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STANDPUNKT/618: Denkt an Naboth! (Uri Avnery)


Denkt an Naboth!

von Uri Avnery, 17. Dezember 2016


IN JERUSALEM wird derzeit über eine unglaubliche Gesetzesvorlage debattiert.

Das Land beschäftigt sich ausgiebig mit einer Siedlung, die Amona heißt. Tief in den besetzten Gebieten haben ein paar Dutzend jüdische Familien eine illegale Siedlung errichtet - illegal sogar nach israelischem Gesetz, ganz zu schweigen vom Völkerrecht.

Das Problem ist, sie machten sich nicht die Mühe, herauszufinden, wem das Land gehört, auf dem sie siedelten. Wie sich herausstelle, ist es tatsächlich Privatbesitz arabischer Bauern. Das Oberste Gericht Israels befahl den Siedlern, das Land zu räumen.

Juden sollen ein Gebiet räumen? Undenkbar! Die Amoniter schworen, "passiven" Widerstand zu leisten. Was gleichbedeutend damit ist, Zehntausende von Siedlern aus allen besetzten Gebieten aufzurufen, schleunigst vor Ort zu erscheinen. Das bedeutet schreiende Babies, kreischende Mädchen, gewalttätige Jungs, die perplexe Soldaten anrempeln (viele von ihnen sind selbst Siedler), Männer, die den gelben Stern aus der Nazizeit tragen, Frauen, die ihre vielen weinenden Kinder an sich drücken. Kameras in Hülle und Fülle. Schrecklich!

Als das Datum für die Räumung näher kam und das Gericht sich weigerte, eine Verschiebung zu gewähren - nach Jahren rechtlicher Spielchen - fand die Regierung einen Ausweg: die Amona-Siedler werden 100 Meter weiterziehen, auf ein Land, das auf dem selben Hügel liegt, offiziell aber keinen Privatpersonen gehört.

Als Gegenleistung für diese Gunst, verspricht die Regierung den Siedlern ein "Legitimierungsgesetz", die Erfindung eines ausgesprochenen Rechts-Genies. Darin heißt es, dass an vielen Dutzenden von Plätzen der ganzen Westbank, wo andere Siedlungen auf palästinensischem Privatbesitz errichtet wurden, das Land einfach enteignet und den rechtmäßigen Besitzern eine Entschädigung ausgezahlt wird.

Kurz gesagt: ein gigantischer Akt des Raubes von Privatbesitz, das zufällig palästinensischen Arabern gehört, um die Siedlungen fanatischer ultra-rechter Juden zu "legitimieren".


ALS ICH den Text des Gesetzesvorschlages las, wurde ich an einen Satz in der Bibel erinnert, der mich immer schon verblüfft hat.

Er steht in Exodus(12): Als Pharao den Kindern Israels nach den zehn schrecklichen Plagen endlich erlaubte, Ägypten zu verlassen, taten sie etwas Ungewöhnliches.

"Und die Kinder Israels .... borgten von den Ägyptern Juwelen aus Silber und Juwelen aus Gold und Kleidung ... und nahmen es den Ägyptern weg."

Da die Kinder Israels für immer weggingen, bedeutet hier "borgen" stehlen. Nicht vom Pharao und dem Staat, sondern von ganz gewöhnlichen Leuten, ihren Nachbarn.

Man stimmt jetzt gewöhnlich unter Experten darin überein, dass der Exodus nie wirklich stattgefunden hat, und dass die Geschichte etwa tausend Jahre nach dem berichteten Ereignis aufgeschrieben wurde. Aber warum sollte ein Schriftsteller seinen Vorfahren ein so unehrenhaftes Verhalten zuschreiben? Noch dazu, wenn es niemals geschehen ist?

Die einzige Antwort, die ich mir vorstellen kann, ist, dass die Schriftsteller und Editoren zu ihrer Zeit in dieser Geschichte nichts so Abstoßendes sahen. Das Betrügen und Plündern von Nicht-Israeliten war in Ordnung.

Es ist auch jetzt für Siedler und Israels Regierung in Ordnung.

(Woher wissen wir, dass die Exodus-Geschichte zu einem viel späteren Zeitpunkt erfunden wurde? Weil die ägyptischen Orte, die in der Geschichte erwähnt werden, zu der Zeit des imaginären Moses noch nicht existierten, aber in der Zeit der Makkabäer existierten, viele Jahrhunderte später, als der Text geschrieben wurde.)


EIN ANDERES Kapitel der Bibel ist sogar den gegenwärtigen Geschehnissen noch angemessener. Es ist ein Text, den jedes israelische Schulkind in seinen frühen Jahren auswendig lernt. Im hebräischen Original ist es, abgesehen von seiner überwältigenden moralischen Kraft, von außerordentlich literarischer Schönheit.

Es heißt in (1. Könige, 21):

Nabot, ein Jesreeliter, hatte einen Weinberg ... bei dem Palast Ahabs, des Königs von Samaria.

Und Ahab redete mit Naboth und sprach: Gib mir Deinen Weinberg, ich will mir einen Kohlgarten daraus machen, weil er so nahe bei meinem Haus liegt. Ich will dir einen besseren Weinberg dafür geben, oder wenn es dir gefällt, will ich dir Geld dafür geben, so viel wie er wert ist.

Und Naboth sagte zu Ahab: "Das lasse der Herr ferne von mir sein, dass ich dir meiner Väter Erbe geben sollte!" Ahab kam voll Unmut und zornig nach Hause. Aber Isebel, seine Frau, kam zu ihm und redete mit ihm: "Warum ist dein Geist so voller Unmut?

Die Frau nahm die Sache in die Hand und befahl den Ältesten von Samaria, Naboth durch falsche Anklagen vor Gericht zu bringen. Er wurde zu Tode gesteinigt.

Gott, dem Allmächtigen, gefiehl dies gar nicht. Er sandte seinen Propheten Elia, der zu Ahab herantrat und zu ihm sagte:

"Hast Du getötet und auch Besitz gestohlen? ... Wo Hunde das Blut Naboths leckten, sollen Hunde Dein Blut lecken".

Und so geschah es. Ahab starb den Tod eines Helden in der Schlacht, er fiel durch einen zufällig abgeschossenen Pfeil. Die Hunde leckten sein Blut vom Wagen. Sie fraßen auch das Fleisch von Isebel, seiner Frau.

Im Hebräischen klingt die Geschichte unendlich viel schöner als in jeder Übersetzung. Nichtreligiöse können sie mit ebenso großem ästhetischen Vergnügen lesen wie Religiöse.


FALLS GOTT heute hier wäre, würde er sicher einen seiner diensthabenden Propheten zu Benjamin Netanjahu senden (ein netter biblisch klingender Name) und ihm etwas über die heutigen Blut leckenden Hunde erzählen (Journalisten? Reporter)

Die geplante "Legalisierung" des Wegnehmens arabischen Privateigentums ist, egal unter welchen Bedingungen, reiner Diebstahl. Jeder arabische Landbesitzer würde Naboth zitieren. "Das lasse Allah fern von mir sein..."

Netanjahu muss seine Frau nicht behelligen. Sarah`le hat ihre eigenen Probleme mit dem Gesetz. Anstelle von Isebel hat er die Knesset und den Staatsanwalt.

Doch die vorgeschlagene Lösung - die Siedler ein paar Meter weiter auf Regierungsbesitz umsiedeln zu lassen - ist nicht besser als Ahabs Angebot an Naboth. Tatsächlich ist sie viel schlimmer.

König Bibi bietet, wie König Ahab, Geld als Entschädigung, aber kein anderes - noch dazu besseres - Land an. Tatsächlich erwartet er, dass die Araber das Geld nehmen und damit nach Brasilien oder Schweden auswandern.

Das Angebot, die Siedler von Amona nahebei auf Regierungsland anzusiedeln, bedarf einer Erklärung. Wie kommt es, dass die israelische Regierung Land in der besetzten Westbank besitzt? (Im Unterschied zur Ostbank des Jordanflusses, das zum jordanischen Königreich gehört. Die Regierung und die Siedler selbst nennen das Gebiet "Samaria" wie in der Bibel).

In den guten alten Zeiten des Osmanischen Reiches gehörte das Land dem Sultan, der es an Bauern verpachtete. Vor dem Ersten Weltkrieg, als der Sultan - wie üblich - bankrott war, verkaufte er einiges Land an Privatpersonen, meistens reiche arabische Kaufleute in Jaffa, Beirut oder Monte Carlo. Sie waren abwesende Grundbesitzer und die Bauern auf dem Land blieben dieselben.

Doch das meiste Land gehörte weiter dem Sultan - bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, als die Regierung des neuen britischen Mandats Palästina übernahm. Die einheimischen palästinensischen Bauern blieben natürlich.

Dies war die Situation, als - nach dem israelisch-arabischen Krieg von 1948 - die jordanische königliche Regierung von dem Land Besitz nahm. Nichts hat sich verändert. Die Regierung von Jordanien nahm das Land in Besitz, die Bauern arbeiteten auf ihrem Stück Land, so wie sie es seit vielen Generationen taten.

Als Israel 1967 die Westbank eroberte, kam es zu einer völlig anderen Situation. Anders als die Türken, die Briten und die Jordanier, hat die gegenwärtige israelische Regierung es auf das Land abgesehen. Sie will es jüdischen Siedlern übergeben, die extrem rechts, extrem religiös oder beides sind.

Die Rechts-Fiktion des "regierungseigenen Landes" wurde über Nacht zur Realität. Große Landgebiete auf der Westbank gehörten plötzlich der israelischen Regierung. Andere riesige Landflächen, die den Palästinensern gehörten, die geflohen sind oder 1967 vertrieben wurden - sogenannter "Besitz von Abwesenden" - wurde von der israelischen Regierung auch enteignet.

All dies ist jetzt "Regierungsland", auf dem Israelis frei nach israelischem Recht siedeln können. Es ist unnötig zu sagen, dass all dies dem Völkerrecht zufolge vollkommen illegal ist. Dieses verbietet einer "Besatzungsmacht" kategorisch, ihre Bürger im besetzten Gebiet anzusiedeln.

Dies ist die rechtliche Situation: Israelische Siedler auf "Regierungsland" zu bringen, ist nach israelischem Gesetz legal, nach dem Völkerrecht absolut verboten. Siedler auf privates Land von Palästinensern zu setzen ist sowohl nach dem Völkerrecht als auch nach israelischem Recht verboten.

Ab sofort werden die Amona-Siedler von der Regierung gebeten, zum nahen "Regierungsland" umzuziehen. Sie haben nun die Wahl zwischen Vertreibung oder Zustimmung, ein paar hundert Meter weiter in ihre neuen Wohnsitze umzuziehen.


ICH FRAGE mich, was der Prophet Elia zu all dem sagen würde. Er war kein Mensch, der sich mit Untertreibungen abgab.

Die israelischen Hunde werden weder das Blut von Netanjahu lecken, noch das Fleisch von Sarah'le fressen. Gott bewahre.

Vor ein paar Tagen hat eine Kunst-Studentin in der Jerusalemer Bezalel-Kunstakademie ein Poster gemalt, das einen Mann zeigte, der auf interessante Weise Ähnlichkeit mit Netanjahu hatte und sich einer Henkersschlinge gegenüber sah. Sie wurde zum Polizei-Hauptquartier beordert und wegen Aufwiegelung verhört.

Nicht einmal Ahab ging so weit.



Copyright 2016 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 17.12.2016
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2016

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