Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1576: Deutsche Beteiligung am Syrienkrieg - Heute leugnen, morgen legitimieren (SB)




Warum der westlicherseits betriebene Regimewechsel in Syrien irreführend als Stellvertreterkrieg bezeichnet wird, liegt auf der Hand. Anders als im Falle Libyens, wo es den USA, Frankreich, Britannien und ihren Verbündeten gelang, Rußland und China auszubooten, verhindert deren Weigerung, auch Syrien widerstandslos in die Hände der westlichen Mächte fallen zu lassen, eine offene militärische Intervention. Moskau und Beijing haben bislang im UN-Sicherheitsrat schärfere Sanktionen blockiert und weisen aktuelle Angriffsdrohungen US-Präsident Barack Obamas entschieden zurück. Während beim Umsturz in Libyen der Einsatz von Spezialkommandos nicht nur publiziert, sondern nicht selten sogar als maßgeblicher Beitrag zum Erfolg des Aufstands hervorgehoben wurde, ist davon beim Angriff auf Syrien keine Rede mehr. Wie die ungleich stärker eingeschätzten syrischen Streitkräfte von den verschiedenen oppositionellen Fraktionen derart in die Enge getrieben und spektakuläre Anschläge auf hochrangige Politiker verübt werden konnten, ist indessen ohne entscheidende Mitwirkung westlicher Spezialkommandos kaum zu erklären. Hinzu kommt die Aufrüstung der Free Syrian Army (FSA) durch die Türkei sowie Saudi-Arabien und Katar, wodurch die Aufständischen nicht nur über erbeutetes Kriegsgerät, sondern auch andere schwere Waffen verfügen. Gebremst wird die Aufmunitionierung der FSA lediglich durch das Kalkül, den Handlangern des Regimewechsels wie insbesondere islamistischen Kräften keine militärische Schlüsseltechnologie in die Hände zu spielen, die sie später gegen ihre derzeitigen Hintermänner richten können.

Um so wichtiger ist es für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, diesen Kriegszug einerseits zu verschleiern, während sie andererseits das gesamte Repertoire verdeckter Operationen und logistischer Unterstützung ausspielen. Auch Deutschland ist mit subtilen, aber zweifellos wirkungsvollen Mitteln beteiligt, wie die aktuell losgetretene Kontroverse um den Marineeinsatz vor der syrischen Küste einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen führt. Bereits im Juli war bekannt geworden, daß die Bundesregierung einen geheimen Think Tank aufgebaut und unterstützt hat, der bis zu 50 oppositionelle Syrier einfliegen ließ, um Vorbereitungen für die Zeit nach dem Sturz Assads zu treffen. Zudem steht Deutschland zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten der Arbeitsgruppe "Wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung" im Rahmen der "Freundesgruppe des syrischen Volkes" vor. Diese Arbeitsgruppe soll Pläne entwerfen, wie in Syrien eine Massenprivatisierung von Staatsbetrieben und die Durchsetzung der Marktwirtschaft gewährleistet werden kann. Anfang August richtete das Auswärtige Amt schließlich eine ressortübergreifende Task Force Syrien ein, um "die umfassenden Aufgaben in der Bundesregierung noch stärker zu bündeln", wie Außenminister Guido Westerwelle mitteilte. [1]

Hinzu kommt die zentrale Rolle der deutschen Marine an der Küste des Libanon, wo sie im Rahmen der UNIFIL-Mission den Waffenschmuggel an die Hisbollah verhindern soll, jedoch noch keine Lieferung an die Umstürzler in Syrien aufgehalten hat. Wie nun bekannt wurde, ist ein Spionageschiff der Bundesmarine vor der Küste Syriens stationiert, das mit modernster Technik des BND zur Überwachung des Landes ausgestattet sein soll. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums bestätigte, daß sich das Flottendienstboot "Oker" derzeit zu einem mehrmonatigen Einsatz in der Region befindet, wobei er sich die Bezeichnung "Spionageboot" verbat. Es handle sich vielmehr um ein Schiff, das zu den "Frühwarn-, Fernmelde- und Aufklärungseinheiten" der Marine gehöre.

Diese Wortklauberei zur Leugnung des Offensichtlichen treibt derzeit skurrilste Blüten, die in einem Kommentar von Rolf Clement im Deutschlandfunk [2] ihren vorläufigen Höhepunkt fanden. Er will die Zuhörer in seinem Fazit glauben machen, es handle sich um nichts weiter als eine "der Sommergeschichten, die uns in der nachrichtenarmen Zeit bewegen, im Kern aber nicht aufregend sind - wenn keine neuen Erkenntnisse mehr dazu kommen". Selbstverständlich wolle die deutsche Regierung "möglichst präzise Erkenntnisse über ein Bürgerkriegsland wie Syrien haben". Jede "Veränderung des komplizierten Machtgeflechts" in dieser Krisenregion könne "unabsehbare Weiterungen" haben. Beispielsweise müsse man Vorsorge für den Wegfall des "gewissen Schutzraums" treffen, den religiöse Minderheiten unter Assad hatten. Daher sei "die Aufklärung der syrischen Szene nicht nur zulässig, sondern ein Gebot. Bleibt die Frage, wie man das am besten macht".

Nach dieser einleitenden Umdeutung hiesiger Interessen in ein humanitäres Anliegen zieht Clement mit den Vorzügen deutscher Wertarbeit in Sachen Aufklärung vom Leder. "Klassische Geheimdienstarbeit an Land ist die eine Seite, da ist Deutschland in Syrien historisch recht stark." Die andere Seite sei die Überwachung des Funkverkehrs, wozu unter anderem Einrichtungen der NATO im Süden der Türkei dienten. Die dritte Ebene sei "die optische Aufklärung, die in diesem Fall von See aus geleistet werden kann." Wie sich letztere Behauptung mit Presseberichten verträgt, wonach mit den Instrumenten auf dem Schiff Truppenbewegungen bis zu 600 Kilometer tief in Syrien beobachtet werden können, bleibt das Geheimnis des Kommentators, der die Informationen des Schiffsradars kurzerhand für "zu grobkörnig" für die operative Planung der Opposition erklärt.

Das Anliegen, ein Aufklärungsboot der Marine dorthin zu entsenden, hält er für nachvollziehbar, und dieser Auftrag erfordere keinen Waffeneinsatz - "folglich bedarf es auch keines formellen Beschlusses des Bundestages". Wer da von einem Spionageboot spreche, wolle unabhängig vom sachlichen Gehalt des Vorgangs eine politische Diskussion anheizen. Der "neutrale Begriff Aufklärung" reiche nicht "zur Skandalisierung", die "das Boulevardblatt" mit dieser Geschichte im Sinn habe. "Mag sein, dass der Bundesnachrichtendienst mit Gerät geholfen hat. Mag auch sein, dass BND-Mitarbeiter auf dem Schiff sind, die Indizien dafür sind allerdings schwach. Hier ist die Geheimniskrämerei unverständlich. Denn operativ ist nicht bedeutend, wer schaut, sondern nur, dass geschaut wird."

Heruntergebrochen auf die vorgebliche Banalität, daß man ja wohl noch schauen dürfe, was in Syrien los ist, gerät die Weitergabe der gesammelten Informationen nachgerade zur Nebensache. Um ein umfassendes Lagebild zu erstellen, müsse man die eigenen Erkenntnisse mit denen der Partner zusammenführen - "auch das ist normales Geschäft". "Wenn einige Partner durch Information der Aufständischen in Syrien indirekt eingreifen, ist das deren Sache - da können aus deutschen Quellen gespeiste Informationen einfließen. Daraus aber eine Beteiligung Deutschlands am Bürgerkrieg zu konstruieren, geht zu weit."

"Aufklärung ist nicht gleich Spionage", postuliert Rolf Clement apodiktisch, womit er einen Schritt weiter geht als Fritz-Rudolf Körper, SPD-Experte im Parlamentarischen Kontrollgremium. Dieser behauptet, der monierte Marine-Einsatz sei durch das Bundestagsmandat zur UNIFIL-Mission gedeckt, wobei er betont, daß die vom BND an Bord gesammelten Informationen nicht an die syrischen Rebellen weitergeleitet würden. Die Frage, ob sich Deutschland damit indirekt am Bürgerkrieg in Syrien beteilige, könne er "eindeutig verneinen". [3] Während sich Körper noch hinter der Vertuschungsformel verschanzt, die FSA erhalte keine deutschen Informationen, erklärt Clement die Weitergabe der Daten an die Verbündeten und letztlich auch die Aufständischen in Syrien zur Normalität, gegen die nicht das geringste einzuwenden sei. So überführt man die vehemente Leugnung deutscher Kriegsbeteiligung schnurstracks in deren Legitimation.

Bald schon wird man es wie die britische Regierung und ihre Leitmedien machen, die mit ihrem Beitrag zum gewaltsamen Regimewechsel in Syrien nicht hinter dem Berg hält. Die Zeitung The Sunday Times zitierte einen Vertreter der Aufständischen mit einem dezidierten Bericht über deren Unterstützung durch den britischen Geheimdienst. Dieser beobachte die Lage von Zypern aus genau und liefere Informationen über Bewegungen der Truppen von Präsident Assad. Gesammelte Informationen würden dann an die USA und die Türkei weitergegeben. "Wir bekommen sie von den Türken", entschlüsselte der Oppositionsvertreter die Kette. Schon bei der Verlegung von Regierungstruppen in Richtung der umkämpften Wirtschaftsmetropole Aleppo habe Großbritannien wertvolle Informationen geliefert. Mit deren Hilfe hätten die Rebellen die Armee Anfang August bei der südwestlich gelegenen Stadt Idlib und auf ihrem Weg nach Aleppo hinein "mit Erfolg" angegriffen.

Folglich bedarf es keiner offensichtlichen Kriegstreiber wie des ehemaligen Außenministers Joseph Fischer mehr, der sich für die Errichtung einer Flugverbotszone über Syrien einsetzt, wie sie schon in Libyen als Vorwand für eine direkte militärische Intervention diente: "Es ist eine große humanitäre Katastrophe, die sich da abzeichnet", erklärte er. "Deswegen stehe ich der Einrichtung einer Flugverbotszone grundsätzlich positiv gegenüber." Schwenkte schon im Libyen-Krieg eine ganze Schwadron der Friedensbewegung ins Lager der Hatz auf den Popanz angeblicher Diktatoren um, so findet die aggressive deutsche Außenpolitik im Falle Syriens weiteren Zulauf all jener, die ihr Seelenheil darin zu finden glauben, dem Muskelspiel imperialistischer Angriffskrieger zu huldigen.

Fußnoten:

[1] http://www.wsws.org/de/2012/aug2012/syri-a21.shtml

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kommentar/1844810/

[3] http://www.nzz.ch/aktuell/international/schiff-der-bundesmarine-vor-der-kueste-syriens-1.17496992

21. August 2012