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INTERVENTION/021: Südsudan - Unerwarteter UN-Zwischenbericht zeichnet düsteres Bild (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Februar 2014

Südsudan: Unerwarteter UN-Zwischenbericht zeichnet düsteres Bild

von Samuel Oakford


Bild: © Isaac Billy/UN

Ein Kontingent nepalesischer Blauhelme bei seiner Ankunft in der südsudanesischen Hauptstadt Juba am 4. Februar 2014
Bild: © Isaac Billy/UN

New York, 28. Februar (IPS) - Die UN-Friedensmission im Südsudan (UNMISS) hat in einem Zwischenbericht ein düsteres Bild von der politischen Lage im jüngsten Staat der Welt gezeichnet. Der Veröffentlichung des Reports, der die Gräuel abdeckt, die vom 15. Dezember, dem Ausbruch der jüngsten Gewaltorgie, bis Ende Januar begangen wurden, waren Forderungen von Menschenrechtsorganisationen vorausgegangen, die UNMISS-Menschenrechtsberichte frei zugänglich zu machen.

Die neue Untersuchung wurde am 21. Februar dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt und zwei Tage später überraschend über Twitter verbreitet. In den Report sind die Erkenntnisse aller 80 UNMISS-Menschenrechtsbeauftragten eingeflossen. Menschenrechtler und Analysten begrüßten die Entscheidung als wichtigen Schritt des Krisenmanagements.

Nach Ansicht von Jehanne Henry, Afrika-Expertin der internationalen Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch', die in der dritten Februarwoche aus Bentiu und Rubkona zurückgekommen war, ist die regelmäßige Berichterstattung der UN-Mission in einem Land, in dem die Straffreiheit regiert, eine wirksame Waffe gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Der Bericht basiert auf mehr als 500 Gesprächen mit Zivilisten und Regierungsvertretern und dokumentiert ethnisch bedingte Massenmorde, Massenvergewaltigungen und Folterungen, die in dem angegebenen Zeitraum sowohl von den Regierungstruppen als auch von Kämpfern verschiedener Milizen begangen wurden.


Bericht konzentriert sich auf vier Bundesstaaten

Die UNMISS-Studie befasst sich vor allem mit den Menschenrechtsverletzungen in den Bundesstaaten Jonglei, Upper Nile, Unity und Central Equatoria, in denen die schlimmsten Verbrechen begangen wurden. Es stehe außer Frage, dass Zivilisten die Hauptlast der Gräuel zu tragen hätten und dort schwere Menschenrechtsverletzungen begangen worden seien, schreiben die Autoren. Wie von der UN-Mission weiter zu erfahren war, geht man derzeit Hinweisen über die Existenz von Massengräbern in Juba, Bentiu und Rubkona nach.

Kurz nach dem Ausbruch der Kämpfe in der südsudanesischen Hauptstadt Juba hätten Armeesoldaten gezielt Zivilisten vom Volk der Nuer umgebracht, wobei sie von Haus zu Haus zogen, um diese aufzuspüren. In Malakal, der Hauptstadt des Bundesstaats Upper Nile, richtete sich die Gewalt vor allem gegen die Dinka. Als Täter hat UNMISS desertierte Nuer ausgemacht, die aus der als SPLA bekannteren Armee, der Polizei und der sogenannten Weißen Nuer-Armee desertiert sind.

Der UNMISS-Zwischenbericht kam überraschend. Analysten hatte sich darauf eingestellt, dass mit den ersten Informationen frühestens Ende April zu rechnen seien, wenn die UN-Friedensmission dem UN-Sicherheitsrat ihren vollständigen Bericht vorlegt. Die vorläufige Untersuchung spart die Namen mutmaßlicher Täter aus. Bisher hat die UNMISS in ihrem fast dreijährigen Einsatz nur zwei Menschenrechtsberichte außer der Reihe veröffentlichet.

Beide Seiten des Konflikts ignorieren offenbar den am 23. Januar in der äthiopischen Hauptstadt Addis Ababa erzielten Waffenstillstand. Kurz nach seiner Unterzeichnung eroberten die Regierungstruppen Leer zurück, die Heimatstadt des Rebellenführers Riek Machar. Sie brannten weite Teile der Stadt nieder und lösten damit die Flucht tausender Menschen aus.

An dem Tag, an dem der UNMISS-Zwischenbericht veröffentlicht wurde, berichten die Vereinten Nationen von Leichenfunden in Malakal. Mitarbeiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) hatten am 22. Februar 14 Leichen auf dem Gelände des Krankenhauses von Malakal gefunden. "Die Körper lagen verstreut zwischen den verbliebenen 50 bis 75 Patienten, die nicht hatten fliehen können, weil sie dafür zu alt oder zu schwach waren", hieß es in einer MSF-Pressemitteilung. Alles deutete darauf hin, dass die Opfer in ihren Betten erschossen worden seien.

Viele Abteilungen des Krankenhauses seien in Brand gesteckt worden, darunter auch das Ernährungszentrum für mangelernährte Kinder. Überall sei geplündert worden. Die MSF hat eigenen Angaben zufolge die am schwersten Verletzten zur Behandlung zum Stützpunkt der Vereinten Nationen im Südsudan (UNMISS) in Malakal gebracht. 13 der Patienten wiesen Schussverletzungen auf.


"Malakal ist verwüstet"

"Malakal ist verwüstet. Die Häuser wurden niedergebrannt. Unzählige Leichen liegen in den Straßen", so Carlos Francisco, MSF-Nothilfekoordinator in Malakal. "Ich finde keine Worte, um die Brutalität in Malakal zu beschreiben. Übrig ist eine geplünderte Stadt mit traumatisierten Menschen."

Einige der Patienten, die die Hilfsorganisation in das UNMISS-Lager brachte, erzählten später, dass am 19. Februar bewaffnete Gruppen ins Krankenhaus eingedrungen seien und diejenigen erschossen hätten, die über kein Geld oder Mobiltelefone verfügt hätten. Am gleichen Tag seien weitere bewaffnete Gruppen gekommen und hätten Patienten in ihren Betten getötet. Auch diejenigen, die sich in den Operationssaal geflüchtet hatten, seien nicht verschont worden. Überlebende Augenzeugen berichteten außerdem von Vergewaltigungen.

Am 23. Februar sah sich die britische Hilfsorganisation 'Oxfam' gezwungen, alle ihre Mitarbeiter aus der Stadt abzuziehen. Malakal ist inzwischen mehr als fünf Mal in unterschiedliche Hände gefallen. Die ethnische Zusammensetzung der aus allen Nähten platzenden UN-Lager hängt weitgehend davon ab, welche Kriegspartei die Stadt belagert.

In der vorletzten Februarwoche war aus dem dortigen UN-Stützpunkt zu hören, dass während der Kämpfe außerhalb des Gebäudes innerhalb des Lagers die verschiedenen Volksgruppen aufeinander losgingen. Sechs Menschen kamen ums Leben, mindestens 43 wurden verletzt. Der ehemalige BBC-Journalist Martin Plaut berichtete von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen lokalen UN-Mitarbeitern, was von der UNMISS via Twitter als Falschmeldung zurückgewiesen wurde.

Inzwischen ist die UNMISS-Sonderbeauftragte Hilde Johnson in die Kritik geraten. Ihr wird Parteilichkeit zugunsten der Regierung von Staatspräsident Salva Kiir vorgeworfen. Menschenrechtsgruppen zufolge hätte sie zudem lautstärker auf die Menschenrechtsverletzungen hinweisen müssen, die dem Konflikt vorausgegangen seien.

Bild: © Isaac Billy/UN

Die UNMISS-Sonderbeauftragte Hilde Johnson am 24. Oktober 2012 in der südsudanesischen Hauptstadt Juba
Bild: © Isaac Billy/UN

Beobachter aus dem Umfeld der UN und UNMISS deuteten an, dass bei der im Juli erwarteten UNMISS-Verlängerung ein neuer Sonderrepräsentant ernannt werden wird. Von einem Diplomaten, der sich Anonymität ausbat, hat IPS erfahren, dass Johnson aufgrund des zunehmenden UN-Drucks, dem sie aufgrund ihrer Abschottungshaltung ausgesetzt sei, nun eher bereit sein könnte, ihre Rücksichten gegenüber der südsudanesischen Regierung fahren zu lassen. In einer Mitteilung erklärte sie, dass "ohne eine strafrechtliche Verfolgung der Täter dieser furchtbaren Verbrechen davon auszugehen ist, dass Rache und Straffreiheit den Teufelskreis der Gewalt am Leben erhalten".

Das Friedensabkommen zwischen dem Nord- und dem Südsudan von 2005 hatte keine Mechanismen zur Ahndung von Menschenrechtsverbrechen der Süd-Süd-Gewalt vorgesehen. Für Beobachter ist das der Grund, warum sich die ethnischen Gräben innerhalb der regierenden SPLM-Regierungspartei immer weiter vergrößert haben. Der Zusammenbruch der Regierung sei nur dadurch verhindert worden, dass Rebellenführer mit Ministerien und mit Ölgeldern ruhig gestellt worden seien.

Doch dann brachen sich die seit langem schwelenden Spannungen innerhalb der SPLM am 15. Dezember Bahn. Damals beschuldigte Staatspräsident Salva Kiir, ein Dinka, seinen im Juli von ihm entlassenen Vizepräsidenten Riek Machar, einen Putsch gegen ihn vorzubereiten. Machar, ein Nuer, wies die Vorwürfe zurück, trat aber dann die Flucht an und übernahm das Kommando über Rebellen und SPLA-Deserteure. Kurz darauf kam es zu den brutalen ethnischen Zusammenstößen.


Vorboten des Krieges ignoriert

Der vorletzte UNMISS-Menschenrechtsbericht war im April 2013 vorgelegt worden, Monate vor der Gewalteskalation im Bundesstaat Jonglei, die den derzeitigen Konflikt ankündigt hatte. Nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen hätten die ethnische Dimension und das Fehlen einer angemessenen Reaktion von Seiten der südsudanesischen Regierung der Öffentlichkeit schon damals bekannt gemacht werden müssen.

Die Präsenz zahlreicher Nichtregierungsorganisationen und die hohen Zuwendungen der westlichen Welt hätten ferner den Eindruck erweckt, dass die Probleme im Südsudan vor allem humanitärer Art seien. Die fortgesetzten politischen Missstände seien ignoriert, die Gefahr eines Bürgerkriegs verharmlost worden. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/02/u-n-report-south-sudan-paints-grim-picture/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2014