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LAIRE/1273: Rasanter Anstieg der Lebensmittelpreise - Vorgeschmack auf globale Mangellage (SB)


Sieben Prozent Inflation bei Lebensmitteln in Deutschland

Deutliche Reallohnverluste sowie Verarmung der Rentner und Sozialleistungsempfänger


Millionen Menschen, die von weniger als durchschnittlich einen Dollar am Tag leben müssen, haben die Preisexplosion für Lebensmittel in den Jahren 2007, 2008 bitter zu spüren bekommen. Viele mußten ihre sowieso schon unzureichenden Mahlzeiten weiter reduzieren. Seitdem hat sich die Lage nicht wesentlich verbessert. In Deutschland fiel der Preisanstieg nicht so sehr ins Gewicht, da erstens das allgemeine Einkommen beträchtlich höher ist, zweitens der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel am Haushaltsgeld sehr viel niedriger liegt und drittens der globale Preisanstieg weniger auf die Verbraucher hierzulande durchschlug als auf die Einwohner in den Ländern des Südens. Diese "goldenen" Zeiten neigen sich dem Ende zu. In Deutschland sind die Lebensmittelpreise um durchschnittlich sieben Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen, wie die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf den Informationsdienst Preiszeiger berichtete [1]. Der für diese Erhebung gewählte Warenkorb erhielt 49 verschiedene Discounter-Produkte. Gefrorene Pommes Frites und Kaffee zählten zu den Produkten, die besonders teuer wurden.

Der Trend zur höheren Preissteigerung war schon Anfang des Jahres von Experten angekündigt worden und wird weiter anhalten. Zwar wird es in Deutschland Verhältnisse, wie sie in den ärmeren Ländern des Südens herrschen, in absehbarer Zeit nicht geben, aber bereits unsere europäischen Unionspartner, die Griechen, die über ein viel geringeres Durchschnittseinkommen verfügen, doch in etwa das gleiche Preisniveau für Lebensmittel haben, spüren den wachsenden Mangel. Am Mittwoch wurde dort bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr ein Generalstreik ausgerufen. Und die britische Regierung hat ein Sparprogramm aufgelegt, das die Weichen deutlich in Richtung noch stärkerer Vertiefung des Klassenwiderspruchs stellt. Dort werden aufgrund der hohen Gebühren zukünftig nur Kinder reicher Eltern studieren können, soziale Errungenschaften wie (zumindest formale) Chancengleichheit werden abgebaut. Die Preissteigerung bei Lebensmittel trifft besonders die Armen.

Das gleiche gilt für Deutschland. Staatliche Sozialleistungen, die der kleinere Teil dessen sind, was der Staat zuvor einkassiert hat, sind nicht an die Inflation gekoppelt. So wird der Hartz IV-Regelsatz um lediglich fünf Euro erhöht, was nicht einmal die Preissteigerung in den letzten Jahren angemessen widerspiegelt, und der Rentensatz, abgekoppelt von der sowieso schon bescheidenen "Lohnerhöhung" (mit diesem Begriff werden Reallohnverluste camoufliert), wird eine Erhöhung um lediglich 0,99 Prozent erfahren. Die Deutschen, vor allem die einkommenschwachen Haushalte, müssen einen zunehmend höheren Anteil an den ihnen zur Verfügung stehenden Finanzmitteln für Lebensmittel und Energie ausgeben.

Ursache seien sowohl Ernteausfälle als auch die steigende Nachfrage nach Lebensmitteln wegen der wachsenden Weltbevölkerung, gibt die "Bild"-Zeitung die Expertenansicht wieder. Offensichtlich ist es nicht mehr zu verbergen, daß ein weltweiter Lebensmittelmangel besteht und sich dieser allmählich auf Deutschland auswirkt. Auch der am Mittwoch vom Bundeskabinett vorgestellte Agrarbericht 2011 gibt diese Entwicklung wieder - die Bauern freuen sich über die gestiegene Nachfrage; landwirtschaftliche Produkte werden teurer.

Zudem ist es erst wenige Tage her, da schrieben Wissenschaftler im Magazin "Science", daß die allgemeine Erderwärmung in den letzten knapp dreißig Jahren zu meßbaren Ernteeinbußen bei Weizen und Mais geführt hat. Andere Forscher prognostizierten kürzlich, daß das Eis der Arktis schneller abtaut, als selbst in den nur wenige Jahre zurückliegenden Worst-case-Scenarios angenommen wurde. Eine größtenteils eisfreie Arktis bedeutet jedoch, daß die globale Erwärmung beschleunigt und voraussichtlich weniger Getreide angebaut wird.

Die globale Mangellage nimmt zu. Die USA und EU bauen ihre infrastrukturellen und legislativen Abwehrmaßnahmen gegen Hunger- und Armutsflüchtlinge massiv aus. Da werden Milliarden Dollar bzw. Euro in Grenzsicherungsmaßnahmen investiert, und die Europäische Union streicht einen der (wenigen) Vorteile, mit dem einst bei der Bevölkerung für den politischen und wirtschaftlichen Zusammenschluß Europas geworben wurde, den freien Reiseverkehr. Frankreich hat einen Zug aus Italien an der Grenze gestoppt, Dänemarkt will seine Grenzbäume wieder senken. Alles wegen einiger notleidender Menschen, von denen man nicht sagen kann, daß sie ihre Heimat aus freien Stücken verlassen haben. Die EU-Staaten zittern wegen ein paar tausend Flüchtlingen, die übers Mittelmeer kommen, setzt aber zugleich ein Land wie Syrien mit seinen 21 Mio. Einwohnern, das nach Beginn des Irakkriegs rund 1,5 Mio. Flüchtlinge aus dem Nachbarland bei sich aufgenommen hat, durch Sanktionen unter Druck. Die EU hat gut 500 Mio. Einwohner und müßte im gleichen Verhältnis 34 Mio. Flüchtlinge aufnehmen.

Das verbindende Element der hier skizzierten Entwicklungen, also zwischen Verteuerung der Lebensmittel, Rücknahme der Sozialleistungen, Flüchtlingsabwehr und militärischer Aggression vor dem Hintergrund des Klimawandels, besteht in der nach innen wie nach außen gerichteten der Zunahme der administrativen Verfügungsgewalt zwecks Sicherung bestehender Herrschaftsstrukturen. Trotz der multiplen globalen Krisen wird eine naheliegende, eigentlich dringend anstehende Diskussion über Systemfragen gar nicht erst begonnen. Weder das realsozialistische noch das inzwischen absolut dominierende kapitalistische System haben bewiesen, daß sie geeignet sind, die fundamentalen Probleme der Menschheit - das soziale Raubgefüge, aber auch die Ernährungsfrage - ergebniswirksam in Angriff nehmen zu können.


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Quelle:
[1]
http://www.bild.de/geld/wirtschaft/lebensmittel/bis-zu-43-prozent-teurer-17851060.bild.html

12. Mai 2011