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STANDPUNKT/538: Optimismus des Willens (Uri Avnery)


Optimismus des Willens

von Uri Avnery, 6. Februar 2016


WIR HABEN also noch einen Antisemiten. Mazal Tov ("Gutes Glück") wie wir auf Hebräisch sagen.

Sein Name ist Ban Ki-moon, und er ist der Generalsekretär der UN. Tatsächlich ist er der höchste internationale Beamte, eine Art Welt-Ministerpräsident.

Er hat es gewagt, die israelische Regierung ebenso wie auch die Palästinensische Behörde zu kritisieren, sie würden den Friedensprozess sabotieren und dadurch einen israelisch-palästinensischen Frieden fast unmöglich machen. Er betonte, dass es einen weltweiten Konsens über die "Zwei-Staaten-Lösung" gäbe, da sie die einzig mögliche Lösung sei.

Die Formulierung klang neutral, aber Ban drückte recht deutlich aus, dass fast die gesamte Schuld auf Seiten Israels liege. Da die Palästinenser unter einer feindseligen Besatzung leben würden, könnten sie nicht viel tun, weder auf die eine noch auf die andere Weise.

Jeder, der Israel für irgendetwas die Schuld gibt, ist natürlich ein eklatanter Antisemit, der letzte in einer langen Reihe - angefangen beim Pharao, dem König von Ägypten, vor ein paar tausend Jahren.


ICH KRITISIERE Ban nicht, höchstens dafür, dass er zu sanft gesprochen hat. Vielleicht ist das der koreanische Stil. Falls ich - Gott bewahre - an seiner Stelle gewesen wäre, wäre meine Formulierung sehr viel schärfer ausgefallen.

Im Gegensatz zum Erscheinungsbild gibt es, was Prognosen angeht, keinen großen Unterschied zwischen Ban und Bibi. Vor ein paar Wochen verkündigte Benjamin Netanjahu, dass wir "immer und ewig durch das Schwert leben werden" - ein biblischer Satz, der auf die Warnung von Avner, König Sauls General zurückgeht, der zu König Davids General Yoav ausrief: "Soll das Schwert ohne Ende fressen?". (Ich mochte Avner schon immer und nahm seinen Namen an.)

Aber was gut für einen Patrioten wie Netanyahu ist, ist nicht gut für einen Judenhasser wie Ban. Also zur Hölle mit ihm!


NETANJAHU WIRD Bans Äußerung nicht gefallen haben, dass die "Zwei-Staaten-Lösung" jetzt der Konsens der ganzen Welt sei. Der Welt mit Ausnahme Netanjahus und seiner Kohorten.

Das war nicht immer so. Ganz im Gegenteil.

Der Teilungsplan wurde zuerst von der britisch königlichen Kommission angenommen, die nach der Arabischen Revolte 1936 (von den Juden "die Ereignisse" genannt) ernannt worden war. Bei dieser Revolte starben viele Araber, Juden und britische Soldaten. In diesem Plan wurde den Juden nur ein kleiner Teil von Palästina zugeteilt, ein schmaler Streifen am Meer entlang, aber es war das erste Mal in der modernen Geschichte, dass ein jüdischer Staat anvisiert wurde. Die Idee verursachte eine große Spaltung in der jüdischen Gemeinde in Palästina ("Yishuv" genannt). Aber der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges setzte dem Plan ein Ende.

Nach dem Krieg und dem Holocaust suchte man weltweit nach einer dauerhaften Lösung. Die Generalversammlung der neuen Vereinten Nationen entschied sich für eine Teilung Palästinas in zwei Staaten, einen jüdischen und einen arabischen. Die jüdische Führung nahm diesen Plan der Form nach an, hatte aber die heimliche Absicht, ihr Staatsgebiet bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu vergrößern.

Die Gelegenheit kam bald danach. Die Araber lehnten die Teilung ab und begannen einen Krieg, in dem wir ein viel größeres Territorium eroberten, das wir dann unserem jungen Staat anfügten.

Mit dem Ende des Krieges, Anfang 1949 sah die Situation folgendermaßen aus: der vergrößerte jüdische Staat, jetzt Israel genannt, besetzte 78 % des Landes einschließlich West-Jerusalem; der Emir von Transjordanien behielt das Westufer des Jordan (die West Bank) mit Ost-Jerusalem und änderte seinen Titel in König von Jordanien; der König von Ägypten behielt den Gazastreifen.

Palästina war von der Karte verschwunden.


ALS ICH (wegen meiner Verletzungen) aus der Armee entlassen wurde, war ich davon überzeugt, dass diese Situation zu einem permanenten Konflikt führen würde. Während des Krieges hatte ich viele arabische Dörfer und Städte gesehen, von denen die Bewohner geflohen waren oder vertrieben worden sind, und war davon überzeugt, dass es ein palästinensisches Volk gibt - im Gegensatz zu israelischen Behauptungen und weltweiter Meinung - und dass es nie Frieden geben wird, wenn diesem Volk ein eigener Nationalstaat verweigert wird.

Noch trug ich die Uniform, schaute mich aber nach Partnern um, mit denen ich diese Überzeugung teilen konnte. Ich fand einen jungen muslimischen arabischen Architekten in Haifa und einen jungen drusischen Scheich. (Die Drusen sind Araber, die sich vom Islam getrennt haben und vor vielen Jahrhunderten eine neue Religion gründeten.)

Wir drei trafen uns mehrere Male in der Wohnung des Architekten, aber wir fanden kein Echo in der Öffentlichkeit. Die Regierung und die allgemeine Meinung in Israel zogen den Status Quo vor. Die Existenz eines palästinensischen Volkes wurde eifrig verleugnet. Jordanien wurde de facto ein Verbündeter von Israel - wie es im Geheimen schon zuvor gewesen war.

Hätte jemand in den frühen 50er-Jahren eine Umfrage über die internationale öffentliche Meinung in diesem Punkt abgehalten, hätte er vielleicht 100 Leute in der Welt gefunden, die ernsthaft einen palästinensischen Staat gewollt hätten. Einige arabische Staaten machten gegenüber dieser Idee Lippenbekenntnisse, aber keiner nahm es ernst.

Mein Magazin Haolam Hazeh und später die Partei, die ich gründete, die denselben Namen hatte, waren die einzigen Organisationen in der Welt, die diesen Kampf weiterführten. Golda Meir sagte das berühmte Wort, dass "es so etwas wie ein palästinensisches Volk nicht gibt" (und weniger bekannt ist: "Ich bin bereit, auf die Barrikaden zu steigen, um Uri Avnery aus der Knesset zu werfen".

Diese vollkommene Weigerung, die Rechte und auch nur die Existenz des palästinensischen Volkes anzuerkennen, wurde durch den Sechstagekrieg von 1967 weiter verstärkt, als Israel von dem, was von Palästina übriggeblieben war, Besitz ergriff. Die herrschende Doktrin war die "jordanische Option": die Idee, dass, falls Israel die West Bank oder Teile davon zurückgäbe, man sie König Hussein geben würde.

Darin waren sich von David Ben-Gurion bis Levi Eschkol und von Jitzchak Rabin bis Schimon Peres alle einig. Die Idee dahinter war nicht nur die ererbte Leugnung der Existenz des palästinensischen Volkes, sondern auch die verrückte Überzeugung, dass der König Jerusalem aufgeben würde, da seine Hauptstadt ja Amman war. Nur ein völliger Dummkopf könnte geglaubt haben, dass der haschemitische König, ein direkter Nachkomme des Propheten, die dritt-heiligste Stadt des Islam Ungläubigen überlassen würde.

Die pro-sowjetisch israelisch kommunistische Partei war auch für die jordanische Option, was mich in der Knesset zu dem Scherz veranlaßte, sie sei wahrscheinlich die einzige kommunistische monarchistische Partei in der Welt. Dies endete 1969, als Leonid Brezhnev plötzlich den Kurs änderte und die "zwei Staaten für zwei Völker"-Formel akzeptierte. Die israelischen Kommunisten folgten ihm, fast bevor er noch die Worte ausgesprochen hatte.

Die Likud-Partei war natürlich nie bereit, auch nur einen Quadratmeter von Erez Israel aufzugeben. Offiziell erhebt er immer noch Anspruch auf das Ostufer des Jordans. Nur ein Erzlügner wie Netanjahu konnte der Welt öffentlich verkünden, er akzeptiere die "Zwei-Staaten-Lösung". Kein Likud-Mitglied nahm das ernst.

Wenn der höchste Diplomat der Welt sagt, dass es einen weltweiten Konsens für die Zwei-Staaten-Lösung gibt, habe ich das Recht, mich einen Augenblick lang der Genugtuung zu erfreuen. Und des Optimismus'.


"OPTIMISTISCH" IST der Titel meiner Memoiren, deren zweiter Teil in dieser Woche herauskam (Leider nur auf Hebräisch. Ich habe noch keinen Verleger gefunden, der es in anderen Sprachen herausgibt.)

Als der erste Teil erschien, dachten die Leute, der Titel sei verrückt. Jetzt sagen sie, er sei wahnwitzig.

Optimistisch? Heute? Wenn das israelische Friedenslager zutiefst verzweifelt ist? Wenn der hausgemachte Faschismus sein Haupt erhebt und die Regierung zum nationalen Selbstmord treibt?

Ich habe mehrfach zu erklären versucht, woher dieser irrationale Optimismus kommt: aus genetischen Wurzeln, Lebenserfahrung, das Wissen, dass Pessimisten gar nichts tun, dass es die Optimisten sind, die versuchen, eine Veränderung zu bewirken.

Um ein Motto Antonio Gramscis zu zitieren: "Pessimismus des Intellekts, Optimismus des Willens.


BAN IST nicht der einzige Antisemit, der kürzlich demaskiert wurde. Ein anderer ist Laurent Fabius, Außenminister von Frankreich.

Wie kommt das? Fabius hatte vor Kurzem den Einfall, eine internationale Konferenz für israelisch-palästinensischen Frieden (natürlich nach Paris) einzuberufen. Er erklärte im Voraus, wenn diese Idee nicht akzeptiert werde, werde Frankreich den palästinensischen Staat anerkennen, womit er denen in Europa, die ihm darin folgen wollten, Tür und Tor öffnen würde.

Dies erhebt eine semantische Frage. Nach zionistischem Sprachgebrauch kann nur ein Nicht-Jude ein Antisemit sein. Ein Jude, der dasselbe sagt, ist ein "jüdischer Selbsthasser".

Fabius gehört zu einer jüdischen Familie, die zum Katholizismus konvertiert ist. Nach jüdisch religiösem Gesetz (der Halacha) bleibt ein Jude, der gesündigt hat, ein Jude. Konvertieren ist eine Sünde. Ist Fabius also ein Nichtjude und deshalb ein Antisemit oder ein jüdischer Sünder, ein Selbsthasser?

Wie sollten wir ihn also nennen, wenn wir ihn verfluchen?



Copyright 2016 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 06.02.2016
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2016

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