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KRIEG/1691: Die Normalität des Terrors gebiert Ungeheuer (SB)



Was hat diesen gutsituierten, weißen Buchhalter mutmaßlich dazu getrieben, ein Massaker an dem Publikum eines Country-Konzertes in Las Vegas zu begehen? Schon die Frage verrät, daß der ansonsten sofort im Raum stehende Terrorverdacht an dieser Stelle nachrangig behandelt wird. Wäre als mutmaßlicher Täter ein Araber identifiziert worden, dann wäre diese Frage nicht nur gestellt, sondern halb beantwortet gewesen.

Als am 19. April 1995 ein Anschlag auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City verübt wurde, bei dem 168 Menschen unter den Trümmern des achtstöckigen Alfred P. Murrah Federal Building begraben wurden, verliefen die Spekulationen über den Tathintergrund über einen Tag lang in Richtung islamistischer Terrorismus. Dabei hätten informierte Beobachter der US-amerikanischen Rechten sofort den Verdacht haben können, daß das Attentat aus den Reihen schwerbewaffneter Milizen erfolgte, kursierte in diesen Kreisen doch seit langem die Idee, mit Angriffen auf die Zentralregierung in Washington die Freiheiten der US-Bürger, die diese angeblich verraten hätte, wiederherzustellen. Auch das Entfachen eines Bürgerkrieges, in dem alle nichtweißen Minderheiten außer Landes getrieben oder in Ghettos gesteckt werden, gehört zu den Plänen, über die unter rechten Milizionären debattiert wurde und wird.

Als sich der Irakkriegs-Veteran Timothy McVeigh als Täter entpuppte, war klar, daß der bis dahin schwerwiegendste terroristische Anschlag auf US-amerikanischen Boden eben dieser militanten Ideologie geschuldet war. Im Fahrzeug von Stephen Paddock, des mutmaßlichen Attentäters von Las Vegas, wurde laut Polizeiangaben mehrere Pfund Ammoniumnitrat sichergestellt. Es ist die gleiche explosive Substanz, mit der das Regierungsgebäude in Oklahoma City zerstört wurde. Dennoch wird weiter über die Motive Paddocks gerätselt, ohne einen solchen Hintergrund auch nur in Erwägung zu ziehen.

Ohnehin belegt die Vermutung, der Attentäter habe kein politisches Motiv für seinen Anschlag gehabt, den ideologischen Charakter der Deutung solcher Bluttaten. So widerspricht die Annahme, eine solche Tat müsse ein nachvollziehbares Motiv aufweisen, der anerkannten Lesart terroristischer Gewalt. Zumindest für die dabei ums Leben kommenden Attentäter als auch deren Opfer sei sie ganz und gar "sinnlos" und "irrational". Wäre der Willen, eine solche Monstrosität zu begehen, nachvollziehbar begründbar, dann wäre Terrorismus nur eine Methode der Kriegführung unter anderen. Gerade das soll nicht der Fall sein, ansonsten müßte nicht zwischen der Legalität eines staatlichen Gewaltmonopols, das etwa Hinrichtungen aus heiterem Himmel durch den Abschuß von Lenkwaffen in aller Welt vollzieht, und dem Verbrechen des Terrorismus differenziert werden.

Nur weil Paddock keine materielle Not gelitten und auch sonst keine offensichtlichen Probleme mit seiner sozialen Umgebung gehabt haben soll, ist nicht auszuschließen, daß er als ganz normales Konkurrenzsubjekt einer ausschließlich auf Verwertungsinteressen orientierten Gesellschaft deren Gewaltcharakter zum Anlaß eines Rachefeldzuges an anderen, nicht minder fremdbestimmten Marktsubjekten genommen hat. Es ist nicht nur die Freizügigkeit des Waffenbesitzes in der US-amerikanischen Gun Culture, die dafür sorgt, daß sich derartige Massaker regelmäßig wiederholen. Sie finden auch in anderen Ländern statt, wo weniger leicht an Sturmgewehre heranzukommen ist. Ob in der Schule oder in der Einkaufsstraße, ob im Büro oder irgendwo auf der Straße, der Terror der Normalität gebiert Ungeheuer, die als Zerrbilder eigener Herkunft vergessen machen, wie sehr soziale und materielle Zwangslagen Menschen in die Enge treiben und an ihrer Ohnmacht verzweifeln lassen können. So könnten scheinbar anlaßlose Gewaltausbrüche auch mit dem Scheitern einer auf Erfolgsstreben und Eigenverantwortung abonnierten Subjektivierung, die in der gesellschaftlichen Realität permanent durch erzwungene Unterwerfung und Klassenkonflikte widerlegt wird, erklärt werden. Daß besonders häufig männliche weiße Jugendliche und Erwachsene aus dem Mittelstand zur Waffe greifen, während Frauen oder Mitglieder nichtweißer und queerer Minderheiten, die kaum weniger Gründe hätten, aus Rachsucht wahllos um sich zu schießen, bei den sogenannten Amokläufen eher unterrepräsentiert sind, läßt ahnen, daß das Scheitern unterstellter Rechtsansprüche und Privilegien eine explosive Mischung bilden kann.

Mit einem Präsidenten Trump, dessen maskuline Suprematie mit dem strotzenden Selbstbewußtsein unternehmerischen Erfolges unterfüttert wird, wird die mörderische Mischung aus dem qua Geburtsrecht verliehenen Anspruch, die Welt mit imperialistischen Mitteln zu bewirtschaften, und dem waffenstarrenden Souveränitätsgehabe weißer Männer zweifellos verhindern, daß die Blutspur dieser Form des sozialen Krieges austrocknet. Jedes Jahr sterben in den USA rund 30.000 Menschen an Schußwaffen, das sind fast 90 am Tag, also mehr, als beim Massaker von Las Vegas ermordet wurden. Als Trump beim Werben um die Stimmen der Waffenbesitzer davor warnte, daß Hillary Clinton deren Rechte einschränken könnte, wenn sie zur Präsidentin gewählt würde, deutete er an, daß es noch andere Möglichkeiten als Gerichte gebe, das zu verhindern. Sie liege in den Händen der "Second Amendment people", der Verfechter des freien Waffenbesitzes. Der wird auch nach Las Vegas nicht wirksam eingeschränkt werden, ist er nicht zuletzt praktische Voraussetzung zur Militarisierung der permanent Kriege führenden US-Gesellschaft.

Zur Debatte um US-amerikanische Gun Culture siehe auch:
KRIEG/1586: Massakerlogik (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1586.html

3. Oktober 2017


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