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STANDPUNKT/809: Ost-Turkestan im Visier - 1. Teil (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 15. November 2018
german-foreign-policy.com

Ost-Turkestan im Visier (I)


BERLIN/BEIJING - Die Bundesregierung beteiligt sich an der beginnenden westlichen Kampagne gegen China wegen chinesischer Anti-Terror-Maßnahmen im Autonomen Gebiet Xinjiang. Die chinesischen Behörden gehen dort massiv gegen uigurische Terroristen und deren Umfeld vor: Diese werden in Lagern interniert, von denen Beijing erklärt, es handle sich um "Bildungszentren", während westliche Regierungen sie als "Umerziehungslager" bezeichnen. Angaben über die Zahl der Internierten reichen von einigen 10.000 bis zu einer Million. Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat China bei seinem Antrittsbesuch öffentlich deswegen kritisiert; Beijing verwahrt sich gegen die Berliner Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Dem Terror uigurischer Separatisten gegen Han-Chinesen sind in den vergangenen Jahren Hunderte, womöglich Tausende Menschen zum Opfer gefallen; uigurische Jihadisten kämpfen in den Reihen des IS. Dabei werden uigurische Separatisten, die Xinjiang als "Ost-Turkestan" von China abspalten wollen, aus dem westlichen Ausland unterstützt - auch aus Deutschland.

"Sofort schließen"

Berlin nutzt das Vorgehen der chinesischen Behörden im westchinesischen Autonomen Gebiet Xinjiang, um den internationalen Druck auf die Volksrepublik zu erhöhen. Am Dienstag vergangener Woche hat die Bundesrepublik zunächst in einer Sitzung des UN-Menschenrechtsrats gemeinsam mit Frankreich, Großbritannien, Kanada und den Vereinigten Staaten Beijing aufgefordert, die Lager für Uiguren in Xinjiang umgehend aufzulösen. Am Donnerstag debattierte der Bundestag über einen Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, in dem es hieß, die Bundesregierung solle von China verlangen, "alle Lager und Hafteinrichtungen zu schließen und die inhaftierten Personen sofort und bedingungslos freizulassen". Im Bundestag wurden auch Sanktionen gegen chinesische Beamte diskutiert.[1] Am Montag hat der deutsche Außenminister Heiko Maas in Beijing nachgelegt und bei seinem Antrittsbesuch dort erklärt: "Mit Umerziehungslagern können wir uns nicht abfinden." Die Volksrepublik müsse "Transparenz ... schaffen", damit das Ausland "abschließend ... beurteilen" könne, "was dort geschieht".[2]

"Eklatante Einmischung"

Beijing hat sich entschieden gegen die Einmischung Deutschlands und weiterer westlicher Staaten verwahrt. So hat die chinesische Botschaft in Berlin die Debatte des Bundestags über Xinjiang in einem Schreiben vom Freitag als "eine eklatante Einmischung in die inneren Angelegenheiten und eine grobe Verletzung der Souveränität Chinas" scharf kritisiert.[3] Die Volksrepublik wolle "auf der Grundlage von Gleichberechtigung und gegenseitigem Respekt" mit der Bundesrepublik einen Dialog führen; die Bundesregierung solle die Protestnote ernst nehmen, "um sicherzustellen, dass die deutsch-chinesischen Beziehungen sich auch weiterhin in die richtige Richtung entwickeln". Maas' darauf folgende Intervention in Beijing ist vom chinesischen Außenminister Wang Yi kategorisch zurückgewiesen worden. "Das sind interne Angelegenheiten Chinas", erklärte Wang nach seinem Treffen mit Maas: Es gehe in Xinjiang um die "Verhinderung von Terrorismus". Die Lager seien eine "Präventionsmaßnahme".[4]

Terror in Xinjiang

Tatsächlich handelt es sich bei Chinas Vorgehen in Xinjiang um einen Anti-Terror-Kampf - eine Art chinesische Alternative zum westlichen Anti-Terror-Krieg, der ab 2001 zunächst die Verschleppung von Verdächtigen in ausländische Foltergefängnisse - darunter solche in Europa [5] -, dann unter anderem Drohnenangriffe auf Verdächtige mit einer hohen Zahl ziviler Todesopfer [6] umfasste. Terrorangriffe werden in Xinjiang bereits seit den 1990er Jahren von Angehörigen der turksprachigen Minderheit der Uiguren verübt, die für die Abspaltung des Autonomen Gebiets von China kämpfen und einen Staat "Ost-Turkestan" gründen wollen; manche haben dabei eine Fusion mit turksprachigen Staaten Zentralasiens im Blick. Zu den Anschlägen, die auch im Westen bekannt wurden, zählen etwa ein Angriff uigurischer Terroristen auf eine Kohlemine in Xinjiang im September 2015, bei dem die Angreifer gezielt nicht-turksprachige Arbeiter - vor allem Angehörige der chinesischen Han-Mehrheit - mit langen Messern abschlachteten. Laut westlichen Medienberichten kamen dabei rund 50 Menschen ums Leben.[7] Am 1. März 2014 griffen acht uigurische Terroristen ebenfalls mit Messern zivile Reisende im Bahnhof von Kunming, der Hauptstadt der Provinz Yunnan, an, töteten dabei 31 Menschen und verletzten rund 150 weitere teils schwer. Immer wieder hat es auch Pogrome gegen Han-Chinesen gegeben. So griffen im Juli 2009 mehrere Tausend Uiguren in Xinjiangs Hauptstadt Urumqi gezielt Han-Chinesen an. Laut offiziellen Angaben kamen dabei 197 Menschen zu Tode. Beobachter gehen davon aus, dass die tatsächliche Opferzahl deutlich höher liegen kann.

Der uigurische Jihad

Das Spektrum der uigurischen Separatisten überlappt sich dabei mit dem Milieu uigurischer Jihadisten, die mit der Abspaltung Xinjiangs von China den Plan zur Gründung eines salafistischen Gottesstaates verbinden. Uigurische Jihadisten beschränken ihren Aktionsradius schon lange nicht mehr auf China. Erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden sie, als die Vereinigten Staaten im Rahmen des "Anti-Terror-Kriegs" ab dem Jahr 2002 mehr als 20 Uiguren im Folterlager Guantanamo internierten. Die letzten von ihnen kamen erst Ende 2013 frei. Uigurische Jihadisten sind längst nicht mehr nur in Afghanistan, sondern auch in anderen Weltgegenden aktiv. So wurden die Täter bei einem Bombenanschlag am 17. August 2015 in Bangkok mit Uiguren in Verbindung gebracht. Der Anschlag fand an einem Schrein statt, der regelmäßig von chinesischen Touristen besucht wird; er kostete 20 Menschen das Leben, darunter mehrere Han-Chinesen.[8] Uigurische Jihadisten wurden auch in anderen Ländern Südostasiens immer wieder registriert, zum Beispiel in Malaysia und in Indonesien, von wo aus nicht wenige von ihnen in die Türkei reisten, um dort den IS oder Al Qaida zu unterstützen. China gab die Zahl der Uiguren, die in den Reihen des IS kämpften, im vergangenen Jahr mit 300 an, während syrische Regierungsstellen die Zahl uigurischer Mitglieder der diversen jihadistischen Milizen, die in Syrien operierten, mit bis zu 5.000 bezifferten. Experten gehen - unabhängig davon, ob die Zahlen im Detail zutreffen - von einer signifikanten Gruppe uigurischer Milizionäre in den Reihen des IS und von Al Qaida aus. Wie es in einer Analyse des International Centre for Counter-Terrorism in Den Haag heißt, wird die Bedrohung durch uigurische Jihadisten im Westen weithin unterschätzt.[9]

"Unsere Märtyrer"

Für China wiegt der Terror umso schwerer, als er mit Xinjiang eine strategisch wichtige Region trifft: Das Autonome Gebiet umfasst zentrale Abschnitte der "Neuen Seidenstraße" ("Belt and Road Initiative", BRI), die als derzeit bedeutendstes außenpolitisches Großprojekt Beijings gilt. Unruhen in Xinjiang bedrohen damit neben der inneren Ordnung der Volksrepublik auch ihren Aufstieg in der Weltpolitik. Dabei werden die Unruhen systematisch von außen geschürt. Eine hervorgehobene Rolle spielt dabei die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan. Erdogan erklärte schon lange vor seinem Aufstieg zum Regierungschef, noch zu seiner Amtszeit als Bürgermeister von Istanbul: "Ost-Turkestan ist nicht nur die Heimat der Turkvölker, sondern auch die Wiege der türkischen Geschichte, Zivilisation und Kultur. Die Märtyrer Ost-Turkestans sind unsere Märtyrer."[10] Uigurische Jihadisten finden regelmäßig Zuflucht in der Türkei. Auch hat Ankaras Geheimdienst immer wieder "versucht, die separatistischen Bestrebungen [in Xinjiang] zu unterstützen", bestätigt der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom im Gespräch mit german-foreign-policy.com.[11]

Auch in Deutschland

Auch in der Bundesrepublik Deutschland, zum Teil mit offizieller Unterstützung sind uigurische Separatisten aktiv - ein Vorgang, der ein neues Licht auf die jüngsten Attacken Berlins gegen die Volksrepublik wirft. Die Aktivitäten reichen bis in die Jahre des Kalten Kriegs zurück. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.


Anmerkungen:

[1] Antrag der Abgeordneten Margarete Bause, Kai Gehring, Jürgen Trittin, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Ottmar von Holtz und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Schwere Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang beenden, aufklären und ahnden. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/5544, 07.11.2018.

[2], [3] Friederike Böge: Diplomatisches Ballgefühl. Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.11.2018.

[4] China rechtfertigt "Umerziehungslager" für Uiguren. zeit.de 13.11.2018.

[5] S. dazu 17 Jahre "Anti-Terror-Krieg"
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7717/

[6] S. dazu Die Phase der gezielten Tötungen
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6132/

[7] At least 50 reported to have died in attack on coalmine in Xinjiang in September. theguardian.com 01.10.2015.

[8] Thomas Fuller, Edward Wong: Thailand Blames Uighur Militants for Bombing at Bangkok Shrine. nytimes.com 15.09.2015.

[9], [10] Colin P. Clarke, Paul Rexton Kan: Uighur Foreign Fighters: An Underexamined Jihadist Challenge. ICCT Policy Brief. November 2017.

[11] S. dazu Vom Partner zum Konkurrenten
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7287/

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2018

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