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KRIEG/1743: Paris - gelb gegen den Krieg ... (SB)



Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trumpft auf, als wären militärische Stärke und politische Handlungsfähigkeit eins. Der Staatsräson allgegenwärtiger Gewaltbereitschaft wird die Erfolgsgarantie übergroßer Feuerkraft ausgestellt, zumindest das will man von den USA gelernt haben. Wo diese mit Full Spectrum Dominance letztinstanzliche Verfügungsgewalt zu Lande, auf See, in der Luft und im Weltraum beanspruchen, will Macron zeigen, daß dem europäischen Imperialismus seine beste Zeit noch bevorsteht. Befähigt durch Frankreichs Hochrüstung und Deutschlands Kapitalkraft will man die Bewirtschaftung des Globalen Südens nicht nur mit neokolonialistischer Soft Power vorantreiben, sondern dem fossilistischen und agroindustriellen Raubbau mit knochenharten Argumenten auf die Sprünge helfen. Kampfpanzer, Fliegerbomben, Aufstandsbekämpfung, Zweckallianzen mit Kopfabschneidern - die imperialistische Durchsetzungskraft deutsch-französischer Afrikapolitik wird auch dadurch nicht weniger brutal, als sich zwei Frauen für Spitzenjobs EU-europäischer Exekutiv- und Finanzgewalt bewerben. Nicht biologisches Geschlecht, sondern administrative Funktion entscheiden darüber, wann und auf wen scharf geschossen wird.

Wo sich mit China und den USA, so die Klage journalistischer Heißmacher, zwei geostrategische Giganten anschicken, den afrikanischen Kontinent ihren Interessen zu unterwerfen, darf "Europa" nicht abseits stehen. Die Militärparade auf den Champs-Élysées wurde denn auch als Schaufenster all dessen inszeniert, was den imperialen Anspruch Frankreichs rüstungstechnologisch untermauert. Selbst die Inszenierung eines Flugmanövers frei nach allseits bekannter Superheldendramaturgie wurde bemüht, um zu zeigen, daß die Zukunft nicht etwa in der kollektiven Überwindung der Klimakatastrophe liegt, sondern der in nationalem Interesse liegenden Anwendung mit fossiler Energie beschleunigter Zerstörungspotentiale.

Daran zu erinnern, daß an diesem 14. Juli vor 230 Jahren mit dem Sturm auf die Bastille eine bürgerliche Revolution eingeleitet wurde, die absolutistischer Ausplünderung und Unterdrückung nicht nur im eigenen Land ein schnelles Ende bereiten wollte, kann nicht im Interesse der Macron und Merkel liegen. So republikanisch und zivil sie sich geben, so wird mit dem demonstrativen Zeigen der Instrumente imperialer Herrschaft unmißverständlich Klartext gesprochen. Allein die Gelbwesten störten den Frieden der Paläste mit der authentischen Erinnerung daran, daß dem Nationalfeiertag soziale Streitbarkeit und nicht nationalchauvinistische Suprematie zugrunde liegt. Sie benahmen sich gehörig daneben und retteten die scheintote Zivilgesellschaft davor, völlig von einem kriegsschwangeren Militarismus eingenebelt zu werden, der von ungefragt erfolgenden Übergriffen auf die niemals wirklich aus dem Regime des Kolonialismus entlassenen Staatssubjekte Afrikas über atom- und agroindustrielle Naturzerstörung großen Stils und finanzkapitalistische Verschuldungsstrategien bis zur Unterdrückung des Klassenwiderstandes im eigenen Land all das macht, was 1789 den Fall gekrönter Häupter als hassenswerte Symbole feudaler Herrschaft einleitete.

Das EU-europäische Großmachtstreben wurde mit dem Beschwören einer deutsch-französischen Freundschaft besiegelt, die als systematisch befeuertes Konkurrenzverhältnis zwischen Paris und Berlin daran erinnert, warum beste Freunde nicht weit von schlimmsten Feinden siedeln können. Doch selbst wenn die Verhältnisse dies- und jenseits des Rheines im Sinne EU-europäischen Hegemoniestrebens ideale wären, liefen sie auf nichts anderes hinaus als die Bekräftigung eines Imperialismus, der desto vorbehaltloser nach außen gewendet wird, als die klassengesellschaftlichen Widersprüche im eigenen Land aufzubrechen drohen. Diese sollen beschwichtigt werden durch den Pakt gesellschaftlicher Gewinner und solcher, die sich dafür halten. Sie sind sich im Kampf um die knapper werdenden Ressourcen prinzipiell einig darin, daß ihre Erträge auch und gerade dann in der EU erwirtschaftet werden müssen, wenn sie afrikanischer Erde entrissen oder afrikanischen ArbeiterInnen abgenötigt wurden, wenn sie der Fruchtbarkeit afrikanischer Felder oder der Vernichtung afrikanischer Wälder und Tiere geschuldet sind.

Um Zustimmung zu den Zielen deutsch-französischen Vormachtstrebens wird kaum verhohlen mit dem Argument geworben, daß der Wohlstand in der EU nur dann gesichert ist, wenn schlußendlich Interessen und Forderungen mit Waffengewalt durchgesetzt werden, denen andere Bevölkerungen freiwillig nicht zustimmten, weil es der Zementierung der eigenen Verelendung gleichkäme. Der Stabilität der inneren Klassenordnung ist die Aggressivität der äußeren Expansion adäquat, das gilt für die EU im allgemeinen und ihre führenden Akteure im besonderen. Um so unverhohlener wird mit der parallel zu den Aufrüstungsplänen Deutschlands und Frankreichs verlaufenden Debatte um die Rettung flüchtender Menschen angekündigt, daß die Frage, wer leben darf und wer sterben muß, in absehbarer Zeit nicht mehr hinter moralisch verlogenen Postulaten verborgen werden muß.

Nicht von ungefähr bleibt die Politik militärischer Hochrüstung, in deren Zeichen am Sonntag in Paris Nationalismus geschürt und Kriegsbereitschaft signalisiert wurde, fast vollständig aus den gesellschaftlichen Debatten um die Bewältigung der Klimakatastrophe ausgespart. Zählten die Menschen eins und eins zusammen, dann wüßten sie, daß neue Kriege die ohnehin geringe Bereitschaft, die notwendigen Schritte zur Einschränkung des Verbrauchs und der Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen zu tun, verhindern, indem das Überleben nicht etwa aller, sondern lediglich status- und herkunftstechnisch privilegierter Menschen mit einer Strategie der verbrannten Erde durchgesetzt werden soll. Milliarden in neue Waffen zu stecken und mit jeder wirksamen Maßnahme gegen den Klimawandel zu knausern heißt, im Ernstfall die Vernichtung des anderen ins Kalkül zu ziehen, anstatt sich Gedanken über die kollektive Bewältigung der Katastrophe zu machen.

Heute stehen grundlegende Veränderungen zum Zwecke des Rückbaus industrieller Verbrauchspotentiale und ökonomischer Expansion an. Es bedarf keiner besonderen Informationen zu wissen, daß ein solcher Kurswechsel ohne die Überwindung sozialer Ungleichheit nicht zu verwirklichen ist, was das epochale Ausmaß in Politik und Gesellschaft anstehender Weichenstellungen deutlich macht. So trivial und pathetisch es sich anhört - es geht bei der Bewältigung der Klimakatastrophe ums Ganze, um die produktive Entwicklung der seit Jahrtausenden gestellten sozialen Frage und die Überführung der Geschichte der Klassenkämpfe in den Stand kollektiver menschlicher Handlungsfähigkeit. Es geht um mehr als individuelles Wohlergehen, was nicht heißt, das es für Millionen von Not und Armut getroffener Menschen nicht gerade aus einer solchen Entwicklung hervorgehen könnte.

Das wissen auch diejenigen, die ihr Wohlbefinden als quasi naturgegebenen Daseinsvorteil mit aller Gewalt gegen andere Menschen, die sie in ihrem sozialdarwinistisch verengten Blick nur als Überlebenskonkurrenz wahrnehmen, verteidigen und die Aufhebung ihrer Klassenprivilegien ausschließlich als Bedrohung persönlicher Eigentumsinteressen und Lebensperspektiven erleben. Wie immer sind die Schwächsten als erstes dran, wenn die Machtfrage von oben nach unten gestellt und nach Maßgabe eines durch Herkunft und Leistung legitimierten Lebensrechts beantwortet wird. Wo neue Nazis heute "Absaufen lassen!" brüllen, werden Regierungstechnokraten und Sozialingenieure morgen Mittel und Wege für eine Elendsverwaltung finden, die den davon Betroffenen nicht nur die ihnen eben noch zugestandene Butter vom Brot nimmt, sondern das Brot selbst vorenthält. Wer heute Gründe dafür sucht, die simple Rettung notleidender Flüchtlinge als fehlgeleitete Maßnahme verurteilen oder als "Gutmenschentum" diskriminieren zu können, wird morgen die Logik des Überlebens gegen überflüssig gemachte Menschen wenden, für die es kein rettendes Ufer auf der anderen Seite des Mittelmeers gibt, weil sie sich dort schon befinden.

Mit den Muskeln militärischer Durchsetzungskraft zu protzen und den Hungerleidern der Welt betrügerische Motive zu unterstellen sind zwei Seiten einer Medaille, mit der sich die Geld- und Funktionseliten einer EU schmücken, die als sogenannte Wertegemeinschaft kurz vor der finalen Häutung zur offenen Überlebensaggression um fast jeden Preis steht. Die Gelbwesten wissen aus leidvoller Erfahrung, wie es sich auf dem betonharten Boden der spätkapitalistischen Gesellschaft lebt, und sind daher nicht so leicht von der Einsicht abzubringen, daß die massenwirksam propagierte Faszination an technisch hochentwickeltem Kriegsgerät dazu führen kann, seiner zerstörerischen Wirkung am Ende selbst zu erliegen. Die Feier einer eurozentrischen Zivilisation, der die Barbarei so tief in die eigene DNA eingeschrieben ist, daß sie kriegerische Gewaltakte problemlos als Ausdruck reiner Menschenliebe verkaufen kann, auch zum Preis dadurch erlittener Repression empfindlich gestört zu haben kann durchaus als Akt produktiver Besinnung wertgeschätzt werden. Wer es anders sieht, sollte zumindest erklären, warum staatliche Gewaltapparate für die notwendigen Schritte zur Sicherung des Lebens von Mensch und Natur wichtiger sein sollen als Akte militanten Aufbegehrens gegen die Fortschreibung des sozialen Krieges.

15. Juli 2019


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