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INTERVENTION/007: Afghanistan - US-Pakt bringt keinen Frieden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Mai 2012

Afghanistan: US-Pakt bringt keinen Frieden - Auch die verhassten nächtlichen Hausdurchsuchungen gehen weiter

eine Analyse von Gareth Porter*



Washington, 4. Mai (IPS) - Die 'dauerhafte strategische Partnerschaft' zwischen den USA und Afghanistan und die dazu gehörige Absichtserklärung haben in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, als wolle Washington den Krieg in dem zentralasiatischen Land beenden und die Sicherheitsverantwortung an Kabul übergeben. Doch von einem wirklichen Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem bewaffneten Konflikt kann noch lange keine Rede sein.

Die einzige substantielle Einigung zwischen den beiden Staaten, die in den Übereinkünften zu finden ist, ermöglicht den einflussreichen Sondereinsatzkräften (SOF) der US-Streitkräfte auch weiterhin, in den von Paschtunen bewohnten Teilen Afghanistans unilateral die in der Bevölkerung verhassten nächtlichen Hausdurchsuchungen durchzuführen.

Während seines jüngsten Überraschungsbesuchs in Afghanistan stellte Obama die neue Übereinkunft in einer Ansprache vor, die zur besten Sendezeit von den mehrfach gebrieften Medien übertragen wurde. Der US-Präsident kann nun den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan zu einem großen Thema seines Wahlkampfes machen. Auch der afghanische Staatschef Hamid Karsai profitiert von dem Pakt. So kann er vorgeben, die Razzien der SOF künftig zu kontrollieren. Außerdem hat er sich die Zusage für eine zehnjährige US-Wirtschaftshilfe gesichert.

Doch bisher wurden die genauen Bedingungen des US-Abzugs noch gar nicht festgelegt. Die erfolgreiche Strategie der Obama-Regierung, diesen Umstand zu verschleiern, ist die eigentliche Story hinter der sichtbaren Geschichte des Abkommens. Obamas Entscheidungen darüber, wie viele US-Soldaten ab 2014 in Afghanistan verbleiben und worin ihre Mission besteht, sollen erst in einem bilateralen Sicherheitsabkommen fixiert werden, das es noch auszuhandeln gilt.


Wahlkampftaktisches Manövrieren

Hohe Regierungsbeamte sind konkrete Informationen über dieses Abkommen schuldig geblieben. Aus der aktuellen Übereinkunft geht jedoch hervor, dass es binnen eines Jahres geschlossen werden soll. Das bedeutet, dass Obama vor den Wahlen im November keine Entscheidungen mehr über die künftige Stationierung von US-Truppen in Afghanistan bekanntgeben muss. Damit kann er den US-Truppenabzug akzentuieren. Die Frage eines längerfristigen militärischen Engagements in Afghanistan bleibt somit zunächst außen vor.

Das bilaterale Sicherheitsabkommen wird die mit Afghanistan 2003 getroffene Vereinbarung über den Status der Streitkräfte ersetzen und US-Soldaten vor jedweder Strafverfolgung schützen. Ferner erlegt es den USA keine Beschränkungen hinsichtlich ihrer Militärbasen und -operationen auf.

Die im April unterzeichnete Absichtserklärung über die nächtlichen Razzien war den USA von Karsai aufgezwungen worden. Dieser hatte mehrmals angedroht, seine Zustimmung zu einem Partnerschaftsabkommen mit den USA zu verweigern, sollte den afghanischen Streitkräften nicht die Verantwortung für die Hausdurchsuchungen übertragen werden. Das Insistieren Karsais auf ein Ende der unilateralen US-Razzien und der Verhaftung von Afghanen führten dazu, dass die Verhandlungen über die strategische Partnerschaft monatelang auf Eis lagen.

Karsais Forderungen brachten ihn in direkten Interessenkonflikt mit den besonders einflussreichen Elementen des US-Militärs: den SOF. Unter Führung von General Stanley A. McChrystal und General David Petraeus stützt sich die US-Kriegsstrategie in Afghanistan im Wesentlichen auf die beabsichtigte Wirkung der berüchtigten SOF-Nachtangriffe, die Taliban zu schwächen.

Offiziere des Zentralkommandos der US-Streitkräfte (CENTCOM) weigerten sich, einer Beendigung der Razzien oder einer Übergabe der Kontrolle an Afghanistan zuzustimmen. Beide Seiten versuchten wochenlang ein Abkommen auszuhandeln, das Karsai zufriedenstellen sollte, ohne dass sich an der Lage viel geändert hätte. Letztlich musste Karsai nachgeben.

Die eigentliche Bedeutung des internationalen Abkommens über US-Militäroperationen wurde in den Medien jedoch falsch dargestellt. So hieß es, die Absichtserklärung gebe den Afghanen bei den Hausdurchsuchungen ein Vetorecht.


Status Quo wird kaum berührt

Doch ein genauerer Blick auf den Text enthüllt jedoch ebenso wie Kommentare von US-Militärvertretern, dass sich, wenn überhaupt, nur wenig am Status quo ändern werde. Das Abkommen wurde zwischen dem US-Militärkommando in Kabul und dem afghanischen Verteidigungsministerium ausgehandelt. Die Anwälte der US-Streitkräfte fügten eine zentrale Klausel ein, die die Bedeutung des restlichen Textes erheblich veränderte.

Im ersten Paragraph, in dem die Bedingungen definiert werden, ist zu lesen: "Zum Zwecke dieser Absichtserklärung sind Sondereinsätze diejenigen Einsätze, die von der afghanischen Operativen Koordinationsgruppe (OCG) gebilligt und von den afghanischen Streitkräften mit Unterstützung der US-Truppen im Einklang mit den afghanischen Gesetzen durchgeführt werden."

Der sorgfältig formulierte Satz will sagen, dass die einzigen, die durch die Absichtserklärung gedeckt werden, diejenigen sind, die der für US-Nachtrazzien verantwortliche SOF-Kommandeur der afghanischen Regierung meldet. Doch wird es offenbar Hausdurchsuchungen geben, die von US-Einheiten ohne vorherige Konsultation mit Afghanistan durchgeführt werden und außerhalb des Abkommens liegen.

Medienberichte über die Absichtserklärung, die nahelegen, dass die Beteiligung der SOF-Einheiten von der afghanischen Regierung abhänge, übersehen diese Klausel im Text. Pentagon-Sprecher John Kirby erklärte vor der Presse am 9. April, dass Karsai kein Veto gegen die Nachtangriffe einlegen könne. "Es geht nicht darum, dass die USA Verantwortung an Afghanistan überträgt", sagte er.

Zu der Frage, ob sich die Absichtserklärung auf diejenigen SOF-Truppen beziehe, die unabhängig von afghanischen Einheiten operierten, wollte sich Kirby nicht äußern. Er erklärte, die Übereinkunft habe lediglich das "kodifiziert", was bereits seit Dezember 2011 im Gang sei: dass die afghanischen Streitkräfte bei den meisten Nachtrazzien die Führung hätten. Dies bedeute aber auch, dass sie die betreffenden Grundstücke durchsuchten. US-Truppen nehmen aber weiterhin Menschen bei diesen Nachteinsätzen fest oder töten sie.

Die Diskrepanz zwischen dem eigentlichen Abkommen und der Sichtweise, die die Regierung der Presse vermittelt hat, erinnert an Obamas Erklärungen von 2009 und 2010 über den Rückzug der US-Kampftruppen aus dem Irak und die Beendigung des dortigen Krieges. In Wirklichkeit blieben die US-Kampfverbände weiter in dem Land aktiv. Nach dem Termin, zu dem laut Obama der militärische Abzug eigentlich abgeschlossen sein sollte, wurden 2010 und 2011 noch 58 US-Soldaten im Irak getötet. (Ende/IPS/ck/2012)

* Gareth Porter ist ein investigativer Journalist und Buchautor, der sich auf die US-Sicherheitspolitik spezialisiert hat.


Link:
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107645

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2012