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STANDPUNKT/649: Beihilfe zur Hungersnot (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 28. April 2017
(german-foreign-policy.com)

Beihilfe zur Hungersnot 28.04.2017


BERLIN/RIAD - Bundeskanzlerin Angela Merkel wird am Sonntag zu Gesprächen über die Kriege in Syrien und im Jemen in der saudischen Hauptstadt Riad erwartet. Dies berichten saudische Medien. Demnach nehmen die Stellvertreterkriege, die Saudi-Arabien zur Zeit gegen Iran führt, neben dem Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen eine zentrale Stellung beim Besuch der Kanzlerin in der Golfmonarchie ein. Berlin unterstützt Riad in den Stellvertreterkriegen - politisch, aber auch mit der Lieferung von Waffen, obwohl diese nachweislich im Jemen zum Einsatz kommen. Saudi-Arabien wird wegen des Krieges im Jemen scharf kritisiert: Dieser führt zu zahlreichen Todesopfern unter der Zivilbevölkerung; außerdem provoziert die von Riad verhängte Seeblockade gegen jemenitische Häfen eine Hungersnot. Bereits jetzt sind 2,2 Millionen Kinder im Jemen mangelernährt, 500.000 von ihnen sind vom Hungertod bedroht. Erst im März hat Berlin die Lieferung weiterer deutscher Patrouillenboote an Saudi-Arabien genehmigt, obwohl diese genutzt werden können, um die Seeblockade zu erzwingen. Hilfsorganisationen laufen Sturm.

Gegenmacht gegen Iran

Saudi-Arabien nimmt in der Mittelost-Strategie der Bundesrepublik eine bedeutende Stellung ein. Hintergrund ist der Machtkampf gegen Iran. Seit eine westliche Kriegskoalition unter Führung der USA den Irak und damit einen langjährigen Rivalen Irans zerstörte, ist der Weg für das Land prinzipiell frei, zur regionalen Vormacht im Mittleren Osten zu werden. Das Potenzial dazu hat Teheran mit seinem Reichtum an Öl und Gas, mit seiner zahlenstarken, gut ausgebildeten Bevölkerung und mit seiner exklusiven geostrategischen Lage durchaus.[1] Weil die aktuelle iranische Regierung aber auf einer dem Westen gegenüber eigenständigen Politik beharrt, unterstützen sowohl Washington als auch Berlin Saudi-Arabien, das es machtpolitisch als einziger Staat der Region mit Iran aufnehmen kann und zugleich als dem Westen gegenüber fügsamer gilt. Riad wird gezielt zur Gegenmacht gegen Iran aufgebaut - was die Bundesrepublik betrifft, seit dem Besuch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in der saudischen Hauptstadt im Oktober 2003.[2]

Stellvertreterkriege

Schon bald hat die verstärkte Unterstützung für Saudi-Arabien auch Rüstungslieferungen umfasst. Unter Rot-Grün überstiegen die genehmigten Rüstungsexporte im Jahr 2004 erstmals 50 Millionen Euro; im Jahr 2008 segnete die damalige große Koalition erstmals Lieferungen im Wert von mehr als 100 Millionen Euro ab. Seitdem liegen die Jahreswerte stets im dreistelligen Millionen-Euro-Bereich. 2016 genehmigte Berlin die Ausfuhr deutschen Kriegsgeräts an Riad im Wert von sogar 529 Millionen Euro. Dies geschieht, obwohl Saudi-Arabien seit Jahren Kriege unterstützt und inzwischen sogar selbst führt - Stellvertreterkriege gegen Iran. So zählt Riad seit Beginn der bewaffneten Kämpfe in Syrien zu den wichtigsten Unterstützern von Milizen, die den mit Iran kooperierenden Präsidenten Bashar al Assad stürzen wollen, darunter vor allem salafistische, sogar jihadistische Kampfverbände. Seit März 2015 führt Riad eine arabische Militärkoalition an, die im Jemen Krieg gegen die von Teheran geförderten Houthi führt und dort einen Parteigänger Saudi-Arabiens zurück an die Macht bomben will.

Seeblockade

Vor allem der saudische Krieg im Jemen ruft immer wieder heftige internationale Proteste hervor. Saudischen Luftangriffen sind zahlreiche Zivilisten zum Opfer gefallen; am 8. Oktober 2016 etwa starben mehr als 140 Gäste einer Trauerfeier, die von saudischen Piloten bombardiert worden war. Im Januar meldeten die Vereinten Nationen, die Zahl der im Jemen getöteten Zivilisten habe die Schwelle von 10.000 überschritten. Recherchen zufolge treffen mehr als ein Drittel der saudischen Luftangriffe zivile Ziele; deswegen hatte die Obama-Administration sogar zeitweise die Lieferung von Munition an Riad eingeschränkt.[3] Hinzu kommt, dass Riad seine Bombardements um eine Seeblockade gegen jemenitische Häfen ergänzt. Das verschärft die desolate Versorgungslage in katastrophalem Ausmaß. Der Jemen ist bei der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff zu 80 bis 90 Prozent auf Importe angewiesen, die weitgehend über See abgewickelt werden. Die Seeblockade behindert auch solche Lieferungen, darunter sogar Hilfslieferungen der Vereinten Nationen. Mittlerweile sind von den 27,5 Millionen Jemeniten rund 80 Prozent prinzipiell auf humanitäre Hilfe angewiesen, 40 Prozent sind akut hilfsbedürftig; 2,2 Millionen Kinder sind mangelernährt, 500.000 von ihnen sind vom Hungertod bedroht.[4]

Von Menschen gemacht

Dabei droht sich die Lage noch weiter zuzuspitzen. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag in Riad Gespräche über die weitere Zusammenarbeit führt, bereitet die saudisch geführte Militärkoalition einen umfassenden Angriff auf den jemenitischen Hafen Al Hudaydah vor, der zur Zeit noch von den Houthi kontrolliert wird. Eine Zerstörung der Hafenanlagen werde humanitäre Hilfslieferungen noch weiter einschränken, warnen Beobachter; der UN-Sonderberichterstatter für die negativen Folgen einseitiger Zwangsmaßnahmen, Idriss Jazairy, übt scharfe Kritik an der saudischen Blockade und dringt darauf, nicht nur vom Bombardement des Hafens Al Hudaydah abzusehen, sondern ihn zudem für Hilfslieferungen freizugeben und die durch frühere Luftangriffe bereits beschädigten Entladevorrichtungen instandzusetzen, um die Bevölkerung angemessen zu versorgen: Diese leide unter einer "von Menschen gemachten Hungersnot".[5]

Mit deutschen Waffen

Saudi-Arabien führt den Stellvertreterkrieg gegen Iran im Jemen nicht nur im deutschen Interesse, sondern auch mit deutschen Waffen. Dokumentiert ist, dass die saudische Luftwaffe Tornados und Eurofighter nutzte, die zu nennenswerten Teilen in der Bundesrepublik produziert werden. Unklar ist, ob Saudi-Arabien im Jemen auch seine drei zum Teil in Deutschland hergestellten Tankflugzeuge des Typs Airbus A330 MRTT nutzt; klar ist jedoch, dass die saudische Luftwaffe in gemeinsamen Manövern mit der Bundeswehr komplexe multinationale Einsätze und den Aufbau und Betrieb eines Hauptquartiers für multinationale Operationen trainiert hat (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Darüber hinaus ist die in Deutschland hergestellte Drohne Luna im Jemen eingesetzt worden; Houthi-Truppen konnten eine von ihnen schon im April 2015 abfangen. Ein Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch entdeckte in einem von den saudischen Streitkräften bombardierten Gebiet eine nicht explodierte 1.000-Pfund-Bombe, deren Code nahelegte, sei sei in einer Munitionsfabrik der italienischen Rheinmetall-Tochter RWM Italia hergestellt worden; RWM Italia und Rheinmetall Italia führten 2014 und 2015 Rüstungsgüter im Wert von 71,5 Millionen Euro nach Saudi-Arabien aus. Die südafrikanische Rheinmetall Denel Munition (RDM) hat sich am Bau einer Munitionsfabrik in Al Kharj südöstlich von Riad beteiligt, die Artilleriegeschosse und Fliegerbomben produziert; RDM liefert der Fabrik auch zu.[7]

Kein Embargo

Weitere Lieferungen sind in Vorbereitung oder bereits im Gange. So sollen die letzten vier der insgesamt 72 Eurofighter, die Saudi-Arabien für seine Luftwaffe beschafft, noch in diesem Jahr ausgeliefert werden; in Riad ist der Kauf weiterer 72 Eurofighter im Gespräch.[8] Der Deal wird über Großbritannien abgewickelt, doch werden die Flieger anteilig in Deutschland produziert. Darüber hinaus beliefert die Bremer Lürssen-Werft Saudi-Arabien mit Patrouillenbooten, die offiziell zur Abwehr von Schmuggel und von Piraterie an den Seegrenzen verwendet werden; sie lassen sich auch zur Durchsetzung der saudischen Seeblockade nutzen. Insgesamt hat Riad 48 Patrouillenboote bestellt; die Lieferung von mindestens fünf Stück ist mittlerweile von der Bundesregierung genehmigt worden. All dies geschieht, obwohl das Europaparlament bereits im Februar vergangenen Jahres gefordert hat, Saudi-Arabien mit einem strikten Waffenembargo zu belegen.[8] Da dieses Votum allerdings deutschen Interessen diametral zuwiderläuft, wird es von der Bundesregierung kühl ignoriert.


Anmerkungen:

[1] S. dazu Hegemonialkampf am Golf.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57722

[2] S. dazu Partner.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/36737

[3] S. dazu Ignorierte Kriege (I).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59464

[4] Jemen: Im Wettlauf gegen die Zeit, um Millionen Menschenleben zu retten. Gemeinsame Pressemitteilung von WFP und UNICEF. 25.04.2017.

[5] Lift blockade of Yemen to stop "catastrophe" of millions facing starvation, says UN expert. www.ohchr.org 12.04.2017.

[6] S. dazu Deutsch-arabische Manöver
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57513
und Mit Diktatoren in den Krieg.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58506

[7] S. dazu Ein Spitzenkäufer deutschen Kriegsgeräts.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59465

[8] European Parliament resolution of 25 February 2016 on the humanitarian situation in Yemen. www.europarl.europa.eu 2016/2515(RSP) 25.02.2016.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2017

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