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STANDPUNKT/388: Deutsche Kanzlerin Merkel in Kiew - Signale der Zweideutigkeit (Kai Ehlers)


Deutsche Kanzlerin Merkel in Kiew - Signale der Zweideutigkeit

von Kai Ehlers, 24. August 2014



In Kiew angereist war die deutsche Kanzlerin, um "ein Zeichen der Solidarität" zu setzen. Um keine Zweifel über den Charakter dieser Solidarität aufkommen zu lassen, inszenierte Berlin vor dem Einstieg der Kanzlerin ins Flugzeug ein Gespräch mit US-Präsident Barak Obama. Darin kamen die Kanzlerin und der Präsident überein, Russland weiter unter Druck halten zu wollen.

Russlands Entscheidung, den seit Tagen an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine von ukrainischer Seite aufgehaltenen Konvoi mit Hilfsgütern nun ohne Erlaubnis Kiews und auf eigenes Risiko die Grenze überschreiten zu lassen, sei als neueste völkerrechtswidrige Provokation Russlands unter keinen Umständen hinnehmbar, ließen Merkel und Obama gemeinsam verlauten.

Doch zeigten sich leichte Risse in den Erklärungen. Obama und seine Administration forderten, daß der Konvoi umzukehren habe, noch bevor er Lugansk erreiche, Kanzlerin Merkel begnügte sich mit der milden Variante, der Konvoi müsse umkehren, nachdem er entladen worden sei. Ihr Koalitionspartner Gabriel erklärte vor ihrem Start nach Kiew, er sehe eine Föderalisierung als einzige mögliche Lösung des ukrainischen Konfliktes. Vorbedingung dafür sei ein Waffenstillstand.

Man hätte weitere Zeichen dieser Art erwarten können: Der Staatsbesuch der deutschen Kanzlerin erfolgt zu einem Zeitpunkt, da die USA durch den neu entbrennenden Krieg im Irak gebunden werden, er erfolgt drei Tage bevor sich in Minsk die Staatsoberhäupter der Eurasischen Union Putin, Nasarbajew und Lukaschenkeo unter Beisein von Vertretern der EU-Komission und des ukrainischen Präsidenten treffen wollen, um über mögliche Lösungen des Konfliktes zwischen Eurasischer und Europäischer Union zu beraten. Im Zentrum der Beratungen steht der Konflikt um die Ukraine als Problem, das zwischen diesen unmittelbar Beteiligten zu lösen sein könnte.

Das beabsichtigte "Zeichen der Solidarität" konnte unter diesen Umständen im Vorfeld als Signal verstanden werden, dass Deutschland sich anschicke, als Führungsmacht der Europäischen Union in die Verantwortung für den "Wiederaufbau" der Ukraine zu gehen. Einen "Marshallplan" für die Ukraine erhofft sich die Ukrainische Regierung von Deutschland, so wie ihn seinerzeit Deutschland von den USA erhalten habe.

Große Hoffnungen also bei der am Rande des Zusammenbruchs stehenden Kiewer Regierung. Große Erwartungen auch bei denen, die eine Lösung der EU aus den Vorgaben der USA anstreben.

Das über die Tagesnachrichten mitgeteilte Ergebnis dagegen klingt eher mager: Ein Versprechen der deutschen Kanzlerin an die Ukrainische Regierung auf eine deutsche Kreditbürgerschaft über 500 Millionen Euro, durch das private Investitionen in die Infrastruktur ermöglicht werden sollen. Bei ca. 30 Milliarden, die für eine Sanierung der ukrainischen Wirtschaft benötigt werden, reicht das nicht einmal für ein Feigenblatt. Mit zusätzlich 25 Millionen Euro soll der Bau von Unterkünften für Flüchtlinge finanziert werden. Poroschenko zeigte sich dennoch "dankbar" und sprach erwartungsgemäß vom "Beginn eines Marshall-Plans für die Ukraine".

Im Übrigen "busyness as usual": Die Kanzlerin forderte einen "zweiseitigen Waffenstillstand." "Die territoriale Integrität und das Wohlergehen der Ukraine", erklärte sie, seien "wesentliches Ziel der deutschen Politik". Poroschenko betonte, an seinem "Friedensplan" weiter festhalten zu wollen. "Der Krieg ist nicht unsere Wahl, er wurde uns von außen aufgedrückt", erklärte er.

Eine klare Orientierung auf ein Ende des Krieges in der Ukraine, auf ein Ende der Konflikstrategie gegenüber Russland ist das nicht, ebenso wenig wie eine zu erwartende Lösung der EU unter Führung Deutschlands aus der Unterordnung unter die US-Politik. Daran scheint auch die Tatsache nichts zu ändern, dass der russische Konvoi sofort nach Entladung der Hilfsgüter wieder hinter die russischen Grenzen zurückkehrte und Russland somit erneut Dialogbereitschaft demonstriert. - Es wird weiter gepokert.


Kai Ehlers ist Osteuropa-Experte, Autor und Journalist.

Weitere Informationen:
www.kai-ehlers.de

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Quelle:
© 2014 by Kai Ehlers
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2014