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LAIRE/1113: Für Roland Koch ist Hartz IV noch nicht abschreckend genug (SB)


Milliarden für die Banker - Arschtritte für die Überflüssigen

Roland Koch läutet das kommende Verarmungsprogramm der Regierung ein


Hessens Ministerpräsident Roland Koch ist bekannt für eine fundamental sozialfeindliche Politik, die sich nicht zuletzt der Agitation gegen Ausländer bedient. Insofern überrascht es nicht, daß er sich jetzt, da in Deutschland eine Debatte über die Hartz IV-Gesetzgebung geführt wird, aus seiner kleinen Höhle in Hessen heraustraut, kräftig auf die eigene Brust trommelt und die Zähne fletscht. Seiner Meinung nach gibt es Artgenossen, die tun nicht genug für den geringeren Teil jenes Geldes, das der Staat den Bundesbürgern zuvor abgeknöpft hat und nun wieder, zur "Leistung" verklärt, zurückzahlt.

Während die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse steigt, sich ein permanentes Bangen um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes psychisch eingebrannt hat und eine generelle Furcht vor dem Abrutschen "in Hartz IV" vorherrscht, da schlägt Koch vor, daß das Hartz IV-System auch"ein Element der Abschreckung" enthalten müsse. Nun wird aber von der großen Mehrheit der Bevölkerung Hartz IV an sich bereits als Inbegriff des Schreckens angesehen. Schulkinder, die "hartzen", erleben unerträgliche Diskriminierungen.

Koch will offenbar in der Hölle ein noch heißeres Feuer entfachen. Nicht nur, um die wenigen Hartz IV-Empfänger, die nicht viel mehr von ihrem Leben erwarten und sich notgedrungen mit ihrem Status zufrieden geben, durch Arbeitszwang noch weiter zu quälen, damit ihnen auch noch der letzte Spaß vergeht, sondern auch um Druck auf die noch nicht Arbeitslosen auszuüben. Die Menschen sollen sich bis ins Mark davor fürchten, in die Niederungen von Hartz IV gedrückt zu werden, so daß ihre Bereitschaft, sich gleichsam bis auf die Knochen ausbeuten zu lassen, erhöht wird.

Mit seinem neuerlichen Vorstoß gegen die Unterschicht erfüllt Koch zwei Funktionen: Zum einen spielt er für seine Partei den bösen Bullen, der unpopuläre Vorschläge verbreitet, an denen sich die Opposition abarbeiten kann und gegenüber denen sich außerdem die eigenen Parteimitglieder profilieren können, indem sie sich dagegen abgrenzen. Das hat Arbeitsministerin Ursula von der Leyen flugs vorexerziert, nachdem Koch seine "Anregungen" zum besten gab. Zum anderen fühlt sich der in Hessen nicht sonderliche beliebte Ministerpräsident nach Höherem berufen. Kanzler wäre in seinen Augen nicht schlecht. Und da Amtsinhaberin Angela Merkel zur Zeit ein wenig Schwäche zeigt, bringt sich Koch auf diese Weise ins Gespräch.

Man könnte den Hessen schlichtweg ignorieren und seinen Vorschlag als Einzelmeinung eines Hardliners abtun. Doch trifft er in seinen Kreisen auch auf heimliche Zustimmung, versteckt in der Uneindeutigkeit der Ablehnung. So sagte DGB-Chef Michael Sommer der "Welt am Sonntag" (17.1.2010): "Es ist schon fast unanständig, mit diesem Vorstoß zu suggerieren, dass die Arbeitslosen arbeitsscheu wären." Mit anderen Worten: aber auch nur "fast" unanständig. Kochs Aussage ist somit noch nicht unanständig, woraus folgt, daß sie anständig sein muß. Wenn das keine indirekte Zustimmung ist ...

Im übrigen: wieso spricht der Gewerkschaftsboß in diesem Kontext von Anstand? Im Vorschlag Kochs zeigt sich mehr als nur eine Verletzung der Knigge-Regeln, es zeigt sich der nicht zu überbrückende Widerspruch zwischen den sozialen Schichten. Sommer legte sogar noch ein Brikett mehr drauf, indem er mutmaßte, Koch sei "in der Klausurtagung der CDU auserkoren worden, in der ,Abteilung Vorurteile der Stammtische' im Trüben zu fischen". Damit bestätigt Sommer, daß Koch mit seinen Vorschlägen die Ansichten "der Stammtische", also der Mitte der Gesellschaft getroffen hat. Eine Klientel, um die sich nicht zuletzt auch die Gewerkschaften bemühen.

Auch beim hessischen Grünen-Fraktionsvorsitzenden Tarek Al-Wazir, der Koch "politische Schizophrenie" vorwarf, weiß man nicht so genau, was er eigentlich damit meint, außer daß er damit alle Schizophrenen beleidigt.

Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel distanzierte sich keineswegs eindeutig und zweifelsfrei von Koch, indem er erklärte, daß dieser ein "repressives Bild vom Menschen" habe. In Deutschland gebe es keine Arbeitspflicht, und schon jetzt bestehe die Möglichkeit, Leistungen bei der Verweigerung von Arbeitsangeboten zu kürzen, so Gabriel.

Müßte eine zweifelsfreie Ablehnung von Kochs Stoßrichtung nicht anders aussehen? Wenn Gabriel konstatiert, daß es in Deutschland keine Arbeitspflicht gibt, dann sagt er damit nicht, daß er die Einführung kategorisch ablehnt. Und daß er die bereits bestehende Möglichkeit zur Leistungskürzung erwähnt, bedeutet, daß er sie als Sanktionsmittel gutheißt. Damit spuckt er den vielen Menschen ins Gesicht, die unterqualifizierte Arbeit verrichten müssen, einen Hungerlohn erhalten oder darum kämpfen müssen, nicht zu unwürdigen oder gefährlichen Arbeiten verdonnert zu werden. Mit Angeboten von Ein-Euro-Jobs wie, daß eine Frau in einer Bar des Rotlichtmilieus jobben und eine andere als Reiseführerin in die Bürgerkriegszone Ugandas fahren sollte, lassen sich inzwischen Bücher füllen.

Wenn es in der politischen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland keine Anknüpfungspunkte für Kochs Vorpreschen gäbe, so hätte sich der an seiner Karriere feilende Ministerpräsident nicht so weit aus dem Fenster gelehnt. Die ambivalente Reaktion eines Teils der Opposition indessen zeigt, daß das Fenster gar nicht zur gefährlicheren Straßenseite hinaus geht, sondern in den Innenhof.

17. Januar 2010