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KRIEG/1607: Stolperstein Syrien - Raubzug der NATO gerät ins Stocken (SB)




Als eine der letzten verbliebenen Bastionen gegen die Expansion der NATO-Staaten im Nahen Osten ist Syrien für Rußland und mittelbar auch für China zu unverzichtbar, als daß sich die beiden ständigen Sicherheitsratsmitglieder wie im Falle Libyens erneut ausmanövrieren ließen. In Anbetracht dieser Konstellation zielte die Strategie der westlichen Mächte bislang darauf ab, den Regimewechsel in Damaskus ohne direkte militärische Intervention in Gestalt eines offenen Luft- und Bodenkriegs herbeizuführen. Der anstelle dessen forcierte Stellvertreterkrieg eskalierte in eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Fraktionen auf seiten der Aufständischen, die von Vorkämpfern sozialer Anliegen bis zu islamistischen Gruppierungen, die anderswo als Erzfeinde der USA und deren Verbündeten aufs schärfste bekämpft werden, reicht. Um dieses Konglomerat aufzurüsten, ist jedes Mittel der Zerstörung recht, das folglich aller vorgehaltenen Ideologie zum Trotz, es gehe um den Aufbau demokratischer Staatlichkeit, in einen Kessel entufernder Gewalt mündet, der Syrien zu zerschlagen und die gesamte Region mit einem Flächenbrand zu überziehen droht.

Wie schon im Irak, in Afghanistan oder in Libyen ist die Zersplitterung und Fragmentierung, sind Blutvergießen und Verelendung auch in Syrien kein Kollateralschaden, sondern Ziel einer Kriegsführung, die sich der aberwitzigen Doktrin der kreativen Zerstörung zum Zweck der Okkupation verschrieben hat. Daß dabei grausamste und reaktionärste Kräfte auf den Plan gerufen und aufmunitioniert werden, dient einem zweifachen Zweck: Sie sollen als skrupellose Hilfstruppen den Gegner entscheidend schwächen und zugleich das westlicherseits in Stellung gebrachte Feindbild Islam befeuern. Daß diese Entfesselung islamistischer Söldner unkontrollierbare Folgen zeitigt, liegt auf der Hand. Ohne sie wäre der syrische Aufstand längst an den Streitkräften Assads gescheitert, mit ihnen sehen sich Israelis und Amerikaner bereits im nächsten Schritt bedroht.

Nicht das Leid der syrischen Bevölkerung, sondern die potentielle Bedrohung Israels und US-amerikanischer Einrichtungen lösen Überlegungen aus, welche Waffen besser nicht in die Hände solcher Gruppierungen gelangen sollten und wie sich die moderateren Fraktionen der Aufständischen demgegenüber stärken ließen. Machten sich die westlichen Mächte tatsächlich Sorgen um das Schicksal der Syrer, wäre es nie zu den fast hunderttausend Toten, unzähligen verletzten und traumatisierten Menschen, Millionen Flüchtlingen, zur Verelendung eines ganzen Landes und weitreichenden Zerstörungen der Infrastruktur gekommen. Solange die Aufständischen zu gewinnen schienen, beklagte man unter Krokodilstränen die Opfer des angeblichen Bürgerkriegs, während man ihn zugleich kräftig anheizte. Jetzt, da die Rebellen unmittelbar vor der Niederlage stehen, bringt man ein ganzes Arsenal interventionistischer Maßnahmen bis hin zur Option des bislang gescheuten offenen Angriffs der NATO in Stellung, um das Blatt noch einmal zu wenden.

"Das Richtige für Syrien zu tun, ist wichtiger als die Frage, ob die EU in allen Details einer Meinung ist." [1] Diesen Worten des britischen Außenministers William Hague zufolge weiß man in London offenbar besser als in Syrien, was gut für das Land und die dort lebenden Menschen ist, und will dies im Zweifelsfall auch im Alleingang durchsetzen. Skrupel wie die des österreichischen Außenministers Michael Spindelegger, der es für falsch hielt, sich durch Waffenlieferungen vorsätzlich an dem Konflikt zu beteiligen, wo doch die EU gerade erst den Friedensnobelpreis erhalten habe, sind da natürlich kontraproduktiv.

Eine US-amerikanische Delegation, angeführt von Außenminister John Kerry und den Senatoren John McCain und Bob Menendez, drohte am Rande des Weltwirtschaftsforums in Jordanien mit einer ähnlichen Intervention wie in Libyen. Man sei bereit, die Stabilität des jordanischen Regimes, sein Volk und sein Staatsgebiet zu schützen, worunter auch die Bereitstellung von Patriot-Raketensystemen falle. Dies sei der erste Schritt zur Einrichtung einer Flugverbotszone innerhalb Syriens, der der Opposition die Möglichkeit gebe, sich zu organisieren und die Lage in dem Konflikt so zu verändern, wie es in Libyen der Fall gewesen sei. Zugleich gestattet die Regierung in Amman den israelischen Streitkräften, im jordanischen Luftraum Spionagedrohnen zur Beobachtung der Lage in Syrien einzusetzen und ihn für Angriffe auf Syrien zu nutzen.

US-Präsident Barack Obama hatte wiederholt gedroht, durch den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien würde eine rote Linie überschritten, worauf man "die Regeln ändern" werde. Nun behauptet der französische Außenminister Laurent Fabius, die syrischen Streitkräfte hätten Chemiewaffen eingesetzt, womit er die Bewaffnung der Aufständischen rechtfertigen und den Weg für eine direkte Militärintervention freimachen möchte. Es gebe immer mehr Beweise für einen lokal begrenzten Einsatz von Chemiewaffen, so Fabius. Demgegenüber schreiben US-amerikanische Wissenschaftler im "Bulletin of Atomic Scientists": "Der Gebrauch chemischer Kampfstoffe wie Senfgas, Sarin und VX konnte bisher in keinem einzigen Fall durch eine internationale Untersuchung nachgewiesen werden." Auch Zeugenaussagen und die Auswertung von Videoaufnahmen angeblicher Chemiewaffenopfer gäben keine Hinweise. [2]

Mit der Aufhebung des Waffenembargos für die Aufständischen hat die Europäische Union das Tor zur offenen Kriegsbeteiligung weit aufgestoßen. Zudem lockert die EU verhängte Wirtschaftssanktionen, soweit dies mit der Opposition abgesprochen ist und das Einfrieren von Konten syrischer Firmen sowie Regierungsvertretern nicht unterwandert. Die Dienstleistungen dürften aber nur dann gewährt werden, wenn dadurch humanitäre Hilfe und der Wiederaufbau der Grundversorgung finanziert werden kann. Zynischer könnte die strikte Grenzlinie zwischen humanitärer Hilfe im Dienst der Kriegsführung und fortgesetztem Sanktionsdruck auf die übrige syrische Bevölkerung kaum gezogen werden.

Deutschland hat sich bislang unter anderem mit Agenten des BND in Syrien und Spionageschiffen vor der Küste am Krieg beteiligt. Im Rahmen der NATO sind Soldaten der Bundeswehr mit Patriot-Batterien im südtürkischen Grenzgebiet stationiert. Ob neben anderen westlichen Spezialkräften auch das deutsche KSK in Syrien aktiv ist, konnte bislang nicht verifiziert werden. Bekannt ist hingegen, daß der BND wieder sogenannte "Medipacks" an die Freie Syrische Armee verschicken darf, die Medizin und Schußwesten enthalten. Außenminister Guido Westerwelle hat sich für eine Einigkeit der EU bei der Aufhebung des Waffenembargos für die Aufständischen starkgemacht: "Je geschlossener Europa agiert, umso größer ist auch unser Einfluss bei der Überwindung der derzeitigen Gewalt in Syrien."

Inzwischen hat Rußland die lange eingefrorenen Waffenlieferungen an die syrische Regierung zugesagt. Dies betrifft den Verkauf von zehn Kampfflugzeugen des Typs MiG-29 M/M2, vier Flugabwehrsystemen des Typs S-300 PMU-2 sowie Schiffsabwehrraketen des Typs P-800 Jachont. Bis das Kriegsgerät geliefert und einsatzbereit ist, wird jedoch noch geraume Zeit vergehen. Diese Maßnahme Moskaus wie auch der entschiedene Protest der chinesischen Regierung gegen die Aufhebung des Waffenembargos seitens der EU sind jedoch als deutliche Signale zu werten, daß Rußland und China dem Vormarsch der NATO in Syrien größere Steine in den Weg legen, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Unter diesen Voraussetzungen läßt die geplante Friedenskonferenz in Genf, sofern sie überhaupt stattfindet, ein diplomatisches Hauen und Stechen erwarten. Die von ausländischen Söldnergruppen durchsetzte syrische Opposition hat de facto abgesagt, indem sie ihre Teilnahme an unerfüllbare Vorbedingungen wie die Einstellung des möglicherweise kriegsentscheidenden Angriffs der Regierungstruppen auf die Stadt Kusair sowie den vollständigen Abzug der Hisbollah und iranischer Milizionäre bindet. Daß sie mit ihrer Haltung, es gehe nicht um Verhandlungen, sondern die Durchsetzung eines Ultimatums, nicht alleinsteht, unterstreicht eine Aussage des französischen Präsidenten François Hollande: Erklärtes Ziel der Friedenskonferenz müsse die Absetzung Assads sein. Ohne diese Vorgabe könne die Opposition kaum einen Friedensprozeß akzeptieren. [3]

Wo Frieden die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mittel ist, sind mahnende Worte wie jene der Menschenrechtsbeauftragten der Vereinten Nationen, Navi Pillay, nicht mehr als trügerischer Schaum auf dem bitteren Absud imperialistischer Raubzüge. Sie rief die internationale Gemeinschaft zum Verzicht auf Waffenlieferungen an Syrien auf. "Die Botschaft unseres Treffens sollte klar sein: Wir heizen diesen Konflikt nicht mit Waffen, Munition, Politik oder Religion an", sagte Pillay vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. [4]

Fußnoten:

[1] http://www.wsws.org/de/articles/2013/05/30/syri-m30.html

[2] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/deutsche-zu-syrien-geld-ja-waffen-nein/8284930.html

[3] http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1457523

[4] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afrika/auslaufen-des-eu-embargos-merkel-werden-auf-keinen-fall-waffen-nach-syrien-liefern-12200573.html

2. Juni 2013