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LAIRE/1114: US-Raketen in Polen bedrohen Rußland (SB)


Einkreisungsstrategie 2.0

Polens Verteidigungsminister Bogdan Kilch kündigt für März, April Aufstellung von US-Raketen vor Kaliningrad an


Das Risiko eines mit militärischen Mitteln ausgetragenen Konflikts zwischen einem NATO-Mitglied und Rußland wächst, nachdem Polen angekündigt hat, daß die Vereinigten Staaten von Amerika in Morag, nur 60 Kilometer von der russischen Exklave Kaliningrad entfernt, Abfangraketen vom Typ Patriot aufbauen wollen. [1] Zum wiederholten Male sind Vertreter der NATO-Staaten gegenüber Rußland wortbrüchig worden, hatten doch 1990 unter anderem US-Präsident George Bush Senior, sein damaliger Außenminister James Baker sowie Hans-Dietrich Genscher, Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, im Rahmen der sogenannten Zwei-plus-vier-Gespräche den russischen Verhandlungsführern zu verstehen gegeben und fest zugesagt, daß es keine NATO-Erweiterung auf das Gebiet des Warschauer Pakts geben werde. Ohne diese Beteuerungen, die allerdings in keinem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag niedergelegt sind, hätte sich die damalige Sowjetunion gar nicht auf Verhandlungen zur Wiedervereinigung von BRD und DDR eingelassen.

Läßt man die Geschichte Polens der letzten 20 Jahren Revue passieren, so wird am Beispiel dieses Landes die brisante Entwicklung deutlich, die sich vor dem Hintergrund der von der NATO nicht eingehaltenen, kategorischen Absage an eine Osterweiterung weiter zuspitzt.

1989 kam im kommunistischen Polen das "Bürgerkomitee Solidarno´s´c", die politische Organisation der vom US-Geheimdienst CIA unterstützten Gewerkschaft Solidarno´s´c, an die Macht und trieb beschleunigt den Umbau des Landes in Richtung Marktwirtschaft voran. 1991 löste sich der Warschauer Pakt auf, Polen wurde vorübergehend blockfrei. 1997 wurde ihm offiziell die Mitgliedschaft im westlichen Militärbündnis NATO angeboten, 1999 wurde es aufgenommen. 2004 trat Polen der Europäischen Union bei.

Heute, im soeben angebrochenen zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, sollen auf polnischem Territorium US-amerikanische Raketen stationiert werden, welche nicht zuletzt gegen die Zweitschlagkapazität Rußlands gerichtet sind, was wiederum auf der anderen Seite die Erstschlagfähigkeit und das Erpressungspotential der NATO gegenüber Rußland entscheidend verbessert. Rußland seinerseits reagiert auf die Bedrohung durch ein umgerechnet rund 35 Milliarden Dollar schweres Aufrüstungsprogramm, mit dem insbesondere sein atomares Abschreckungspotential modernisiert werden soll. Verglichen mit dem Militärhaushalt der USA, der offiziell mit 680 Milliarden Dollar für 2010 angegeben wird (aber faktisch doppelt so hoch ausfällt), ist das wenig, aber es zeigt die Tendenz zur Aufrüstung.

Wenn man also die Geschichte der Transformation Polens in den letzten zwanzig Jahren von einem Mitglied des Warschauer Pakts zu einem Frontstaat gegen Rußland betrachtet, so stellt sich die Frage, ob diese rasante Entwicklung mit der Aufstellung der US-amerikanischen Abfangraketen endet oder ob sich nicht eine weitere Eskalationsstufe anschließt, bei der die Raketen zum Einsatz gebracht werden.

Diese Erwägung allein aus der formalen historischen Abfolge herzuleiten, wäre zu dürftig, doch sind mit der jeweiligen äußeren Form, die von historischen Eckpunkten markiert wird, Inhalte verbunden, und die ergeben sehr wohl eine schlüssige Linie, auf der auch ein Waffengang nicht ausgeschlossen werden kann. In Zeiten globaler Hegemoniekämpfe, drohenden Rohstoffmangels und klimatischer Verwerfungen mit ungewissem Ausgang erhält die militärische Schlagkraft nicht nur Gewicht in der Abschreckung, sondern auch als Durchsetzungsmittel.

US-Präsident Barack Obama hatte zwar im vergangenen Jahr dem Aufbau des höchst umstrittenen Raketenabwehrschilds der USA in Polen und Tschechien eine Absage erteilt, aber er hat statt dessen eine für Rußland viel gefährlichere Variante - seegestützte, mobile Raketenstellungen - ins Spiel gebracht, die darüber hinaus noch zügiger installiert werden soll als der von seinem Amtsvorgänger George W. Bush geplante Aufbau eines Raketenabwehrschirms. [2] Hatte Bush noch behauptet, die Raketenabwehr richte sich nicht gegen Moskau, sondern gegen Teheran, wird diese Darstellung vollends zur Farce, wenn nun amerikanische Raketen ausgerechnet in Nordpolen stationiert werden.

Folglich handelt es sich hier um einen gegenüber Rußland feindlichen Akt, der entsprechend beantwortet werden dürfte. Rund zwei Jahrzehnte nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion erhöhen die USA den Druck auf deren Nachfolger Rußland, wobei aus dem historischen Prozeß wie auch konkret aus den strategischen Entwürfen des US-Militärs und der NATO kein Zweifel daran aufkommen sollte, daß der einstige ideologische Gegner weiter und weiter niedergezwungen werden soll. Die Raketenstellungen in Polen bringen nicht mehr Sicherheit, sondern sie unterhöhlen sämtliche Bemühungen zum Aufbau einer internationalen Gemeinschaft, in der als Voraussetzung und nie zu vernachlässigender Ausgangspunkt für eine entmilitarisierende Entwicklung niemand die territorialen Ansprüche noch das berechtigte Sicherheitsbedürfnis eines anderen Staates angreifen sollte. Die NATO-Staaten Polen und USA bewegen sich in die entgegengesetzte Richtung.


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Anmerkungen:

[1] "US to deploy defensive missiles on Russia's doorstep", AFP. 20. Januar 2010
http://www.spacewar.com/reports/US_to_deploy_defensive_missiles_on_Russias_doorstep_999.html

[2] Näheres unter LAIRE/1094: USA bauen Raketenstellungen nicht ab, sondern aus (SB)

21. Januar 2010