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DILJA/1127: Der "Fall" Lieberman und das Schweigen der westlichen Staaten (SB)


Die neue Rechtsregierung Israels bringt ihre westlichen Verbündeten in legitimatorische Schwierigkeiten

Mit Lieberman als neuem Außenminister läßt sich die Mär von Friedensprozeß und Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr aufrechterhalten


Seit vergangenem Montag ist es offiziell: Avigdor Lieberman, Vorsitzender der israelischen Rechtsaußen-Partei "Jisrael Beitenu" ("Unser Haus Israel"), wird Außenminister in der neuen Regierung unter Führung des Likud-Vorsitzenden Benjamin Netanjahu. Damit ist eingetreten, was sich seit den Wahlen, aus denen die von der bisherigen Außenministerin Zipi Livni angeführte Kadima-Partei zwar als stärkste, jedoch nicht regierungsfähige Fraktion hervorgegangen war, mehr und mehr abzeichnete, nämlich ein Ende der Zeiten, in denen die westlichen Verbündeten Israels, die USA wie auch die EU-Staaten, ihre ausschließlich pro-israelische Parteinahme in der längsten Besatzungstragödie der neuzeitlichen Geschichte durch eine Politik maskieren können, die scheinbar auch den Interessen der Palästinenser gerecht zu werden versucht.

Einen fundamentalen "Rechtsruck", wie vielfach in der westlichen Presse postuliert, stellt die nun abgeschlossene Regierungsbildung, die nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Kadima und Likud in einem Zusammenschluß rechter und noch rechterer Parteien mündete, jedoch nicht dar. Zwar wird es unter Präsident Netanjahu keine Verhandlungen mit palästinensischen Vertretern im Rahmen des sogenannten Friedensprozesses mehr geben, doch da dessen eigentlicher Sinn und Zweck darin bestand, die fundamentale Kompromißlosigkeit eines Israels, das weder zu einer friedlichen Koexistenz mit den Palästinensern bereit ist noch diesen eine eigene Staatlichkeit zubilligen wird, zu kaschieren, dürfte der substantielle Verlust aus palästinensischer Sicht eher unbedeutend sein.

Ganz anders stellt sich die Situation aus Sicht der westlichen Verbündeten Israels dar, denn sowohl die USA und mehr noch die EU-Staaten halten es in Hinsicht auf ihre Interessenpolitik im Nahen und Mittleren Osten nicht für konstruktiv, der seit Jahren, um nicht zu sagen Jahrzehnten bewährten Politik, die Palästinenser als die eindeutig schwächere Konfliktpartei immer wieder durch Versprechungen auf eine Besserung ihrer Lage und langfristige Erfüllung ihrer in der mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Besatzungsrealität ohnehin stark reduzierten Wünsche und Hoffnungen hinzuhalten, so plötzlich verlustig zu gehen. Die neuen Herren Israels sind allerdings, woraus sie auch nie einen Hehl gemacht haben, nicht bereit, diese Scharade noch länger mitzuspielen. Benjamin Netanjahu lehnt die Bildung eines Palästinenserstaates schlichtweg ab. An diesem Punkt zerbrachen die Koalitionsverhandlungen mit Livni, die mit Sicherheit die den USA wie auch der EU willkommenere neue Ministerpräsidentin gewesen wäre, weil sie am sogenannten Friedensprozeß festhält.

Die Demaskierung der westlichen Verbündeten Israels läuft nun auch ohne weiteres Zutun von seiten Netanjahus oder Liebermans vonstatten. denn mit jedem Tag, der seit dem am Montag beschlossenen Koalitionsvertrag zwischen dem Likud und Jisrael Beitenu vergeht und an dem weder die USA noch die EU drastische Maßnahmen ergreifen oder auch nur klare Worte finden, schreitet die Bloßstellung des von ihnen über einen so langen Zeitraum hinweg genährten und immer wieder aktualisierten Versprechensgerüsts voran. Avigdor Lieberman vertritt in aller Offenheit die Forderung nach einem "araberfreien" Israel, und so liegt die Schlußfolgerung auf der Hand, daß die neue Regierung, in der außer Likud und Liebermans Partei voraussichtlich weitere ultraorthodoxe und rechte Parteien - Schas, die Vereinte Thora-Liste, Nationale Union und Jüdisches Heim - vertreten sein werden, die zionistische Kernvorstellung verwirklichen und die mit der Staatsgründung 1948 begonnene Vertreibung der Palästinenser zu Ende führen will.

Netanjahu ist gegenüber den USA wie auch der EU kooperationswillig genug, um diese durch die Offenlegung solcher oder ähnlicher Pläne nicht noch mehr zu brüskieren, als er es mit dem am Montag mit der Lieberman-Partei geschlossenen Koalitionsvertrag ohnehin schon getan hat. Diese Partei, der im künftigen Kabinett neben dem Lieberman selbst zugedachten Außenministeramt noch weitere Ressorts - innere Sicherheit, Infrastruktur, Tourismus und Integration von Einwanderern - zugesprochen wurde, propagiert in Israel schon seit langem, unter den Begriff "Transfer" subsumiert, eine Politik der Vollendung "von 1948". Das Schweigen westlicher Repräsentanten, die es mit gutem Grund tunlichst vermeiden, von Netanjahu oder Lieberman in aller Öffentlichkeit eine Distanzierung von der Transfer-Politik zu verlangen, wird immer dröhnender.

Ihre Appelle an die neue Regierung Israels, doch bitte am Friedensprozeß festzuhalten, wirken nicht deshalb inhaltsleer und nichtig, weil diejenigen, die sie erheben, über keine Mittel verfügen würden, ihnen Nachdruck zu verleihen - schließlich haben die USA Israel die Waffen geliefert, um den Krieg im Gazastreifen durchzuführen. Schon der Tonfall, den die USA wie auch die EU-Oberen anschlagen, läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Appelle für eine Fortsetzung der Schimäre Friedensprozeß von diesen gewünscht wird, um ihre eigene Interessenübereinstimmung mit Israel auch weiterhin vor der Weltöffentlichkeit verbergen zu können. An den Einsatz echter Druck- oder gar Gewaltmittel ist selbstverständlich nicht gedacht, und so kann nicht ausbleiben, daß sich die Situation im Verhältnis zwischen Israel und den westlichen Staaten bizarr auszunehmen scheint.

So "mahnte" Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier Anfang des Monats auf der Geberkonferenz im ägyptischen Scharm-el-Scheich, daß nicht wieder zerstört werden dürfe, was jetzt (mit finanzieller Hilfe der Bundesregierung, die für den Wiederaufbau des von der israelischen Armee zerstörten Gazastreifens 150 Millionen Euro zu geben bereit ist) wieder aufgebaut werden würde. "Durfte" die israelische Armee dies denn vorher? Mit keiner Silbe war auf dieser Konferenz, an der sich 45 Staaten beteiligten, wobei die in Aussicht gestellten Hilfsgelder allerdings weniger dem kriegszerstörten Gazastreifen, sondern der politischen Spaltung zwischen Hamas und Fatah dienen sollen, davon die Rede, Israel für die von den Palästinensern auf mindestens 2,8 Milliarden Dollar bezifferten Kriegsschäden haftbar zu machen.

Dieser, wohlbemerkt von der keineswegs als ausgesprochen "rechts" geltenden Vorgängerregierung unter Ministerpräsident Ehud Olmert begonnene Krieg wurde offensichtlich mit Rückendeckung der sogenannten internationalen Gemeinschaft geführt, also in stiller Kooperation mit denselben politischen Kräften westlicher Vorherrschaft, die sich nun angesichts des vermeintlichen Rechtsrucks in Israel "besorgt" über den Friedensprozeß zeigen. So gab beispielsweise der EU-Außenbeauftragte Javier Solana der neuen israelischen Regierung die Empfehlung mit auf den Weg, doch am Ziel eines eigenständigen palästinensischen Staates festzuhalten, so als hätten Netanjahu und Lieberman nicht längst klargestellt, daß dies keine für sie auch nur erwägenswerte Option darstellt.

Solanas Versuch, die tatsächliche Kooperation der EU mit der neuen Rechtsregierung in Tel Aviv kleinzureden, fiel denn auch eher kläglich aus. Seine Ankündigung, Brüssel würde mit einer israelischen Regierung, die die Zwei-Staaten-Lösung ablehnt, "sehr, sehr anders" umgehen als jetzt, wird wohl niemand ernstgenommen haben. Bernard Kouchner, der französische Außenminister, fuhr ihm bereits in die Parade und sprach sich dagegen aus, nun ein Scherbengericht zu veranstalten und dafür, mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten.

In Washington stellt sich die Lage nicht viel anders dar, denn auch die Obama-Regierung legt Wert auf eine Fortsetzung des Status Quo - und auch hier selbstverständlich nicht für substantielle Zugeständnisse an die Palästinenser, sondern einzig und allein in Hinsicht auf eine politisch aus vielen Gründen zu bevorzugende Fortsetzung und Erneuerung im Grunde sattsam bekannter Versprechungen. Bei ihren Antrittsbesuch im Nahen Osten sprach sich denn auch Außenministerin Hillary Clinton bei ihren Gesprächen mit der genaugenommen irregulären palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland für die Bildung eines Palästinenserstaates aus.

Reflexartig greifen westliche Politiker auf ihre gewohnten Muster zur Verschleierung ihrer tatsächlichen Absichten und Interessen zurück. Dabei wäre es allemal geboten, so sie sich nicht in aller Offenheit als Parteigänger einer israelischen Regierung zu erkennen geben wollen, die ihrerseits keinen Hehl daraus macht, was die Palästinenser von ihr zu erwarten haben und was nicht, die von Lieberman bezogenen Positionen für vollkommen unvereinbar mit westlichen Werten und damit auch ihn als Regierungsmitglied für untragbar zu erklären. Man male sich doch nur einmal die Reaktionen aus, wenn ein Kabinettsmitglied eines bei den USA und der EU in Ungnade gefallenen Staates öffentlich erklären würde, dieser müsse seine Gegner so bekämpfen "wie die USA Japan im Zweiten Weltkrieg". Die Aufmerksamkeit, die Lieberman auf seiner Rechtsaußen-Position fraglos auf sich zieht, darf allerdings auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die "Katastrophe" aus palästinensischer Sicht mit der ersten großen Vertreibung von 1948 begann und niemals endete und keineswegs mit einem israelischen Politiker namens Lieberman erst einzusetzen droht.

19. März 2009