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STELLUNGNAHME/036: Leserbrief zu den Antisemitismusvorwürfen gegen Professor Galtung (M. Klingenburg-Vogel)


Leserbrief vom 11. Dezember 2012 zur erneuten Absage eines Vortrags
von Johan Galtung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Von Mechthild Klingenburg-Vogel



Einleitung zum Leserbrief - Erklärung der Redaktion Schattenblick

Unerwartet und äußerst kurzfristig wurde dem Friedensforscher und Alternativen Nobelpreisträger Johan Galtung mit offensichtlich fadenscheinigen Antisemitismusvorwürfen und mit Billigung der Veranstalter eine zuvor gewünschte und geplante Rede im Rahmen der Kieler W-Events am 10. Dezember 2012 im Audimax der Christian-Albrechts-Universität untersagt. Dazu in einem Leserbrief folgende Stellungnahme:

Nochmalige Absage der Veranstaltung mit Johan Galtung im Rahmen der Kieler W-Events

Die unglaubliche Brüskierung des weltbekannten 82-jährigen Friedensforschers Johan Galtung durch eine erneute kurzfristige Absage der für den 10.12.12 geplanten Veranstaltung ist ein Skandal! Grund für diese erneute Absage durch die engagierten W-Event-Studenten ist, dass ein anonymes Aktionsbündnis Galtung aufgrund einseitig verzerrend zitierter Äußerungen Antisemitismus unterstellte, und das, obwohl sein ganzes, nun seit über 50 Jahren dem "Frieden mit friedlichen Mitteln" gewidmetes Lebenswerk eindeutig dagegen spricht, nicht zuletzt seine konstruktiven Friedenspläne für den Nahen Osten und seine Mediationen zwischen Israel und Palästina. Statt auf wiederholte Angebote, mit den Veranstaltern oder mit Galtung selbst diese diffamierenden Unterstellungen zu diskutieren, reagierte diese Gruppe mit hämischen Schlammschlachten bei Facebook und zuletzt der infamen Überklebung der die Veranstaltung ankündigenden Plakate mit "Fällt aus wegen Antisemitismus". Sind das nicht Methoden, die unangenehme Erinnerungen gerade an jene Zeiten wecken, in dem Antisemitismus solch furchtbar mörderische Folgen hatte?

Es ist es gut und beruhigend, dass gerade in Deutschland der Vorwurf antisemitischer Strebungen heftige Angsterregung auslöst, und dass er zu einer besonders sensiblen Wachsamkeit führt. Auf der Seite der Nachkommen der Opfer aktiviert er traumatische Erinnerungen an erlittenes tödliches Ausgeliefertsein, auf der Seite der Nachkommen der Tätergeneration aktualisiert er schreckliche Schuldangst. Aber gerade wegen dieser tief verwurzelten Gefühle kann der Vorwurf des Antisemitismus funktionalisiert werden, um Kritiker an der Politik der israelischen Regierung mundtot zu machen.

Galtung selbst nahm in einem Vortrag "Wider den Antisemitismus" folgendermaßen dazu Stellung:

"Antisemitismus ist ein Syndrom menschenverachtender Vorurteile und deshalb aufs schärfste zu verurteilen. Entsprechend verwahre ich mich auch ausdrücklich gegen eine derartige Verleumdung. Mein gesamtes Schaffen steht unter dem Grundsatz ..."der Mensch hat dem Menschen heilig zu sein! Das ist der Maßstab, mit dem sich meiner Meinung nach jeglicher politische Akt messen lassen muss. Dies gilt neben den Handlungen der Hamas, Irans und Syriens auch für die Politik Israels. ...es gilt, Gewaltphänomene in ihren Bedingungen, Erscheinungsformen und Folgen zu verstehen, zu erklären und unter Ausschluss gewaltsamer Mittel zu überwinden. ...Für dieses Erkenntnisinteresse setze ich mich mit Beharrlichkeit, Klarheit und Konsequenz ein und schließe damit jeglichen Antisemitismus kategorisch aus. Zugleich lässt sich das Thema nicht bearbeiten, ohne festzustellen, dass dieser an sich wichtige Begriff auch missbraucht wird. Wenn neben dem US-Präsidenten Jimmy Carter auch namhafte Humanisten, Nobelpreisträger oder Menschenrechtler wie ... Daniel Barenboim, Juditt Butler, Günter Grass, Evelyn Hecht-Galinsky, ... Hanna Arendt, Desmond Tutu (... u.a.) des Antisemitismus bezichtigt werden, kommt eine kritische Gegenwartsdiagnostik nicht umhin, den Ge- und Missbrauch dieses Begriffs zu reflektieren..." (www.galtung-institut.de).

In der "Jewish Voice for Peace" wehren sich Nachkommen von Holocaustopfern inzwischen gegen den Missbrauch ihres Leidens zu politischen Zwecken.

Da die W-Event-Studenten befürchteten, dass ihre zukünftigen Veranstaltungen durch diese Diffamierungen beeinträchtigt würden, bot sich die Kieler Gruppe der IPPNW (Int. Ärzte gegen den Atomkrieg/Ärzte in sozialer Verantwortung) gemeinsam mit dem ehemaligen Leiter und Mitarbeitern des "SCHIFF" (S.-H. Inst. f. Friedensforschung) und dem Verein "Mahnmal Kilian" an, die Verantwortung als Veranstalter zu übernehmen. Es ist unglaublich, dass die Universität entgegen ihrer noch am 6.12.12 in den Kieler Nachrichten verkündeten stolzen Erklärung, "ein offener Ort des Dialogs und des Streitgesprächs zu sein" sich einschüchtern ließ und die Überlassung des Audimax für die Veranstaltung mit Professor Galtung zurück zog, sodass die W-Event-Studenten ihm die ungeheure Brüskierung einer nochmaligen Absage zumuteten.- Ein fatales Signal an dreiste politische Gruppen, nur entsprechend Druck ausüben zu müssen, um politisch Andersdenkende mundtot machen zu können - zum Schaden einer offenen demokratischen Kultur und zum Schaden der akademischen Würde.

Dr. med. Mechthild Klingenburg-Vogel
(für die Kieler Gruppe der IPPNW)

*

Quelle:
Dr. med. Mechthild Klingenburg-Vogel
Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin
Kieler Gruppe der IPPNW
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges /
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.
E-Mail: klingenburg-vogel[at]web.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2012