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STANDPUNKT/102: Zum G8-Gipfel in Genua - Der Versuch scheiterte (Gerhard Feldbauer)


Der Versuch scheiterte

Vor zehn Jahren wollte Berlusconis rechtsextreme Koalition während des G8-Gipfels in Genua das Regime offen faschistisch-terroristisch auszurichten

Von Gerhard Feldbauer, 20. Juli 2011


Nach seinem zweiten Regierungsantritt im Mai 2001 hatte der Mediendiktator Silvio Berlusconi angekündigt, mit der "Hinterlassenschaft der Linken" Schluss zu machen. Auf einem EU-Ratsgipfel in Göteborg im Juni hatte er nachgelegt und vor den mehrheitlich sozialdemokratischen Regierungschefs provokatorisch erklärt, er werde Italien von Kommunisten und Ex-Kommunisten (den Linksdemokraten) "befreien".

Wie das vor sich gehen sollte, demonstrierte er mit seinem Vizepremier, dem Führer der AN-Faschisten Gianfranco Fini, auf dem G8-Gipfel vom 18. bis 22. Juli in Genua. Nach Seattle, Prag und Göteborg gab es dort die seit Jahren größten Massenproteste gegen weltweite imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung, gegen NATO-Aggressionen und Staatsterror. Gastgeber Berlusconi war auf dem Gipfel nicht nur als Regierungschef, sondern auch als der reichste Kapitalist des Landes vertreten, ebenso als ein Mann, der Hitler und Mussolini bewunderte und eine mit Faschisten und Rassisten gebildete Regierung anführte.

Was sich dann während des Gipfels abspielte, wurde von Augenzeugen in zahlreichen Medien in Anknüpfung an den Terror, der die Errichtung der faschistischen Diktatur unter Pinochet in Chile begeleitete, als eine "chilenische Nacht" geschildert. Genua war eine "Stadt im Kriegszustand", das Vorgehen der Sicherheitskräfte "verfassungswidrig", "Recht und Gesetz außer Kraft gesetzt", schrieben nicht nur "Liberazione", "Manifèsto" und "Unità", sondern auch bürgerliche Blätter wie "Repùbblica" oder "Corriere della Séra". Über 600 Personen wurden festgenommen und so genannten Gefangenensammelstellen zugeführt, mehr als 300 Demonstranten, darunter zahlreiche Ausländer, zum Teil schwer verletzt. Eine nächtliche Operation gegen das Pressequartier in der Dias-Schule, in der auch das Genueser Sozialforum untergebracht war, hieß im Polizeijargon "Sturmangriff". Hier wurden 54 Personen blutüberströmt und schwer verletzt abgeführt. Festgenommene, darunter selbst Verletzte, wurden unter Hitler- und Mussolinibildern misshandelt und mussten "Viva il Duce" rufen.

Gewaltsame Ausschreitungen, zu denen es unter den Demonstranten kam, wurden von den Ordnungskräften nicht nur selbst provoziert, sondern regelrecht organisiert, um das gewaltsame Vorgehen zu begründen. Dazu agierten in den "schwarzen Block" der Anarchisten eingeschleuste Polizeiagenten, darunter Faschisten der Forza Nuòva. Der Regisseur Davido Ferrario filmte Polizeioffiziere bei der Zusammenarbeit mit "Schwarzblock"-Agenten. AN-Führer Fini befand sich in der Einsatzzentrale. Viele der im faschistischen Geist groß gewordenen Polizei-Offiziere glaubten, die jahrzehntelang propagierte "Stunde X" der Abrechnung mit den Linken sei gekommen. In der Stadt war das an früheren Putschversuchen beteiligte Carabinieri-Korps in vorderster Linie eingesetzt, darunter Einheiten aus Süditalien, den Hochburgen der Faschisten. Einer dieser Carabinieri schoss den Studenten Carlo Giuliano von einem Jeep aus nieder.

PRC-Sekretär Fausto Bertinotti schätzte ein, Ziel war, "systematisch jeden Widerstand zu zerschlagen" und eine politische Wende in Richtung eines "faschistischen oder autoritären" Regimes herbeizuführen. Der Politikwissenschaftler Prof. Bodo Zeuner von der FU Berlin, dessen Tochter an den Protestaktionen in Genua teilnahm, warnte, "wenn Polizisten, wenn Spezialeinheiten der Polizei es sich herausnehmen, politisch unliebsame Personen, wie in Genua geschehen, mitten in der Nacht zu überfallen und brutal, ja lebensgefährlich zu verprügeln, dann ist es zu Folterkellern wie denen der SA im Deutschland von 1933 nur noch ein Schritt."

Es gelang nicht, die Proteste zu zerschlagen. 300.000 Menschen formierten sich in Genua nach den Polizeiattacken zu neuem Widerstand. In Italien waren es insgesamt wenigstens eine Million. Der Protest in Italien sowie im Ausland verhinderte, dass das rassistisch-faschistoide Regime die Repression mit den Methoden von Genua weiterführen oder gar verschärfen konnte.

Die Regierung reagierte mit bekannten Ritualen. Vizepremier Fini gab von sich, die Demonstranten hätten "bekommen, was sie verdienten". Mit ihrer Parlamentsmehrheit wies die rechtsextreme Koalition den Antrag der Opposition nach Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zurück. Unter dem Druck der Öffentlichkeit wurden einige untergeordnete Polizeikommandeure auf andere Posten versetzt. Jahrelang verschleppte strafrechtliche Ermittlungen zeitigten kaum Ergebnisse. Das gesamte von der Polizei während des Überfalls auf die Dias-Schule aufgenommene Video-Material verschwand spurlos. Über die staatliche Rundfunk- und Fernsehanstalt RAI wurde eine rigorose Pressezensur verhängt und verboten, Sendungen auszustrahlen, welche die blutigen Ausschreitungen zeigten.

Die PRC-Zeitung "Liberazione" erinnert am zehnten Jahrestag daran, dass das Regime den "Krieg gegen die Linke" verloren hat. Die Erinnerung an die ruchlose Henkersnacht, an eine der dunkelsten Seiten der Geschichte, bleibe unvergessen, der Widerstand in Genua ein Zeichen des Sturmes des Kampfes, der weitergehe. Neben dem Gedenken an den ermordeten Carlo Giuliano steht die unüberhörbare Forderung, der Herrschaft des Mediendiktators endlich ein Ende zu setzen. Makabre Begleiterscheinung, Gianfranco Fini, der damals die blutigen Ausschreitungen kommandierte, gibt sich heute als geläuterter Faschist, der seinen langjährigen Ziehvater Berlusconi mit stürzen will, um unter kosmetischer Tünche seine Nachfolge anzutreten.


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Quelle
© 2011 by Gerhard Feldbauer
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2011