Nach Auflösung des INF-Vertrages
Wie weiter?
von Kai Ehlers, 3. August 2019
Was bleibt zu tun, nachdem der Schutzraum, den der INF-Vertrag für Europa bildete, nunmehr weggefallen ist? Sich für die Erneuerung des Vertrages einsetzen? Einen erneuerten Vertrag gleicher Art ausweiten auf alle Länder, die landgestützte Potenziale unterhalten? Seine ersatzlose Streichung ohne weitere Reaktion einfach hinnehmen?
Keine dieser Varianten hält einer Realitätsprobe stand:
Den Vertrag zu erneuern, so wie er als Abkommen zwischen den USA und der Sowjetunion seinerzeit geschlossen wurde, käme der Erneuerung einer geplatzten Illusion gleich. War doch der Vertrag ohnehin nur ein vorübergehendes Entspannungsgeschenk zur Beruhigung Europas, das die Trump-Regierung jetzt zurückgezogen hat, um Europa in ihre Konfrontationspolitik gegenüber Russland neu einzubinden. Die strategischen Dimensionen des atomaren Patts waren von diesem Vertrag ohnehin nicht berührt. Er wurde zudem nicht mit Europa, sondern über dessen Souveränität hinweg zwischen den Großmächten geschlossen. Diese Situation würde sich nur wiederholen, wenn jetzt gegenseitige Kontrollen zwischen den USA und Russland über die Einhaltung des Vertrages vereinbart würden und selbst wenn die NATO eine Kontrolle der in Rumänien und Polen stationierten Abschussrampen zugestände. Europa, die EU wäre in dem Falle nicht Vertragspartner, d.h. Europa bliebe, wie schon 1987 als Objekt außen vor.
Einen erneuerten Vertrag auf alle Länder ausweiten zu wollen, die inzwischen über landgestützte Mittelstreckenstreckenraketen verfügen oder zur Zeit danach streben, scheitert an den Staaten, deren Potential wesentlich auf landgestützten Systemen beruht. China beispielsweise wäre erst dann bereit, sich einem solchen Vertrag anzuschließen, wenn zuvor die interkontinentalen Langstreckenpotenzen, allen voran diejenigen der USA, aber auch Russlands abgebaut würden. Das ist eine klare Logik, denn ein einseitiger Abbau von landstützten Mittelstreckenraketen bei Beibehaltung der interkontinentalen Suprematie der USA und Russlands käme einer nuklearen Entwaffnung und Unterordnung Chinas gleich. Das ist von Peking nicht zu erwarten. Aus Chinas Sicht müsste vor jeder Ausweitung nuklearer Kontrolle nach Art des INF mit der Reduzierung der interkontinentalen Potenzen begonnen werden. Ähnliches gilt notwendigerweise für die anderen kleineren Atommächte.
Bleibt die ersatzlose Versenkung des Vertrages. Das wäre angesichts der realen Bedeutungslosigkeit, was die waffentechnische Überholtheit des Vertrages im strategischen Kräfteverhältnis betrifft, 'eigentlich' kein Problem - wenn seine Abschaffung nicht zum Vorwand für eine neue Runde, sagen wir, eines kleinen zusätzlichen Rüstungswettlaufs genommen werden könnte, dessen einziger erkennbarer Zweck dann die Vertiefung der Konfrontation zwischen EU und Russland wäre mit dem Ziel, Russland so wie seinerzeit die Sowjetunion totzurüsten und Europa in der Konfrontation mit Russland zu erschöpfen.
Aus dieser Situation kann nur eine Politik herausführen, die Abschied nimmt von der Feinderklärung gegenüber Russland.
Zwei unterschiedliche, sich gegenseitig ergänzende Maßnahmen wären notwendig:
Die gegenwärtig zu beobachtende Aufweichung an der deutschen und europäischen Sanktionsfront gegen Russland gibt Hoffnung, dass die Notwendigkeit sich von der Kündigung nicht noch tiefer in eine Feindschaft zu Russland treiben zu lassen, von weitsichtigeren politischen Kräften erkannt wird. Letztlich ist aber klar, dass eine solche Politik nur möglich ist, wenn sie von einer aktiven Friedensbewegung aus der Mitte der Bevölkerung getragen wird.
Kai Ehlers ist Osteuropa-Experte, Autor und Journalist.
www.kai-ehlers.de
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Quelle:
© 2019 by Kai Ehlers
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2019
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