auf dem Militärstützpunkt Bagram nahe Kabul gab es Ende Februar im ganzen Land tagelange Proteste, in deren Verlauf 30 Menschen getötet und 200 weitere verletzt wurden. Im Zusammenhang mit der Koran-Verbrennung wurden bis zum 1. März sechs US-Soldaten von afghanischen Kollegen getötet. [3]

Nach der jüngsten Bluttat sollen die wütenden Dorfbewohner die Leichen in Autos geladen haben und zur nächsten US-Basis gefahren sein, um die Besatzer mit ihren Taten zu konfrontieren. Wie es heute fast unisono in der hiesigen Medienlandschaft hieß, seien die Beziehungen zwischen den USA und Afghanistan seit geraumer Zeit extrem angespannt. Bornierter könnte man Krieg und Besatzungsregime samt den damit verbundenen Zielen kaum leugnen.

Fußnote:

[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-amerikanischer-soldat-laeuft-amok-11680481.html

[2] http://www.zeit.de/news/2012-03/11/konflikte-us-soldat-toetet-afghanische-frauen-und-kinder-11173602

[3] http://www.stern.de/politik/ausland/amoklauf-im-suedafghanischen-kandahar-us-soldat-toetet-16-zivilisten-1798430.html

11. März 2012