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DILJA/1146: Manöverkritik - Die NATO will ausgerechnet in Georgien den Krieg proben (SB)


NATO behält Aggressionskurs gegenüber Rußland bei

Kriegsvorbereitungen, genannt "Manöver", ausgerechnet in Georgien


Man stelle sich nur einmal folgendes Szenario vor: 1.300 Soldaten aus 19 Staaten, die nicht der NATO angehören und in einem potentiell antagonistischen Verhältnis zu den führenden westlichen Staaten stehen, würden beispielsweise an der Nordküste Kubas, also in relativer geographischer Nähe zum Territorium der Vereinigten Staaten, ein Manöver abhalten. Zur Begründung gegenüber etwaigen Protesten Washingtons würde diese Staatengruppe, zu der neben Rußland und China auch der Iran und Syrien, aber auch die neuen "Linken" Lateinamerikas, Venezuela, Bolivien, Ecuador und andere gehören, anfügen, daß die Übung der "Zusammenarbeit" zwischen den teilnehmenden Ländern diene. Die von den USA gleichwohl vorgetragene Bitte, das Manöver abzusagen oder doch zumindest aufzuschieben, wird von dem Militärbündnis, das selbstverständlich von sich behauptet, ein ausschließlich defensiver Zusammenschluß zu sein, mit der Begründung abgelehnt, die Manöver seien "kein Geheimnis" und würden schon seit einem Jahr vorbereitet werden.

Wer würde angesichts eines solchen, wenn auch völlig fiktiven Szenarios nicht annehmen, daß eine recht hohe Kriegsgefahr die Folge wäre, weil die USA und ihre Verbündeten eine derartige Provokation nicht nur nicht hinnehmen, sondern bereits im Ansatz mit militärischen Präventivschlägen, wie es ihrer Militärdoktrin auch entspricht, "beantworten" würden? In umgekehrter Richtung droht dieses Szenario allerdings innerhalb der kommenden Wochen in Realität umgesetzt zu werden. Die NATO, nach eigenen Behauptungen ein "Verteidigungs"-Bündnis, wird in der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien, in der bereits im vergangenen Sommer ein Krieg geführt wurde, der nur vordergründig der abtrünnigen georgischen Republik Südossetien gegolten hat und tatsächlich gegen Rußland gerichtet war, in der Zeit zwischen dem 6. Mai und 1. Juni 2009 ein Manöver abhalten.

An diesen militärischen Übungen, die fern der Territorien der NATO-Staaten und in größtmöglicher Nähe zum russischen Kerngebiet abgehalten werden, sollen 1.300 Soldaten aus 19 NATO-Staaten teilnehmen. Daß Georgien selbst keineswegs der NATO angehört - die von den USA gewünschte Aufnahme liegt aufgrund entgegengesetzter strategischer Interessen wichtiger EU-Staaten nach dem Krieg vom Sommer 2008 noch immer auf Eis -, tut diesen Manöverplänen nicht den geringsten Abbruch. Sie stellen in jeder Hinsicht eine Provokation Moskaus dar, die nicht anders als gewollt und beabsichtigt sein kann. Nach dem Angriffskrieg Georgiens auf Südossetien, der durch die russische Armee, die zu diesem Zweck bis ins georgische Kernland vorstieß, innerhalb weniger Tage beendet wurde, waren die Beziehungen zwischen Rußland und der NATO eingefroren worden.

Zwar wurden die gegenseitigen Konsultationen wieder aufgenommen, von einer tatsächlichen Deeskalation kann jedoch nicht die Rede sein. Im Gegenteil, eine deutliche Verschlechterung der Beziehungen der NATO zu Rußland sagte der Oberbefehlshaber der westlichen Kriegsallianz, der US-General John Craddock, laut Agenturmeldungen vom 26. März voraus. Moskau sei, so bezichtigte der hochrangige Militär die russische Führung, zunehmend bereit, ökonomische und militärische Mittel einzusetzen, um die transatlantischen Institutionen zu schwächen, und deshalb, selbstverständlich nicht wegen der fortgesetzten Ausdehnungs- bzw. Eindämmungspolitik des Westens, würden sich die Beziehungen zwischen der NATO und Rußland belastet werden wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr.

Dmitri Rogosin, russischer Botschafter bei der NATO, erklärte unterdessen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, daß das NATO-Manöver in Georgien "absurd" und "eine Provokation" sei. Der russische Außenminister Sergej Lawrow betonte zudem, daß "die Komplizenschaft der NATO mit dem Regime in Georgien" keineswegs der Stabilität in dieser Region diene. Rogosin wiederum erklärte, den NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer gebeten zu haben, die Manöver abzusagen oder zu verschieben, was dieser, wen wundert's, abgelehnt hat. Scheffer demonstrierte aufs eindrücklichste die Ignoranz der NATO gegenüber Rußland, oder, schlimmer noch, die kalkulierte Außerachtlassung russischer Sicherheitsinteressen, die auf eine durch und durch beabsichtigte Provokations- und Eskalationsstrategie rückschließen läßt. Zur Begründung, warum der russischen Bitte nach Absage bzw. Aufschub der Manöver nicht entsprochen werde, führte der NATO-Generalsekretär mit bestechender Pseudo-Logik an, daß diese schließlich "keine Überraschung" seien und schon seit einem Jahr vorbereitet worden seien.

Der russische Botschafter bei der NATO Rogosin stellte klar, inwiefern in dieser Haltung eine gezielte Brüskierung Moskaus liegt. Vor der Wiederaufnahme der militärischen Zusammenarbeit seines Landes mit der NATO, die bekanntlich nach dem Georgien-Krieg eingestellt worden war, habe Rußland, so Rogosin, deutlich gemacht, daß es an seinen Grenzen keine Manöver ausländischer Truppen wünsche. Zwar gebe es über diesen Punkt keine schriftliche Vereinbarung, er sei dem russischen Botschafter zufolge jedoch in den Verhandlungen von seiten der NATO verstanden und akzeptiert worden.

Da das pro-westliche Regime Georgiens unter Präsident Michail Saakaschwili, von dem sich sogar schon etliche seiner ehemaligen Kampagnengefährten und Minister seines Kabinetts zugunsten der Oppositionsbewegung abgewandt haben, derzeit so gefährdet ist wie nie zuvor seit der vom Westen angefachten und finanzierten Rosenrevolution im November 2003 dürften die Gründe der NATO, dieses Manöver unter allen Umständen durchzuführen, nur umso zwingender geworden sein. Wenngleich zu erwarten ist, daß die pro-westlichen Politiker vom Schlage der früheren Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse, die jetzt das Oppositionsbündnis, das bis zum Sturz oder Rücktritt Saakaschwilis den zivilen Protest auf die Straßen bringen will, dominieren, den pro-westlichen Kurs Saakaschwilis auch fortsetzen werden. Eine Garantie dessen gibt es allerdings nicht, und so stellen die 1.300 rund 20 Kilometer östlich von der georgischen Hauptstadt Tiflis in wenigen Wochen stationierten NATO-Soldaten eine latente Androhung dar nicht nur für das nahe Rußland, sondern auch für die innenpolitische georgische Opposition, sollten sich in ihren Reihen die pro-russischen Kräfte durchsetzen.

17. April 2009