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STELLUNGNAHME/043: Rebellen (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 29. Mai 2017
german-foreign-policy.com

Rebellen


LONDON/TRIPOLIS/BERLIN - Der deutsche UN-Sondergesandte für Libyen, Martin Kobler, ist einem Anschlag von Jihadisten entgangen. Dies berichten britische Medien. Demnach hat der Bruder des Attentäters von Manchester, Hashim Abedi, Anfang dieses Jahres Vorbereitungen zum Mord an dem deutschen Diplomaten getroffen, die allerdings noch rechtzeitig aufgedeckt wurden. Der Manchester-Attentäter, dem vor einer Woche 22 Menschen zum Opfer fielen, und sein Bruder entstammen dem Milieu der einstigen Libyan Islamic Fighting Group (LIFG), einer Jihadistenorganisation, die sich in den 1990er Jahren herausbildete, um Muammar al Gaddafi zu stürzen. Sie wurde damals, weil sie gegen den gemeinsamen Feind Gaddafi kämpfte, vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6 aktiv unterstützt. Auch als sie 2011 am Aufstand gegen Gaddafi teilnahmen, genossen die LIFG-Jihadisten im Westen als "Rebellen" weithin Sympathie. Experten warnen, ganz wie sie könnten künftig jihadistische Aufständische in Syrien, die heute im Westen im Kampf gegen den gemeinsamen Feind Bashar al Assad wie einst die LIFG als "Rebellen" gefeiert werden, ebenfalls zu Terroranschlägen in Europa übergehen. Viele von ihnen, darunter der Al Qaida-Ableger Jabhat Fatah al Sham (Ex-Jabhat al Nusra), sind, um die Regierung Assad zu stürzen, von engen Verbündeten auch Deutschlands systematisch gefördert worden.

Jihad am Hindukusch

Die Libyan Islamic Fighting Group (LIFG), deren Milieu der Attentäter von Manchester, Salman Abedi, und sein Bruder Hashim Abedi entstammen, ist im Verlauf der ersten Hälfte der 1990er Jahre von libyschen Afghanistan-Heimkehrern gebildet worden. Ende der 1980er Jahre hatten sich 800 bis 1.000 Libyer am Hindukusch dem Jihad gegen die afghanische Regierung und deren sowjetische Unterstützer angeschlossen; dort profitierten sie davon, dass die NATO-Staaten die afghanischen Mujahedin mit militärischem Training und der Lieferung von Waffen stärkten. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) hat die Mujahedin damals systematisch gefördert (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Einer der damaligen libyschen Afghanistan-Kämpfer hat später berichtet, wie seine Einheiten von afghanischen Mujahedin trainiert wurden, die ihrerseits direkt von CIA-Männern und von britischen Spezialkräften ausgebildet worden waren. Zudem hätten sie zum Beispiel über Feldhandbücher der US-amerikanischen und der britischen Streitkräfte verfügt.[2]

Jihad in Libyen

Basierend auf den militärischen Kenntnissen und Fähigkeiten der libyschen Afghanistan-Veteranen startete die LIFG Mitte der 1990er Jahre eine brutale Terrorkampagne zum Sturz von Muammar al Gaddafi. Dabei wurde sie zumindest punktuell vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6 unterstützt; London arbeitete damals systematisch und mit allen denkbaren Mitteln auf Gaddafis Sturz hin. Der MI6 war ausweislich später geleakter interner Dokumente über einen Attentatsplan zu Gaddafis Ermordung bestens informiert; laut Berichten eines Ex-Geheimdienstlers stellte er der LIFG zur Durchführung des Anschlags, bei dem letztlich mehrere Gaddafi-Leibwächter ums Leben kamen, eine sechsstellige US-Dollar-Summe zur Verfügung. Zudem erlaubte die damalige britische Regierung es der LIFG, im Vereinigten Königreich Strukturen aufzubauen, denen nicht nur die Veröffentlichung von Kommuniqués, sondern auch das Sammeln von Geld sowie das Organisieren logistischer Hilfe für die in Libyen kämpfenden Jihadisten oblag.[3] LIFG-Aktivisten fanden vor allem in London und in Manchester Unterschlupf. Zu ihnen zählte Ramadan Abedi, der Vater des Manchester-Attentäters Salman Abedi, der 1993 nach Großbritannien einreiste und sich letztlich in Manchester niederließ. Dort wurde Salman 1994 geboren.

Die Manchester Fighters

Wenngleich in den Jahren ab 2001 mehrere LIFG-Anführer im Rahmen des "Anti-Terror-Kriegs" von der CIA aufgegriffen und an die libyschen Behörden ausgeliefert wurden [4], haben sich die NATO-Staaten die Dienste der Jihadisten 2011 erneut zunutze gemacht - wieder, um Gaddafi zu stürzen. Zahlreiche LIFG-Mitglieder nahmen ab März 2011 - gleichsam als Bodentruppen der NATO-Bomber - an den Kämpfen in Libyen teil; einige brachten es zu einflussreichen Positionen. So ist der Afghanistan-Veteran und Ex-LIFG-Anführer Abdel Hakim Belhaj, der einen wichtigen Beitrag zu Gaddafis Sturz leistete, eine Zeitlang als Militärkommandant von Tripolis eingesetzt gewesen. Mittlerweile führt er eine politische Partei ("Al Watan") - und gilt "als finanzstarker und einflussreicher Strippenzieher im Hintergrund".[5] Am Hindukusch und später für die LIFG gekämpft hat auch Khaled al Sharif, der sich ebenfalls am Krieg gegen Gaddafi beteiligte und zuletzt eine Weile als stellvertretender Verteidigungsminister Libyens tätig war. In jihadistischen Milizen gegen Gaddafi mitgekämpft haben 2011 auch der einstige LIFG-Aktivist Ramadan Abedi und - mutmaßlich während der britischen Schulferien - seine minderjährigen Söhne Salman und Hashim. Dasselbe trifft auf diverse libysche Jihadisten aus dem Umfeld der Abedis in Manchester zu: Weithin war damals in Libyen von den "Manchester Fighters" die Rede.[6]

Jihad in Großbritannien

Rasch haben sich im Milieu der früheren LIFG-Kämpfer sowie ihrer Familien, die im Krieg gegen Gaddafi im Westen als "Rebellen" gefeiert wurden, Sympathien auch für "Rebellen" in Syrien entwickelt - insbesondere für den Al Qaida-Ableger Al Nusra und für den "Islamischen Staat" (IS). Während etwa Ramadan Abedi Al Nusra bejubelte [7], favorisierte Salman Abedi den IS. Während Ramadan nach Gaddafis Sturz für das libysche Innenministerium tätig war, seinen Jihad also weiterhin an der Seite des Westens führte, wandten sich Salman und Hashim gegen die ehemaligen Schutzmächte der LIFG. Hashim wollte Anfang des Jahres, wie am Wochenende bekannt wurde, den deutschen UN-Sondergesandten für Libyen, Martin Kobler, ermorden; die Anschlagspläne wurden gerade noch rechtzeitig aufgedeckt.[8] Salman hingegen entschied sich letztlich dafür, den Jihad nach Großbritannien zu tragen; durch sein Attentat kamen am 22. März in Manchester 22 Menschen ums Leben. Das jihadistische Milieu, das die britischen Behörden lange Jahre gewähren ließen oder gar pflegten, um in Libyen außenpolitische Ziele zu verfolgen, hat sich damit gegen seine ehemaligen Kooperationspartner gewandt.

Im Westen nichts Neues

Der Vorfall ist alles andere als beispiellos. Bereits Osama bin Laden hatte im Krieg gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan die Unterstützung westlicher Mächte genossen, bevor er den Jihad gegen seine ehemaligen Kooperationspartner richtete.[9] Teile der Aufständischen in Syrien, die im Krieg gegen die Regierung von Bashar al Assad ebenfalls vom Westen oder von seinen regionalen Verbündeten gefördert wurden und teilweise bis heute noch werden, haben sich zum IS zusammengeschlossen und verüben nun Terroranschläge in Europa. Ähnliches halten Experten nicht zuletzt auch im Fall des Al Qaida-Ablegers Jabhat al Nusra (heute: Jabhat Fatah al Sham) für wahrscheinlich, der in der Schlacht um Aleppo politisch-propagandistische Rückendeckung durch die westlichen Mächte genoss [10], der allerdings die Gebiete um das nordsyrische Idlib, in denen er sich festgesetzt hat, mittel- bis langfristig wieder an die Regierungstruppen verlieren könnte; zurückgeworfen auf Aktivitäten im Untergrund, dürfte die Organisation sich wieder stärker auf Attentate verlegen.[11] Es wäre nur ein weiteres Beispiel dafür, dass außenpolitische Operationen auf das eigene Land zurückschlagen - weil die Zusammenschlüsse, die der Westen einem Feind an den Hals zu hetzen sucht, sich eben nicht auf die ihnen zugedachte Rolle beschränken.


Anmerkungen:

[1] S. dazu Der Krieg kehrt heim (II).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59029

[2] Mark Curtis: Secret Affairs. Britain's Collusion with Radical Islam. London 2012.

[3] Gary Gambill: The Libyan Islamic Fighting Group (LIFG). The Jamestown Foundation, Terrorism Monitor Volume 3, Issue 6. 05.05.2005.

[4] S. dazu Außer Kontrolle.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58353

[5] Eine Spur führt nach Tripolis - zur "Libyschen Islamischen Kampfgruppe". Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.05.2017.

[6] Martin Evans, Hayley Dixon, Edward Malnick: The Manchester Libyan connection - a recruiting ground for jihadists.
www.telegraph.co.uk. 23.05.2017.

[7], [8] Katrin Bennhold, Stephen Castle, Declan Walsh: 'Forgive Me': Manchester Bomber's Tangled Path of Conflict and Rebellion.
www.nytimes.com 27.05.2017.

[9] S. dazu Alte Verbündete.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57464

[10] S. dazu Aleppo, Mossul und die Hegemonie.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59507

[11] Jonathan Weckerle: "Wahrscheinlich gewinnt Assad". Interview mit Jonathan Spyer. konkret 5/2017.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2017

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