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LAIRE/1305: Konzeption.Zivile.Verteidigung - Pläne zur Mobilmachung? (SB)


Katastrophenvorbereitung in Zeiten der Katastrophenpolitik


Die Bundesregierung spielt mit dem Gedanken, wieder die Wehrpflicht einzuführen, und sie rät der Bevölkerung, sich für den Notfall zu bevorraten, berichteten verschiedene Medien diese Woche. Alles nur "abstruser Stuss", wie der Sozialdemokrat Johannes Kahrs zu der Debatte meint? Geht es bei der am Mittwoch beschlossenen "Konzeption zivile Verteidigung" wirklich nur um die Anpassung einer 20 Jahre alten Gesetzgebung an eine veränderte Bedrohungslage?

Daß es überhaupt zu einer neuen Bedrohungslage gekommen ist, daran hat die Bundesregierung kräftig mitgestrickt. Aus dem Bürger in Uniform, der Deutschland verteidigt, wurde ein Berufssoldat, der auf der ganzen Welt eingesetzt wird. Und doch hatte sich schon der Bürger in Uniform an der Bombardierung der Menschen in Belgrad beteiligt, und er "verteidigt" seit vielen Jahren die Vormachtstellung Deutschlands und seiner NATO-Partner am Hindukusch mit Waffengewalt. Was waren das für friedliche Zeiten, als ein deutscher Bundespräsident noch seinen Hut nehmen mußte, weil er ausgesprochen hat, was längst zur Maxime der Bundeswehr herangereift war: Das Militär wird auch dafür eingesetzt, um in der ganzen Welt Ressourcensicherungskriege zu führen, Absatzmärkte zu sichern und Transportwege freizuhalten.

Bundeswehrsoldaten sind bis an die Grenzen Rußlands herangerückt; die NATO setzt ihre Einkreisungsstrategie des russischen Bären unverdrossen fort, indem sie an dessen Grenzen Raketenabwehrsysteme stationiert, die in der Konsequenz das Zweitschlagpotential des "Erzfeindes" eliminieren helfen. Damit unterminieren sie das sowieso seit jeher wackelige Gleichgewicht des Schreckens. Das hat jahrzehntelang einen direkten Krieg zwischen dem NATO- und dem Warschauer Pakt verhindert, weil jeder, der einen nuklearen Erstschlag ausführt, damit die Reaktion des anderen auslöst und somit vernichtet wird. Bemühungen in den Gremien der Vereinten Nationen zur Abschaffung der Atomwaffen werden von Deutschland nicht unterstützt.

Ein Atomkrieg des Westens gegen Rußland und/oder China gilt bei vielen Analysten inzwischen als kaum noch zu vermeiden. Deswegen könnte man es als sehr vorausschauend von der Bundesregierung bezeichnen, daß sie auf diese neuen Gegebenheiten reagiert und der Bevölkerung empfiehlt, sich mit ausreichend Wasser, Würstchen oder was auch immer einzudecken. Solche Meldungen sorgen vielleicht für eine gewisse Unruhe in der gegenwärtigen post-olympischen Katerstimmung, aber diese Unruhe ist nichts verglichen damit, würde die Bundesregierung der Bevölkerung reinen Wein einschenken und ihr begreiflich machen, daß sie sich im Falle eines Atomkriegs nun wirklich nicht um Vorräte sorgen muß, weil Deutschland zum atomaren Schlachtfeld wird, sobald Rußland und die USA in den Infight gehen.

"Fuck the EU!" (zu deutsch: Scheiß' auf die EU!) sagte die US-Außenpolitikerin Victoria Nuland vor wenigen Jahren, als es ihr darum ging, beim Anfachen der Eskalation des Ukraine-Konflikts europäische Sicherheitsinteressen den Bach runtergehen zu lassen. Selbstverständlich hatte sie es gar nicht so gemeint, wie sie es gesagt hatte, sondern sie meinte ... ja, was eigentlich?

Aber bitte, warum sich über die rüde Sprache von Cowgirls aus dem Wilden Westen mokieren, wenn wir eine Verteidigungsministerin haben, die unisono mit der Kanzlerin und dem Bundespräsidenten darüber schwadroniert, daß Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen muß, weil das von seinen Partnern so gewünscht werde. Von der Wortwahl gesitteter, in der Entschlossenheit, Konflikte eskalieren zu lassen, um eigene Interessen durchzusetzen, keinen Deut anders als Nulands Imperativ.

Eine neue Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren und die Wiedereinführung der Wehrpflicht sei nicht erforderlich, teilte die SPD-Bundestagsfraktion mit Blick auf die Annahme der neuen "Konzeption Zivile Verteidigung" am Mittwoch mit. Bei diesem Einwand handelt es sich wohl eher um Wunschdenken denn um ein Argument. Zumal noch gar keine Debatte, die ihren Namen verdiente, über den Einsatz der Bundeswehr im Innern geführt wurde, und schon bemühen sich die Sozialdemokraten, einer "neuen" Debatte eine Absage zu erteilen.

Nach den Vorstellungen der Konzeption zivile Verteidigung werden Bundeswehr und die übrige Gesellschaft näher zusammengeführt. Damit kommt die Politik einem vielfach geäußerten Wunsch der Bundeswehrführung nach, sich deutlicher in der Öffentlichkeit zu zeigen und eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung zu erlangen. Tritt ein Katastrophenfall ein, sollen die Soldaten bei der Versorgung mit Wasser, Nahrungsmitteln und Informationen sowie beim Transport Vorrang genießen. Daher ist es aus Sicht der Bundesregierung wichtig, die Bevölkerung an den Gedanken zu gewöhnen, daß Soldaten bevorzugt versorgt werden, und bei ihr die Einsicht zu fördern, im Ernstfall dieser Anordnung Folge zu leisten.

Es trifft zwar zu, daß die Behörden auch früher schon empfohlen haben, sich Notvorräte anzulegen, falls beispielsweise bei einer Schneekatastrophe der Strom für längere Zeit ausfällt, wie beschwichtigende Stimmen verlauten lassen. Doch fallen die aktuellen Empfehlungen und "Gedankenspiele" über die mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht und die Abwehr umfassender Angriffe in eine Zeit allgemeiner Unruhe, düsterster Ahnungen und nicht zuletzt der Gewißheit, daß eine dermaßen breit und nachhaltig angelegte Feindbildproduktion, wie sie gegenwärtig in Deutschland und bei seinen Bündnispartnern gegen Rußland vorangetrieben wird, nur allzu leicht in ihre Erfüllung umschlagen könnte. Darauf wird die deutsche Bevölkerung mit der neuen Konzeption zivile Verteidigung eingestimmt.

25. August 2016


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