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KRIEG/1638: Kriegsgründe gesucht und gefunden ... (SB)




"Prinzipien sollte man so hoch halten, daß man unter ihnen durchlaufen kann", lautet ein Kommentar, mit dem der ehemalige Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß seine Haltung zum Verbot des Lieferns von Rüstungsgütern in Spannungsgebiete illustriert haben soll. Was Waffen überhaupt außerhalb von Krisengebieten zu suchen hätten, ist ein anderes Bonmot, das dem Altvorderen der CSU in den Mund gelegt wird. Zweifellos wäre er erfreut darüber gewesen, daß es heute keiner konspirativen Energie mehr bedarf, um deutsches Kriegsgerät überall dorthin zu exportieren, wo der akute Bedarf auf Anschlußaufträge hoffen läßt.

Ganz offen wird mit humanitären Argumenten zu Werke gegangen, die nicht fadenscheiniger sein könnten, wenn man ihren universalen Charakter ernst nimmt. Was könnte scheinheiliger sein, als Krokodilstränen über die Probleme der Yeziden, die seit jeher als verfolgte Minderheit zwischen die Fronten diverser Kontrahenten geraten, zu vergießen, während die seit langem erfolgenden Angriffe islamistischer Milizen auf die kurdische Bevölkerung im Norden Syriens nicht einmal Erwähnung finden? Nachdem diverse NATO-Staaten den syrischen Bürgerkrieg durch die Unterstützung ausgesprochener Mordbrenner, die mit den ursprünglichen Regierungsgegnern des demokratischen syrischen Widerstands nicht zu verwechseln sind, angeheizt haben, entdecken sie plötzlich, daß das Enthaupten von Menschen grausam ist. Wer bisher - wie die syrischen Opfer islamistischer Schlächter - darunter zu leiden hatte, daß die EU-europäische und US-amerikanische Hegemonialpolitik einen Regimewechsel in Damaskus herbeiführen will, hat kein Mitgefühl zu erwarten. Für eine Kriegsmaschinerie, der die Munition nicht ausgeht, so lange neue Feinde in ihr Visier geraten, sind nur Opfer interessant, die weitere Kriegsgründe in die Welt setzen.

Wenn heute gefordert wird, Waffen an "die Kurden" zu liefern, dann sind ausschließlich die Peschmerga der nordirakischen Kurdenparteien DPK und PUK gemeint, keinesfalls aber die Truppen der selbstverwalteten Kantone Rojavas, die unter Kontrolle der an die Politik der PKK angelehnten PYD stehen. Hier handelt es sich um zwei Organisationen der kurdischen Befreiungsbewegung, die zu bekämpfen ein Grund dafür ist, daß die Regierung in Ankara den in Syrien agierenden Islamisten Rückzugs- und Durchgangsmöglichkeiten auf türkischem Gebiet gewährt. Diesem NATO-Staat arbeitet die Bundesrepublik bei der Bekämpfung seiner Gegner zu, indem kurdische Aktivistinnen und Aktivisten der PKK wie türkische Linke in der Bundesrepublik politisch verfolgt werden, wobei angebliches Beweismaterial türkischer Geheimdienste, das unter Folter zustande gekommen sein kann, Verwendung findet. Kritik aus Berlin an der Unterstützung islamistischer Milizen durch die gleiche Regierung, deren staatsautoritärer Praxis die Bundesrepublik mit diesen Handreichungen zuarbeitet? Fehlanzeige.

Wie stets bei der Legitimationsproduktion üblich, wird der Blick starr auf ein humanitäres Elend gerichtet, während die Empörung über vergleichbare Entwicklungen etwa im palästinensischen Gaza oder im ukrainischen Donbass an den Scheuklappen des höchst selektiven Informationsmanagements bricht. An letzterem Schauplatz westlicher Hegemonialpolitik wird geradewegs auf den Kopf gestellt, was man selbst vor 15 Jahren in Jugoslawien zum alternativlosen Anlaß für einen Aggressionskrieg erhob - eine Regierung drangsaliert einen separatistischen Teil der eigenen Bevölkerung mit militärischen Mitteln. Was dem Kreml heute als illegitime Unterstützung ostukrainischer Rebellen angelastet wird, die sich gegen eine durch Putsch an die Macht gelangte Regierung erheben und einen föderalen Status ihres Gebietes innerhalb der Ukraine verlangen, bleibt weit hinter der Instrumentalisierung der kosovo-albanischen UCK durch die NATO zurück.

Die gewaltsame Abtrennung der Provinz Kosovo von Serbien ist auch nicht mit der angeblichen Annexion der Krim durch Rußland vergleichbar, erfolgte der Übertritt zur Russischen Föderation doch als Ergebnis eines Referendums ohne vorausgegangenem Bürgerkrieg. Daß die von EU und USA unterstützte Regierung in Kiew nun eine angebliche antiterroristische Operation im Osten der Ukraine durchführt und dabei eine humanitäre Katastrophe verursacht, Hunderte von Zivilisten tötet und Tausende verletzt, wird mit der gleichen legalistischen Willkür gutgeheißen wie die angebliche Selbstverteidigung Israels gegen die Bevölkerung des Gazastreifens.

So vordergründig die Argumente sind, mit denen für die sukzessive militärische Intervention der Bundesrepublik im Nordirak geworben wird, so tief verankert ist die Absicht, die Kriegsbereitschaft der Bevölkerung durch das Erzeugen neuen Handlungsbedarfs zu erhöhen. Hier geht es weniger um das Erschließen zusätzlicher Absatzfelder für die deutsche Rüstungsindustrie als das Erwirtschaften strategischer Vorwandslagen, mit denen sich Weltpolitik nach Art des Hauses Gauck und Merkel machen läßt. Wo die Überprüfbarkeit stichhaltiger Argumente und die Kohärenz in Anspruch genommener Werte keiner Überprüfung standhält, die sich nicht durch den blutigen Widerschein des Feindbilds des Tages blenden läßt, wird die Zurichtung der Bundesbürger auf die bereitwillige Zustimmung zu neuen Kriegen eingeübt. Das Ausmaß an Ignoranz, dessen es bedarf, das Kartenhaus der Kriegsvorwände nicht durch naheliegende Fragen zu erschüttern, kann gar nicht groß genug sein, wenn es darum geht, sehenden Auges Katastrophen zu provozieren.

18. August 2014