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LAIRE/1323: Weltuntergangsuhr - die Rechnung ohne den Wirt ... (SB)



Das Ende der Welt ist wieder nähergerückt. So lautet die jüngste Meldung aus den USA, doch stammt diese Behauptung nicht, wie man vermuten könnte, von religiösen Eiferern, die den Untergang herbeisehnen, weil sie sich als Auserwählte einer jenseitigen Entität wähnen, von der sie nach ihrem Ableben aufgenommen werden. Sondern sie stammt von Menschen aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft, die sich Sorgen machen, daß die Welt beispielsweise aufgrund eines Atomkriegs, des Klimawandels oder auch einer neuen Technologie vernichtet werden könnte. Seit 1947 wird vom Wissenschafts- und Sicherheitsausschuß des Bulletin of Atomic Scientists jedes Jahr die Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr, präsentiert. An der Zeigerstellung dieser Uhr läßt sich ablesen, wie es um den Planeten bestellt ist, also ob es beispielsweise bereits fünf vor zwölf ist und Maßnahmen zum Schutz der Menschheit dringend geboten sind, damit das sich abzeichnende Ende doch noch abgewendet werden kann.

Was waren das für friedliche Zeiten, als die Zeiger der Doomsday Clock lediglich auf fünf vor zwölf standen! Zum Beispiel im Jahr 2012. Gegenüber heute war die Welt damals noch in Ordnung. Seitdem hat die Uhr zunächst drei vor zwölf (2015) und schließlich zweieinhalb vor zwölf (2017) geschlagen. Am heutigen Donnerstag wurde der Zeiger um weitere 30 Sekunden auf zwei Minuten vor zwölf vorgestellt.

So differenziert die Begründungen für diesen Schritt auch sind, im Zentrum steht eindeutig die Gefahr eines Atomkriegs, und das nicht allein wegen der atomaren Aufrüstung Nordkoreas und des verbalen Schlagabtauschs zwischen Kim Yong Un und US-Präsident Donald Trump im vergangenen Jahr. Denn die globalen Spannungen haben insgesamt zugenommen, und die Vereinigten Staaten von Amerika vollzogen in Sachen atomare Aufrüstung eine Kehrtwende. Das geht aus der ersten Nuclear Posture Review (NPR) der Trump-Administration hervor. Darin wird die Bedeutung der Atomwaffen für die eigene Sicherheitsstrategie beschrieben, und die neue NPR wurde in einem anderen Ton verfaßt als frühere Versionen. Einst sollte der Weltfrieden durch ein Gleichgewicht des Schreckens garantiert werden, heute streben die USA eine nukleare Überlegenheit an.

Die Idee eines Gleichgewichts des Schreckens hatte dazu geführt, daß die Atomwaffenmächte USA und Rußland (bzw. früher Sowjetunion) immer mehr dieser ultimativen Zerstörungswaffen anhäuften, so daß vielfache Overkill-Kapazitäten entstanden. Das Nukleararsenal hätte gereicht, die Erde mehrfach zu zerstören. Sollte ein Staat den anderen mit Atomwaffen angreifen, würde er damit zugleich seinen eigenen Untergang einleiten, da die andere Seite mit Atomwaffen zurückschlagen würde. So lautet die zugrundeliegende Logik. Keine Seite wolle Selbstmord begehen und würde deshalb keinen nuklearen Angriff riskieren.

Wie wenig haltbar diese Vorstellung sein kann, zeigt sich im viel kleineren Maßstab am Phänomen der Selbstmordattentäter. Diese geben ihr Leben hin, weil ihnen ihre Religion verheißt, nach dem Tod eine höhere Verbindung eingehen zu können. In den USA gibt es bis in höchste Regierungskreise hinein fundamentalistisch-religiöse Menschen, von denen man nicht ausschließen kann, daß sie ähnliche Hoffnungen hegen, nur daß sie dem christlichen Glauben anhängen, der bislang nicht für das Phänomen des Selbstmordattentats bekannt ist. Dennoch, im größeren Maßstab, muß aus fundamentalistisch-christlicher Sicht ein alles Leben zerstörender Atomkrieg keine ultimative Schreckensvorstellung sein, deren Verwirklichung unter allen Umständen vermieden werden sollte, sondern könnte auch Erlösung und Erfüllung des irdischen Lebens bedeuten.

Die neue NPR zeigt, daß die USA darauf hinarbeiten, einen großen Atomkrieg führen zu können, da die Militärs annehmen, die gegnerischen Atomwaffen rechtzeitig auszuschalten, bevor sie das eigene Land treffen. Um nur ein Indiz für diesen Trend zu nennen: Die von der NATO an der Grenze zu Rußland errichteten Raketenstellungen zielen direkt auf die sogenannte Zweitschlagskapazität des unverhohlen als feindlich bezeichneten Landes.

Zugleich bleibt die Gegenseite nicht untätig und rüstet entsprechend auf. Die Geschwindigkeit des Wettrüstens hat 2017 zugenommen. Es besteht nicht mehr einfach nur die Gefahr, daß ein Krieg des Westens (USA, NATO) gegen Rußland und/oder China ausbrechen könnte, weil das Gleichgewicht des Schreckens aus dem Lot gebracht wurde - der Krieg hat längst angefangen. Er findet statt, und damit sind nicht die Stellvertreterkriege (gegen Jugoslawien, Irak, Libyen, Syrien) gemeint.

Das alles und vieles mehr ist in die Analyse der Betreiber der Doomsday Clock eingeflossen. So dicht an zwölf Uhr hatte der Zeiger erst einmal, 1953, zum Höhepunkt des Kalten Kriegs, gestanden. Die Welt steht am Abgrund, und gemessen an den Fake News, die im offiziellen Auftrag, vorauseilenden Gehorsam oder aufgrund eigener Einschätzungen in den Medien über den "Feind" (wahlweise Putin, Putin oder manchmal auch Putin ...) verbreitet werden, verdient die Weltuntergangsuhr und das, was mit ihr gesagt werden soll, jede Aufmerksamkeit.

Allerdings bleibt die Stellungnahme der beteiligten Autorinnen und Autoren rein deskriptiv. Sie analysieren die Weltlage nicht mit Blick auf die maßgeblichen Interessen. Beispielsweise wird die nukleare Aufrüstung Nordkoreas in keinen Zusammenhang mit der Bedrohung durch die USA gebracht, die dort erklärtermaßen seit Jahrzehnten einen "regime change" anstreben und sich auch einem Friedensvertrag mit Nordkorea verweigern. Es wird auch nicht zu bewerten versucht, was es bedeutet, daß die USA die volle Überlegenheit ihrer Streitkräftegattungen beanspruchen und es als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit auffassen, wenn andere Staaten ihnen Paroli bieten könnten. Eine Gemeinschaft gleichwertiger Staaten, die sich auf Augenhöhe begegnen, ist nicht Teil der US-Politik. Allerdings, um es an dieser Stelle unmißverständlich zu sagen, die von den USA als Widersacher eingestuften Staaten würden im Prinzip nicht anders handeln, wenn sie die Mittel dazu besäßen.

Auch wenn die Atomraketen - als Spitze und Sinnbild eines umfassenden Militärapparats - kartographisch auf andere Staaten ausgerichtet sind, weist ihre eigentliche Stoßrichtung nach innen. Sie sichern die Ordnung aus Herrschaft und Beherrschten. Die Bedrohung der eigenen "Nation" durch einen äußeren Feind wird gebraucht, damit die eigene Bevölkerung nicht auf emanzipatorische, die Not negierende Gedanken kommt und Herrschaft grundsätzlich in Frage stellt. In diesem Sinne spiegelt die Weltuntergangsuhr den Druck, der historisch mal mehr, mal weniger auf die Menschen ausgeübt wird, um sie zum Gehorsam zu zwingen. Wer sich anschickt, diese Verhältnisse hinter sich zu lassen, wird feststellen, daß die Gefahr nicht vor ihm, sondern in seinem Rücken lauert.

25. Januar 2018


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