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KRIEG/1731: Münchner Sicherheitskonferenz - ausgedünnte Beteiligung ... (SB)



Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.
Antonio Gramsci (Gefängnishefte) [1]

Die Münchner Sicherheitskonferenz, hervorgegangen aus der früheren Wehrkundetagung, ist das größte sicherheitspolitische Diskussionsforum für Außen- und Verteidigungspolitik der Welt. In der Vergangenheit bot es der NATO und deren Verbündeten stets eine Plattform, sich selbst und ihre Sicht auf die globale Sicherheitsarchitektur zu präsentieren. Das wird auch in diesem Jahr vom Prinzip her nicht anders sein, wenn die "wichtigste und größte Sicherheitskonferenz der vergangenen 55 Jahre" vom 15. bis 17. Februar im Bayerischen Hof zusammenkommt. Wenngleich Wolfgang Ischinger hervorhebt, daß die Tagung mit insgesamt 600 Experten, darunter 35 Staats- und Regierungschefs sowie 80 Außen- und Verteidigungsminister, zahlenmäßig stärker denn je besetzt sei, macht er sich Sorgen. Wie er bei einer Auftaktpressekonferenz am Montag in Berlin klarstellte, gebe es keinen Grund, optimistisch zu sein. Zu Beginn des Jahres 2019 sehe er "viele Schatten, viele Probleme". [2]

Ischinger muß es wissen. Er war lange Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Botschafter, seit elf Jahren leitet er die Münchner Sicherheitskonferenz, auf der er am kommenden Wochenende ein westliches Bündnis aufzupolieren hofft, das von tiefen Rissen durchzogen ist. So brechend voll die Konferenzräume sein dürften, so ausgedünnt mutet die Beteiligung am Pakt der westlichen Mächte an, dem Rest der Welt ihren Willen aufzuzwingen. Zur obligatorischen Leistungsschau der imperialistischen Mächte, auf der sie stolz ihre Muskeln spielen lassen und die anwesenden Kontrahenten in den Schwitzkasten nehmen, wird es am Wochenende eher nicht kommen. Gelänge es ihnen auch nur, Geschlossenheit zu simulieren, würde dies schon als kaum für möglich gehaltener Erfolg verbucht.

Wird die größte US-Delegation aller Zeiten ein klares Bekenntnis zur transatlantischen Partnerschaft abgeben? Wird sie ihre Unzufriedenheit über die deutschen Verteidigungsausgaben zum Ausdruck bringen? Werden sich die Zentrifugalkräfte in der EU weiter verstärken? Welchen Raum wird die Kontroverse um die Gasleitung Nord Stream 2 einnehmen? Und was wird aus der Iran-Politik, nachdem Washington im vergangenen Jahr das Abkommen JCPOA aufgekündigt hat und die Europäer Schleichwege etablieren? Steht nach dem Ende des INF-Vertrags, der die Benutzung atomarer Mittelstreckenraketen verboten hatte, eine neue Runde atomaren Wettrüstens bevor?

Als die Teilnehmer der Pressekonferenz darüber abstimmen durften, welche Kräfte sie für fähig halten, die Scherben der zerfallenden Weltordnung einzusammeln und zusammenzuhalten, brachte die Umfrage eine Mehrheit für die EU, vor "Niemand" und dann China sowie den USA. Die UNO war übrigens bei diesem Votum gar nicht erst als Option vorgesehen. Besorgt zeigte sich Ischinger auch über die Ergebnisse einer Umfrage für den neuen "Münchner Sicherheits-Report 2019", wonach in Deutschland und Frankreich mehr Menschen Wladimir Putin und Xi Jinping eine positive Rolle in der Weltpolitik zuschreiben als Donald Trump. Auch sahen mehr Menschen in Japan, Kanada, Deutschland und Frankreich eine Gefahr für ihr Land durch die USA als durch Rußland oder China. Eine ähnliche Umfrage der "Atlantik-Brücke" hatte kurz zuvor ergeben, daß die Mehrheit der Deutschen eine größere Distanz zu den USA befürwortet. Überdies hielt fast die Hälfte der Befragten China für einen verläßlicheren Partner als die USA. [3]

Mag dies auch nicht mehr als ein aktuelles Stimmungsbild sein, so findet Ischinger, selbst Mitglied im Vorstand der "Atlantik-Brücke", diese Ergebnisse doch "besorgniserregend". Dazu gehört auch, daß mehr oder minder klare Mehrheiten der Deutschen in jüngsten Umfragen eine international neutrale Haltung der Bundesrepublik und deren stärkeren Einsatz bei der Lösung von Konflikten favorisieren, während sie militärische Interventionen ablehnen. Zumindest scheint bei zahlreichen Menschen angekommen zu sein, daß ein Schüren der Kontroversen und Krisen, insbesondere aber unter Androhung und Einsatz militärischer Mittel, den nächsten Weltkrieg in Europa heraufzubeschwören droht.

Das ist Sand im Getriebe der Apologeten deutschen Vormachtstrebens, wie es in der Kampfschrift "Neue Macht, neue Verantwortung" vorgedacht war und dort noch so reibungslos umsetzbar schien. Der zentrale strategische Ansatz, daß die US-Amerikaner aus dem Nahen Osten abziehen, um sich voll und ganz der Einkesselung Chinas zu widmen, während die Deutschen nachrücken und den Druck auf Rußland und dessen Verbündete erhöhen, ist gewaltig ins Schlingern geraten. Der Plan ist keineswegs ad acta gelegt, seine Umsetzung jedoch derart ins Stocken geraten, daß die erfolgreiche Wachablösung in den Sternen steht. War das übermächtige Waffenarsenal der USA und deren vermeintliche Bereitschaft, unablässig Krieg in aller Welt zu führen, der Schutzschirm aufschließender deutscher Ambitionen, so sehen sich diese nun mit Anforderungen konfrontiert, die schneller als erhofft vor der Tür stehen.

Der Sicherheits-Report bezeichnet Rußland und China als die größten Herausforderer für die "liberale internationale Ordnung, die sich auf Institution, feste Regeln und das Recht gründet". Diese Herausforderung sei größer als die bisherige durch den internationalen Terror. Der Politikwissenschaftler Tobias Bunde, der für den Report verantwortlich zeichnet, bezeichnete Rußland als "Außenseiter der Weltpolitik". Es habe sich in der Situation eingerichtet und wolle weiter beweisen, eine Supermacht zu sein. China fühle sich dagegen "auf der Siegerseite der Geschichte". Bunde verwies auf US-Strategiepapiere, die von einer neuen globalen Rivalität der Großmächte ausgehen. Sollte diese in offene Konfrontationen übergehen, sei das "die weit größte Gefahr für die internationale Sicherheit". Die eingangs zitierten Worte Antonio Gramscis übersetzt er so: "Es scheint immer deutlicher, dass eine Ära zu Ende geht, ohne dass wir genau wüssten, was danach kommen könnte." Sicher sei aber, dass wir in einer Zeit neuer Instabilität und Unsicherheit leben. Die weltweit steigenden Spannungen und Konflikte, die im Report beschrieben werden, seien solche Krankheitserscheinungen.

"Wir haben es mit Phänomenen des internationalen Ordnungszerfalls zu tun", so Ischinger, für den die Weltordnung westlicher Dominanz die einzig gültige ist. Die Europäer hätten noch immer keine Strategie entwickelt, wie sie ihre Verteidigungspolitik neu aufstellen wollen. Deutschland, Frankreich und Großbritannien käme nun die Rolle zu, das eigene Gebiet und die angrenzenden Regionen zu stabilisieren, notfalls auch mit militärischen Mitteln. "Wir hoffen, dass Europa sich in diesem Jahr in die Lage versetzt, diese wichtige Rolle zu übernehmen". Der Bericht kommt zu dem Urteil, daß Deutschland erheblich zu dieser strategischen Schwäche beiträgt. Für Frankreich sei Europas Verteidigungsunion das Mittel für mehr militärische Stärke, für Deutschland dagegen sei militärische Kooperation das Mittel für eine vertiefte Integration Europas: Trotz der Erhöhung des Verteidigungsetats sei der politische Wille Berlins schwach ausgeprägt, die Bundeswehr tatsächlich an der Seite Frankreichs kämpfen zu lassen. [4]

Die USA haben schon in der Amtszeit Obamas kritisiert, daß Deutschland zu wenig fürs Militär ausgebe. Die NATO-Staaten wollen bis 2024 ihre Wehrausgaben in Richtung 2 Prozent des Inlandsprodukts erhöhen. Die Bundesrepublik gibt derzeit rund 1,3 des BIP für Rüstung aus. Zum aktuellen Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel haben alle 29 Mitgliedstaaten ihre Pläne vorgelegt, wie sie ihre Kriegskasse bis zum Jahr 2024 in Richtung des vereinbarten Ziels von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts entwickeln wollen. Deutschland war Nachzügler und hat als letztes Land seine Zahlen eingereicht - 1,5 Prozent bis 2024 steht nun in dem Bericht, der Anstieg soll danach weitergehen. NATO-Generalsekretär Stoltenberg lobte trotz des verfehlten Ziels einen erheblichen Anstieg von 80 Prozent in zehn Jahren. "Das ist wichtig, was Deutschland macht, zählt, weil es eine so große Volkswirtschaft ist." [5]

Unterdessen hat sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz für eine enge militärische Zusammenarbeit der EU mit Großbritannien ausgesprochen. Daß sie die Konferenz gemeinsam mit ihrem britischen Kollegen Gavin Williamson eröffne, sei als Signal in diese Richtung zu verstehen. Der Brexit habe viele negative Auswirkungen, "aber in der Sicherheitspolitik rücken wir enger zusammen denn je", betonte die Ministerin. "Der Brexit und die distanzierte Haltung des US-Präsidenten hat beschleunigt, dass wir eine eigene europäische Verteidigungsunion aufbauen. Das stärkt auch die Europäer in der Nato."

Großbritannien sei weiter an europäischen Missionen und gemeinsamen Rüstungsprojekten interessiert, wofür eine Drittstaatenregelung ausgehandelt werde. Diskutiert werden vor allem die Produktion des Eurofighters, der Drohnenbau und die Einbindung FCAS-Projekt, bei dem es um die Entwicklung des künftigen europäischen Kampfflugzeugsystems geht, das ab 2040 den Eurofighter und das französische Gegenstück Rafale ablösen soll. Zur Debatte steht auch die weitere Zusammenarbeit in Ausrüstungsfragen, da sich verbündete Streitkräfte künftig bei Missionen und im Ernstfall gegenseitig mit jeweiligen Spezialgeräten unterstützen sollen, die dann nicht von allen Partnern vorgehalten werden müssen. Brisant ist nach Aufkündigung des INF-Vertrags auch die nukleare Rüstung, da Frankreich und Großbritannien die einzigen europäischen Militärmächte mit einem eigenen Atomwaffenarsenal sind.

Wie von der Leyen erklärte, seien die Grundmauern für die europäische Verteidigungsunion bereits in der EU gelegt. "Mein Ziel ist, bis zur deutschen Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 mit der europäischen Verteidigungsunion soweit zu sein, dass wir Richtfest feiern können." "Wir Europäer", hatte sie bei einer früheren Gelegenheit dazu erklärt, "müssen in der Lage sein, unsere Probleme selber in die eigene Hand zu nehmen und zu lösen." [6] Trump und der Brexit sind keine Rückschläge, sondern willkommene Vorwände, deutsche Militärmacht forciert auszubauen, so die Logik nicht nur der Verteidigungsministerin. Der Kurs ist angelegt, und die Münchner Sicherheitskonferenz soll den Treiber abgeben, den Karren aus dem Dreck und mit Macht gen Osten zu ziehen.


Fußnoten:

[1] Antonio Gramsci: Gefängnishefte, H. 3, § 34, 354f.

[2] www.n-tv.de/politik/Bundesregierung-darf-sich-warm-anziehen-article20852613.html

[3] de.sputniknews.com/politik/20190211323920798-muenchner-sicherheitskonferenz-kickoff/

[4] www.handelsblatt.com/politik/deutschland/munich-security-report-sicherheitsreport-deutschland-hat-grossen-anteil-an-der-strategischen-schwaeche-europas/23972610.html

[5] www.deutschlandfunk.de/nato-verteidigungsminister-in-bruessel-planen-fuer-eine.1773.de.html

[6] www.n-tv.de/politik/Von-der-Leyen-will-den-Briten-beistehen-article20855058.html

13. Februar 2019


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