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LAIRE/1359: Hunger - Verschleierungshilfen ... (SB)



Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen hat 15 Hotspots benannt, die in diesem Jahr dringend Nahrungsmittelhilfe benötigen, andernfalls sich dort die katastrophale Versorgungslage weiter rapide verschlechtern werde. Erforderlich seien deshalb nicht nur eine Soforthilfe gegen den Hunger, sondern auch längerfristige Investitionen. Zu den Hotspots gehören Simbabwe, Südsudan, Haiti, Zentralsahel (Mali, Burkina Faso, Westniger), Demokratische Republik Kongo, Afghanistan, Libanon, Irak sowie die Dürregebiete im südlichen Afrika, Zentralafrikanische Republik, Kamerun, Libyen, Nigeria, Bolivien und Äthiopien.

Obschon in Venezuela die Grundversorgung mit Lebensmitteln ausgesprochen schlecht sein soll - so behaupten es jedenfalls Oppositionspolitiker Juan Guaidó und die ihn als Interimspräsidenten anerkennenden ausländischen Interessen -, wird es vom WFP genauso wenig erwähnt wie Indien, das Land, in dem in absoluten Zahlen die meisten Menschen Hunger leiden. Auch in dem von Sanktionen gebeutelten Iran ist die Versorgungslage der Bevölkerung mangelhaft. Mit dem Bericht "WFP Global Hotspots 2020 - Potential flashpoints to look out for in New Year" [1] vom Januar 2020 soll anscheinend nur auf einen Trend zu vermehrtem Nahrungsmangel aufmerksam gemacht werden, nicht aber auf die Hungerlage an sich. Beispielsweise ist das WFP auch in Syrien und Jemen tätig, wo akuter Nahrungsmangel besteht. Sie sind nicht als Hotspots aufgeführt. Offenbar ist in den beiden Ländern die Ernährungslage bereits so schlecht, daß es von da aus kaum noch tiefer in den Keller gehen kann.

Ein Blick zurück auf frühere Appelle des WFP zeigt allerdings, daß es seit vielen Jahren, teils Jahrzehnten oftmals die gleichen Hotspots sind, in denen gehungert wird, auch wenn sie nicht so genannt wurden. Die meisten betroffenen Staaten liegen in Afrika. Umgekehrt sind im weltweiten Vergleich auch die Wohlstandsregionen im wesentlichen die gleichen geblieben. Das läßt sich nicht mit Zufall oder Schicksal erklären.

"Auf Augenhöhe mit Afrika" ist ein bei westlichen Politikern wie dem deutschen Bundesentwicklungsminister Gerd Müller beliebter Spruch. Mit ihm wollen sie die jahrhundertealte Kolonialgeschichte vergessen machen, um eben diesem nach wie vor hierarchischen Verhältnis ein neues Etikett zu verleihen. "Auf Augenhöhe mit Afrika" bedeutet offenbar nicht, daß alles dafür getan wird, um Menschen aus ihrer existentiellen Not herauszuholen. Denn wenn das politische Priorität genösse, dürfte es keinen Hunger mehr geben. Zu atmen, Nahrung aufzunehmen und von Krankheiten verschont zu bleiben, sind für einen Menschen wichtiger als alle anderen Dinge im Leben. Um ihren Hunger und Durst zu stillen, würden Menschen nahezu alles tun. Das Vorenthalten von Nahrung, die Androhung von Hunger und, in abgeschwächter Form, Armut erweist sich seit Beginn der Herrschaft des Menschen über den Menschen als ein hochwirksames Zuchtmittel.

Anders gesagt: Wenn es dauerhaft an einer grundlegenden Ernährungssicherheit mangelt, dann wird das gesteuert. Hunger wird gemacht, mit jedem Tag neu. Hilfsorganisationen wie das WFP, so unverzichtbar sie unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen für das Leben und Überleben zahlreicher Menschen auch sein mögen, tragen am Ende zum Erhalt der vorherrschenden Ordnung bei. Sicherlich, das WFP hinterfragt schon mal die unzureichende Spendenbereitschaft der sogenannten Geberländer und beschränkt sich auch nicht darauf, Nahrung und Nahrungsergänzungsmittel zu verteilen, sondern verlangt Investitionen in diesen Ländern. Genau dafür steht schließlich der aktuelle Bericht zu den weltweit 15 Hotspots, für die in diesem Jahr eine besondere Aufmerksamkeit gefordert wird. Aber die Systemfrage wird nicht aufgeworfen.

Wer über das größere Kapital verfügt und in der Lage ist, seine Interessen militärisch durchzusetzen, kann die Regeln bestimmen, nach denen global produziert, gehandelt und verbraucht wird. In keinem einzigen Entwicklungsförderungsprogramm wurde und wird das Zepter an die Länder des Globalen Südens übergeben, damit sie mal an der Reihe sind, zu bestimmen, wo es langgeht. Diejenigen Länder, die massiv davon profitieren, daß sie am oberen Ende der Wertschöpfungskette stehen, nennen sich euphemistisch "Geberländer", weil sie ein paar Krümel von dem Brot, für das Menschen am unteren Ende der Wertschöpfungskette gearbeitet haben, abgeben. Würde man diesen Widerspruch berücksichtigen, spräche niemand von 15 Hotspots, in denen sich die Lage rapide verschlechtert, sondern von einem einzigen, globalen Hotspot, verwaltet von einer Ordnung, in der Hunger ebenso wie die Stillung des Hungers den ihnen zugedachten Platz einnehmen.


Fußnote:

[1] https://docs.wfp.org/api/documents/WFP-0000111565/download/

3. Januar 2020


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