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LAIRE/1089: Ruinöse Milchpreise - Vorbereitung auf Zeiten des Mangels (SB)


Wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen

Milchviehhalter weltweit geraten aufgrund der niedrigen Milchpreise unter Druck


Die Milchbauern der Europäischen Union gehen auf die Barrikaden. Sie müssen die Milch weit unterhalb der Erzeugerkosten veräußern, ihnen droht massenweise die Pleite. Die gegenwärtigen Preise von unter 22 Cent pro Liter Milch decken die Unkosten nicht ab, geschweige denn, daß sie den Landwirten zu einem Einkommen verhelfen, das diesen größere Investitionen erlaubte. Alle Proteste verhallen bislang erfolglos. Weder der Hungerstreik der Milchbäuerinnen im Mai dieses Jahres vor dem Bundeskanzleramt noch PS-starke Demonstrationen in Berlin noch die vielen regionalen Aktionen haben das gewünschte Ergebnis gezeigt. Ob dem aktuellen Milchstreik in Frankreich und anderen EU-Ländern mehr Erfolg beschieden sein wird, muß sich noch erweisen. Die Milchpreise sind in den Keller gerutscht und scheinen dort zu verharren. Die Freude der Verbraucher darüber entspricht der Freude eines Passagiers auf dem bereits krängenden Kreuzfahrtschiff "Titanic", sich schnell noch ungestört am Büffet schadlos halten zu können ...

Ein Blick über den großen Teich zeigt Überraschendes: Den Landwirten in den USA ergeht es ähnlich wie ihren europäischen Kollegen. Obgleich die Art und Weise, wie dies- und jenseits des Atlantiks Milch produziert wird, voneinander abweichen und die durchschnittliche Zahl der Milchkühe pro Betrieb in den USA deutlich höher ist, werden die Milchbauern dort ebenso durch die niedrigen Preise existentiell bedroht. US-Farmer, die mindestens 1000 Milchkühe haben, verlieren pro Monat 30.000 bis 40.000 Dollar, berichtete der Milcherzeuger Jim Goodman. [1] Nach Einschätzung des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) wird der Gesamtumsatz für Milch und Milchprodukte gegenüber dem Vorjahr um 34 Prozent auf 23 Milliarden Dollar fallen.

In den USA wie in der EU sind die jeweils kleineren Betriebe von den niedrigen Milchpreisen besonders betroffen. Sie erfahren die geringste Unterstützung durch die Banken und verfügen in der Regel über so geringe Reserven, daß sie die niedrigen Milchpreise nicht lange kompensieren können. Die europäischen Milchbauern, die im European Milk Board (EMB) zusammengeschlossen sind, fordern deshalb von der EU, eine Mengenbegrenzung einzuführen. Das hat der EU-Agrarministerrat abgelehnt. Im Gegenteil. Die EU läßt die 1984 eingeführte Milchquotenregelung, mit der die Preise stabil gehalten werden sollten, auslaufen. Die Milchquote wird schrittweise erhöht. Ab 2015 fällt die Obergrenze gänzlich weg, was zur Folge haben dürfte, daß die produzierte Milchmenge weiter erhöht wird und die Preise fallen. Die EU-Agrarminister und die EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel erwägen, durch administrative Gegenregulationen wie den staatlichen Aufkauf von Milch und die Exportsubventionierung den Preis hochzuhalten. Im Oktober will Fischer Boel einen Bericht über die Milchpreis-Entwicklung auf den Weltmärkten vorlegen, dann dürfte auch die eine oder andere Entscheidung gefällt werden.

Selbst die Milchviehhalter in Neuseeland und Australien haben bis vor kurzem unter niedrigen Milchpreisen gelitten. Dort hat sich die Lage etwas entspannt, aber der Effekt der niedrigen Preise ist überall der gleiche: Es kommt zu einer Konkurswelle, von der die kleineren Betriebe als erste erfaßt werden. Bernd Voß, stellvertretender Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (ABL), rechnet nach der Aufhebung der Quote in der EU mit vermehrten Pleiten. Denn es könnten sich nur wenige Betriebe mehr Kühe und Ställe leisten, wenn die Milchquote fällt, wohingegen Kleinbetriebe in weniger lukrativen Lagen vor allem in Süddeutschland unter verschärften Konkurrenzdruck gerieten und das Nachsehen hätten. "Es kann erheblich mehr Milch erzeugt werden, aber nur mit der Konsequenz der Konzentration", sagte Voß laut der Netzzeitung. [2]

Als die EU im November 2008 gegen den Widerstand einzelner Mitgliedsländer das Ende des Milchquotensystems einläutete, waren sich die Verantwortlichen vollkommen klar darüber, daß vor allem die kleineren Milchviehhalter zum Aufgeben gezwungen werden. In den USA existiert kein Milchquotensystem, dennoch müssen auch dort Milchviehhalter ihre Arbeit einstellen, weil sie im Unterschied zu größeren Betrieben keine ausreichende finanzielle Unterstützung durch die Banken erfahren.

Washington und Brüssel betreiben auf ihre jeweils eigene Weise eine Politik, die zu einer weiteren Zentralisierung der Milchproduktion führt. Das Höfesterben setzt sich fort, und damit wird die Produktion von Nahrung in die Hände einer schwindenden Zahl von Unternehmen gelegt. An diesem Beispiel zeichnet sich eine wichtige Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik ab: Über wenige Milchviehbetriebe - und die stehen hier letztlich stellvertretend für die gesamte Nahrungsproduktion - läßt sich der administrative Zugriff auf und die Verteilung von Nahrung viel einfacher und durchgreifender gestalten als beispielsweise über kleinbäuerliche Produktionsstrukturen. In diesen wird zumindest noch das Wissen darüber bewahrt, wie Nahrung hergestellt werden kann, auch wenn die Bauern durch ein Netz von behördlichen Auflagen gefesselt sind und Schritt für Schritt an der Selbstversorgung gehindert werden sollen.

Es ist von vornherein in Herrschaftsstrukturen und ihrer Sicherung angelegt, daß deren Profiteure bestrebt sind, die Verfügungsgewalt laufend zu erweitern. Luft, Wasser und andere Nahrung sind existentiell unverzichtbar, weshalb derjenige, der darüber Zugriff erlangt, andere Menschen dazu bringen kann, daß sie etwas für ihn tun. Beispielsweise, daß sie willige Untertanen sind, die, womöglich partiell vom System privilegiert, für die Oberschicht in den Krieg ziehen, ihre Gesundheit am Fließband verschleißen oder in der Landwirtschaft für die neuzeitlichen Gutsherren, die heute als CEOs, internationale Lebensmittelkonzerne, in Erscheinung treten, unter Ruinierung ihrer Gesundheit knechten.

Unabhängig von der Tiefe des administrativen Zugriffs wird in den USA, der EU und anderen Weltregionen der Niedergang des Bauernstands vorangetrieben. Am Ende dieser bereits seit vielen Jahrzehnten anhaltenden Entwicklung wird eine Weltgesellschaft stehen, in der sich die Menschen genauso willfährig dirigieren lassen wie die Milchkühe, die mit ihrem Muhen nichts anderes zum Ausdruck bringen, als daß ihr Wirt bitte sehr nicht zu spät zum Füttern oder Melken kommen soll. Diese Analogie trifft um so mehr, wenn man sich vor Augen hält, daß inzwischen der Erhalt der Arbeitsplätze und eine "gerechte" Entlohnung zu Maximalforderungen der nicht vorhandenen Arbeiterklasse verkommen sind.

Wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen. Die Zwänge, denen sich die Milchviehhalter in der Europäischen Union, aber auch in den USA, Australien und Neuseeland ausgesetzt sehen, forcieren diese Entwicklung.


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Anmerkungen:

[1] "U.S. Farm Profit Plunging on Lower Crop, Dairy Prices", Bloomberg, 27. August 2009. Ins Netz gestellt am 30. August 2009 von Global Research.
www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=14968

[2] "Das Dilemma mit der Milchquote", 2. August 2007
http://www.netzeitung.de/politik/deutschland/703932.html

16. September 2009