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DILJA/1135: Köhlers Berliner Rede - Akzeptanzkampagne für den "starken Staat" (SB)


Akzeptanzkampagne für den "starken Staat"

Bundespräsident Köhler droht in Berliner Rede mit "harten Zeiten"


Allen Anschein nach rechnet die deutsche Bundesregierung mit harten Zeiten, worunter sie allerdings nicht unbedingt die längst eingesetzte soziale Verelendung von immer mehr marginalisierten und unter das Joch einer Hartz-IV-Mangelversorgung gepreßten Menschen meint, sondern die Gefahren, die der gesellschaftlichen Ordnung tatsächlich oder auch nur vorgeblich in zunehmendem Maße drohen. So hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) umfangreiche Forschungsprogramme und -projekte an Rüstungskonzerne, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wie auch Hochschulen vergeben, die allesamt unter dem Titel "Forschung für die zivile Sicherheit" firmieren. Leitgedanke dieser Initiative, für die bereits öffentliche Mittel von fast 100 Millionen Euro vergeben wurden, ist die militärische und sicherheitstechnische Absicherung des Warenverkehrs von und nach Deutschland wie auch der Schutz vor "terroristischen" Angriffen auf die Versorgungsinfrastruktur innerhalb Deutschlands.

Wie einer Bekanntmachung des BMBF vom 18. Dezember 2008 zu entnehmen ist, sollen ganz generell "Sicherheitsszenarien betrachtet werden, in denen die Warenversorgung durch Anschläge, Naturkatastrophen, Großunfälle oder kriminelle Handlungen bedroht oder betroffen ist". Tatsächlich zielen die Forschungsprojekte auf einen zusätzlichen Ausbau der Überwachungs- und Repressionstechnologie innerhalb Deutschlands oder, kurz gesagt, eine massive Aufrüstung im Innern ab. Das zweite Standbein dieser Repressionsoffensive bezieht sich auf den geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich und ist Fragestellungen bzw. Problemlösungen gewidmet, die unter den Begriff "Akzeptanz" subsumiert werden könnten. Für die repressionstechnologische Aufrüstung wird ein Bedrohungsszenario postuliert durch die Behauptung, es sei in zunehmendem Maße, womöglich in Folge des wachsenden internationalen Engagements der Bundeswehr, mit "terroristischen Angriffen" innerhalb der Bundesrepublik zu rechnen.

Diese durch nichts zu bestätigende oder zu widerlegende Behauptung bietet eine propagandistische Steilvorlage für das mit den neu vergebenen Forschungsprojekten gleichermaßen in Angriff genommene Problem präventiver Aufstandsbekämpfung. Die behauptete Terrorgefahr soll glauben machen, wir säßen alle in einem Boot und wären durch wen auch immer von außen massiv gefährdet. Wird der Repressionsapparat zusätzlich ausgebaut, um Deutschland auch im Innern kriegstauglich zu machen, stünden womöglich massive innenpolitische Proteste bevor - dies umso mehr, je drastischer die Überwachungs-, Kontroll- und Sanktionierungsmaßnahmen ausfallen. Gleichermaßen wird in der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auch anheimgestellt, daß der Mangel an lebenswichtigen Gütern - der keineswegs als Merkmal und Bestandteil des sich abzeichnenden Zusammenbruchs der sogenannten Weltwirtschaft diagnostiziert, sondern als Folge terroristischer Angriffe auf die internationalen Versorgungsrouten und Transportwege dargestellt wird - "erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit" verursachen könnte.

Daraus folgt, daß die bundesdeutsche Bevölkerung, die zunächst mit ins Boot geholt wurde, weil angeblich wir alle vor den behaupteten Gefahren geschützt werden sollen, ihrerseits Objekt, um nicht zu sagen eigentliche Zielgruppe der Repressionskampagne ist. So gehört zu den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen dieses Risikomanagements die Frage nach den gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine Akzeptanz der "avisierten Sicherheitslösungen". Eigenständige Programme werden der Erforschung der Werte, Wahrnehmungen und Vorstellungen der Bevölkerung gewidmet eigens zu dem Zweck, im Vorwege bestmöglich zu eruieren, ab wann und wie mit Protesten und massiven Widerständen zu rechnen wäre, und so soll jedes sicherheitstechnologische Projekt zugleich auch Ideen zu seiner sozialverträglichen und gesellschaftlich akzeptablen Umsetzung mitliefern.

In eine die gesamte Gesellschaft durchdringende "Sicherheitsstruktur" sollen wenn möglich auch Kommunen und Verbände, ja selbst die "Bürgerinnnen und Bürger" mit einbezogen werden. Die Mobilmachung nach innen soll demnach vor niemandem halt machen, und so gibt es keinen plausiblen Grund anzunehmen, daß ausgerechnet Bundespräsident Horst Köhler nicht involviert sein könnte. In seiner vierten "Berliner Rede", die er am Dienstag vor 300 handverlesenen Gästen in der Berliner Elisabethkirche gehalten hat und die über alle Parteigrenzen vom politischen Berlin als "inhaltsschwer" und "bedeutend" hochgelobt wurde, scheint Köhler auf seine Weise und unter Ausnutzung des Respekts, der seinem hohen Amt und damit auch ihm gemeinhin zugebilligt wird, zum repressiven Krisenmanagement beigetragen zu haben.

Köhler bediente sich zunächst der infolge der sogenannten Weltwirtschaftskrise bereits verschärften Existenz- und Versorgungsängste, die für Millionen Menschen schon heute nicht in einer düsteren Zukunft angesiedelt werden können, sondern längst bittere Realität sind, indem er "harte Zeiten" und "schicksalhafte Prüfungen" vorhersagen zu können behauptete. "Die kommenden Monate werden sehr hart", so Köhler vor einem Publikum, das nicht als betroffene Adressaten wohlfeiler Worte, sondern als Multiplikatoren hoheitlicher Direktiven in Erscheinung getreten ist. Wäre dem nicht so, hätte landauf, landab wohl niemand von der angeblich so bedeutenden "Berliner Rede" des Staatspräsidenten überhaupt erfahren können.

Horst Köhler, der als früherer Direktor des Internationalen Währungsfonds nach konventionellen Vorstellungen über Sachkompetenz in Finanz- und Wirtschaftsfragen zu verfügen scheint, erklärte denn auch die Probleme der Gegenwart kurzerhand damit, daß wir alle "über unsere Verhältnisse gelebt" hätten. Doch "wir" sollten der Bundesregierung vertrauen, weil diese entschlossen reagiert, nämlich die Banken (nicht die Menschen) mit Kapital und Garantien versorgt habe. Da die Finanzmärkte, so Köhlers Erklärung der Lage, lange Zeit Wachtumsmaschinen gewesen seien, habe man sie gewähren lassen, doch nun zeige sich, daß "der Markt" die Dinge nicht richten könne, weshalb ein "starker Staat" erforderlich sei.

"Starker Staat" ist gemeinhin eine Metapher für einen an einen Polizeistaat heranreichenden Repressionsapparat, der die Überwachung, Kontrolle und Bestrafung derjenigen, die er schützen zu wollen vorgibt, großschreibt und sich an die Freiheits- und Abwehrrechte seiner Bürger vor staatlicher Gewalt nicht unbedingt gebunden fühlt. Hätte der Bundespräsident seine Parole vom "starken Staat" so ausformuliert, hätte er sicherlich das Gegenteil erreicht von dem, was er mit dieser Berliner Rede bezweckt haben mag, nämlich im Vorwege eine Akzeptanz zu schaffen für all das, was über den bisherigen Status quo hinaus in womöglich schon wenigen Monaten auf "uns" zukommt.

Köhler gab vor, mit einem "starken Staat" ein regulatives Gegengewicht zu etwas so Nebulösem wie den Finanzmärkten zu schaffen, verknüpft mit dem Versprechen, daß ein solcher Staat "dem Markt" Regeln setzen und für deren Durchsetzung sorgen würde. Die logische Folge, sollte tatsächlich jemand bereit sein, der Köhler'schen Pseudoargumentation bis zu dieser Stelle zu folgen, wäre dann ein Ende von Not und Angst, und mit diesem durch nichts begründeten, seiner Natur nach inhaltsleeren Versprechen versuchte der Bundespräsident, die bundesdeutsche Bevölkerung auf die von ihm beschworenen "harten Zeiten" einzustimmen. Der Satz "Wir werden Ohnmacht empfinden und Hilflosigkeit und Zorn" scheint dabei in seinem Kern das Wunschdenken der herrschenden Eliten zu reflektieren, die nichts mehr fürchten können als eine Bevölkerung, die sich durch Versprechungen, Drohungen und Durchhalteparolen nicht länger davon abhalten läßt, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen.

26. März 2009