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KRIEG/1645: Und wieder steht der Feind im Osten ... "Speerspitze" gegen Rußland (SB)



Die Schaffung der auf dem NATO-Gipfel im September 2014 in Wales beschlossenen "Speerspitze" steht kurz bevor. Wie der damalige NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ankündigte, werde diese "Speerspitze" mehrere tausend Soldaten umfassen, die innerhalb weniger Tage eingesetzt werden können und Unterstützung aus der Luft, von See und durch Spezialeinheiten erhalten sollen. Diese Woche wird über die Aufstellung der neuen schnellen Eingreiftruppe auf einem Ministertreffen der NATO beraten. Das Vorhaben, Kommandoeinheiten in den drei baltischen Staaten, in Polen, Rumänien und Bulgarien zu stationieren, um für sogenannte Verteidigungsbereitschaft zu sorgen, steht praktisch fest und darf als deutliches Signal in Richtung Rußland verstanden werden.

Der amtierende NATO-Generalsekretär hat diese Maßnahme als "größte Verstärkung unserer gemeinsamen Verteidigung seit dem Ende des Kalten Krieges" bezeichnet. Dies sei erforderlich, weil Rußland bereit sei, Gewalt einzusetzen, wie die Beispiele Georgien und Ukraine zeigten, so Jens Stoltenberg bei der Präsentation des NATO-Jahresberichts am Freitag. Im Fall Georgien stellt er die Verhältnisse schlichtweg auf den Kopf, ging der angebliche Aggressionsakt Rußlands doch laut einer Untersuchung der OSZE daraus hervor, daß georgische Truppen den Krieg unprovoziert mit dem intensiven Artilleriebeschuß russischer Friedenstruppen und südossetischer Zivilisten begonnen hatten [1]. Im Fall der Ukraine kann dies nur behauptet werden, wenn der geostrategische Kontext des dortigen Krieges ignoriert [2] wird. Ohnehin wird längst nicht mehr darüber gesprochen, daß die NATO durch die Aufkündigung der Gültigkeit des Völkerrechts im Jugoslawienkrieg dem Kreml für vergleichbare Situationen Carte blanche gegeben hat [3].

Doch Legitimationsfragen spielen ohnehin nur eine untergeordnete, mehr dem Publikum als der eigenen Entscheidungsfindung zugedachte Rolle. Stoltenberg stellt Rußland als potentiellen Aggressor dar, indem er erklärt, das Land habe seine Militärausgaben erhöht und seine Fähigkeiten zur schnellen Mobilisierung Zehntausender Soldaten verbessert. Hier muß die NATO gegenhalten, als sei das angebliche Verteidigungsbündnis dafür zuständig, bei ihren Regierungen nicht genehmen Entwicklungen außerhalb des Bündnisgebietes zu intervenieren. Die zu diesem Zweck von Stoltenberg angemahnte Steigerung der Rüstungsausgaben setzt auf ein Niveau von rund 750 Milliarden Euro auf, das die 28 Mitgliedstaaten der NATO bereits auf die Waage bringen, während die nunmehr offiziell als militärischer Gegner ins Auge gefaßte Russische Föderation lediglich ein Zehntel dessen für ihre Streitkräfte ausgibt.

Stoltenbergs Argument, mit dem Wachstum der Wirtschaft müßten sich auch die Militärausgaben erhöhen, macht im Klartext geltend, daß jede ökonomische Expansion ihrer gewaltsamen Durchsetzung bedarf. Dementsprechend hat die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) als "Wirtschafts-NATO" bezeichnet. Die in den NATO-Staaten stagnierenden Wachstumsraten und eine Weltwirtschaftskrise, die das Scheitern des Kapitalismus als eine die Lebensverhältnisse der Menschen positiv entwickelnde Gesellschaftsform nicht besser dokumentieren könnte, begünstigen mithin die Entfesselung aller Formen von Zwang und Gewalt, die Gründe dafür liefern, davon abzulenken, daß die Verwertung menschlicher Arbeit das auf dem Finanzmarkt akkumulierte Kapital immer weniger in Wert halten kann.

Wie es der wachsenden Zahl von Menschen ergeht, die auf der Strecke ihres angeblich nicht mehr gegebenen Nutzens bleiben, ist derweil in der Ukraine zu erleben. Einen "Readiness Action Plan", so die offizielle NATO-Bezeichnung für die Schaffung einer "Speerspitze" gegen Rußland, zur Behebung der dort auf beiden Seiten der Front grassierenden sozialen Not wird es nicht geben. Sie ist die Voraussetzung dafür, die Menschen mit nationalistischen und rassistischen Motiven gegeneinander aufzubringen, um sie auf eine Weise verfügbar zu machen, daß sie nie wieder auf den Gedanken kommen, auch nur die Herrschaft der Oligarchen überwinden zu wollen.


Fußnoten:

[1] KRIEG/1624: Ostexpansion der NATO schafft Brandherde (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1624.html

[2] KRIEG/1631: Deutungsmacht der NATO provoziert Staatenkriege (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1631.html

[3] KRIEG/1626: Blinder Fleck Jugoslawienkrieg - Völkerrecht à la carte (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1626.html

1. Februar 2015


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