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DILJA/1154: EU spielt mit gezinkten Karten in Georgien und Südossetien (SB)


Massive Einflußnahme der EU im Südkaukasus

Bestrebungen zum Machterhalt des georgischen Präsidenten Saakaschwili, generelle Ablehnung der Unabhängigkeit und Wahlergebnisse Südossetiens


Die Kaukasus-, Balkan-, Osteuropa- und Rußlandpolitik der EU läßt sich auf einen kurzen und knappen Nenner bringen: Sie verfolgt in erster bis letzter Linie ihre eigenen Hegemonialinteressen. Dies mag banal erscheinen, beantwortet jedoch etwaige Fragen danach, warum die EU die "Unabhängigkeitserklärung" der serbischen Provinz Kosovo unter Bruch der UN-Resolution 1244 nicht nur anerkannt, sondern aktiv unterstützt und mit herbeigeführt hat, während sie sich mit Händen und Füßen dagegen sträubt, die Unabhängigkeitserklärung der früheren autonomen Republik Georgiens Südossetien anzuerkennen bzw. mit südossetischen Regierungsvertretern überhaupt Gespräche zu führen. Südossetien hat sich im Anschluß an den Großangriff Georgiens auf die Republik, die etwa eineinhalbmal so groß ist wie das Saarland, im August vergangenen Jahres für unabhängig erklärt, nachdem der Krieg durch das Eingreifen Rußlands binnen kurzem beendet und der georgische Aggressor in seine Schranken verwiesen worden war.

Auf diplomatischem Parkett zeichnete sich sofort ein grotesk anmutendes Bild ab, denn kritisiert wurde auf internationaler Ebene und namentlich aus den Reihen von EU und USA Rußland, dessen militärisches Eingreifen als "Aggression" gebrandmarkt wurde, nicht jedoch der dem vorausgegangene, wie inzwischen zweifelsfrei feststeht, Angriff der georgischen Armee auf das kleine Südossetien. Da hieran keinerlei nennenswerte Kritik von westlicher Seite geübt wurde, müssen sich die europäischen und US-amerikanischen Repräsentanten den Vorwurf gefallen lassen, diesen Krieg im stillen sanktioniert zu haben, was eine ohnehin naheliegende Schlußfolgerung ist, da der georgische Präsident Saakaschwili ein "Mann des Westens" ist und Georgien schon damals weitreichende Militärhilfe aus den USA bezog.

Da die von der EU wie auch den USA verfolgten Hegemonialbestrebungen in der Kaukasus-Region von dem Grundparameter einer aggressiven Ausweitung des eigenen sowie einer Eindämmung des russischen Einflusses getragen sind, wurde in der Folge des Augustkrieges keine Kehrtwende vollzogen. Der Bevölkerung Südossetiens, die durch den Staat, dem sie angeblich angehört, im Schlaf überfallen und bombardiert worden war, sollte von seiten der westlichen Staaten zugemutet werden, weiter unter dem Dach Georgiens zu leben. Das Tischtuch zwischen Südossetien und Georgien war jedoch nach diesem Krieg - aus Sicht Südossetiens - endgültig zerschnitten, und so wurde unter Inanspruchnahme der Unterstützung Rußlands, das neben Nikaragua der einzige Staat bleiben sollte, der die Unabhängigkeit Südossetiens anerkannte, die endgültige und schon seit langem angestrebte Loslösung von Georgien vollzogen.

In Südossetien nun wurden am vergangenen Sonntag die ersten Parlamentswahlen nach dem Krieg und der Unabhängigkeitserklärung durchgeführt. 52.000 Wahlberechtigte waren aufgefordert worden, ein neues Parlament zu wählen. Zur Wahl standen 34 Abgeordnete aus vier Parteien, von denen es heißt, sie stünden dem pro-russischen Präsidenten Eduard Kokojty nahe. Dies ist insofern zutreffend, als keine der Parteien zurück nach Georgien möchte. Die innenpolitische Position Präsident Kokojtys ist allerdings keineswegs so gefestigt, wie es diese erste Einschätzung der an den Wahlen beteiligten Parteien vermuten lassen könnte. Kritiker werfen ihm einen autoritären Führungsstil vor, der es den Gegnern des unabhängigen Landes erleichtern würde, Südossetien die internationale Anerkennung weiterhin zu verweigern. Aus den Reihen der Opposition wurde der Kreml aufgefordert, eine von Präsident Kokojty vorbereitete Verfassungsänderung, mit deren Hilfe er die Begrenzung seiner Amtszeit bis 2011 aufheben möchte, zu verhindern.

Ein solches Ansinnen käme jedoch einem diplomatischen Fallstrick gleich. Die russische Führung betont seit dem vergangenen Sommer stets, daß sie sich in die inneren Angelegenheiten Südossetiens nicht einmische. Jeder Schritt in dieser Richtung würde von den EU-Oberen als willkommener Anlaß genommen und benutzt werden, um Vorwürfe gegen Moskau zu erheben und im zweiten oder dritten Schritt die ohnehin nicht anerkannte Unabhängigkeit Südossetiens rückgängig zu machen und das Land wieder Georgien und damit dem eigenen Einflußbereich zuzuschlagen. Da die russische Seite sehr darauf bedacht ist, ihren westlichen Freundfeinden keine Vorwandslage zu bieten, hat sie sich in ihrer Politik gegenüber Südossetien in eine Dilemmalage manövriert. Offiziell wird keine Kritik an Präsident Kokojty laut, und so hat Moskau auch jeden Schritt, der es den Gegnern der südossetischen Unabhängigkeit erleichtern würde, die Parlamentswahlen vom Sonntag und damit auch gleich das unabhängige Südossetien zu diskreditieren, unterlassen.

Der russische General Barankiewitsch, der maßgeblich am August-Krieg beteiligt war, gab sich nicht ganz so diplomatisch und brachte auf den Punkt, was wohl auch die im Kreml vorherrschende Einschätzung berühren dürfte. Barankiewitsch erhob Korruptionsvorwürfe gegen Kokojty und begründete diese damit, daß Südossetien 450 Millionen Dollar Wiederaufbauhilfe von Rußland bekommen hätte, ohne daß dies zu sichtbaren Aufbauleistungen in dem noch immer kriegszerstörten Land, in dessen Hauptstadt Tschinwali heute noch von vielen Häusern nur die ausgebrannten Grundmauern stehen, geführt hätte. Der Chef der russischen Präsidialverwaltung, Sergej Narischkin, wurde in der russischen Presse dahingehend zitiert, daß den Südosseten nahegelegt werde, die bisherige Regelung einer Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten beizubehalten.

Allem Anschein nach ist man in Moskau mit Präsident Kokojty keineswegs glücklich. Dessen Einheitspartei hat, wie die südossetische Wahlkommission am Montag bekanntgab, die ersten Wahlen nach der Unabhängigkeit mit 46,3 Prozent der Stimmen klar gewonnen. Die ihm nahestehende Volkspartei errang 22,5 Prozent, während die Kommunisten, die eine Wiedervereinigung mit Nordossetien und damit den Anschluß an die russische Föderation anstreben, 22,2 Prozent auf sich vereinen konnten. Die vierte Partei, eine neugegründete, sich selbst als sozialdemokratisch bezeichnende Partei, scheiterte mit 6,4 Prozent an der im Wahlgesetz festgelegten Sieben-Prozent-Hürde. Alles in allem weder überraschende noch spektakuläre Ergebnisse, wenngleich gegen den späteren Wahlsieger zuvor schon, so auch durch den russischen General Barankiewitsch, der Vorwurf erhoben worden war, daß zwei Parteien, die Kokojty die Veruntreuung der russischen Hilfsgelder zum Vorwurf gemacht hatten, gar nicht erst zur Wahl zugelassen worden seien.

Diesen Vorwurf machte sich die EU keineswegs zu eigen, wird sie doch an einer möglichen Korrektur dergestalt, daß die nun wiedergewählte Regierung Kokojtys den Wiederaufbau und damit eine generelle Stärkung des Landes aktiv unterstützt, keineswegs interessiert sein. Ein Südossetien, dessen Bewohner noch immer und auch weiterhin auf unabsehbare Zeit unter den Kriegsfolgen zu leiden haben, so könnte das Kalkül der EU, die ihrerseits nicht die geringsten Hilfsgelder an Südossetien gezahlt hat, lauten, wird umso leichter den eigenen Destabilisierungsbemühungen zum Opfer fallen. Nur einen Tag nach der Wahl erklärte die EU, die Parlamentswahlen in Südossetien seien illegitim. Südossetien wie auch Abchasien, eine weitere frühere Republik Georgiens, die sich für unabhängig erklärt hat, werden von der EU immer noch als zu Georgien gehörende Territorien behandelt; ergo erkennt die EU die Wahlen in Südossetien nicht an. Diese seien, so behauptete die tschechische EU-Ratspräsidentschaft am Montag, sogar ein "Rückschlag" für die Bemühungen um eine dauerhafte Friedenslösung.

Internationale Beobachter, Journalisten und Abgeordnete aus Deutschland, Frankreich und Italien, bescheinigten Südossetien hingegen gleich am Wahlsonntag in einer gemeinsamen Presseerklärung einen reibungslosen und regulären Ablauf der Wahl. Selbst wenn sich die Wahl entgegen dieses Votums der Beobachtergruppen unter demokratischen Gesichtspunkten als kritikwürdig herausstellen sollte, bliebe es die ausschließliche Angelegenheit der Bevölkerung Südossetiens, sich um eine ihren Interessen angemessene politische Repräsentation zu bemühen und diese, gegen welche in- und mehr noch ausländischen Widerstände auch immer, gegebenenfalls zu erstreiten. Die EU, die sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, die von ihr behauptete Illegitimität der Wahlen in Südossetien über die generelle Nichtanerkennung dieses kleinen Kaukasusstaates hinaus zu begründen, wäre die allerletzte Interessengruppierung, die mandatiert oder berechtigt wäre, die innenpolitischen Verhältnisse in Südossetien bzw. Georgien zu kritisieren.

In den Augen der südossetischen Bevölkerung wird sich die EU wohl vollends diskreditiert haben, denn noch immer unterstützt sie den georgischen Präsident Saakaschwili, obwohl dieser in der georgischen Bevölkerung einen denkbar schlechten Stand hat. In Georgien hat sich ein Oppositionsbündnis gebildet zu dem erklärten und ausschließlichen Zweck, den Rücktritt des ungeliebten Präsidenten, dem die Georgier insbesondere auch seine Kriegspolitik vom vorigen Sommer übelnehmen, zu erwirken. Seit dem 9. April hält dieses Bündnis, in dem auch die frühere Mitstreiterin Saakaschwilis, die ehemalige Parlamentssprecherin Nino Burdschanadse, eine maßgebliche Position einnimmt, an seiner Position fest, Saakaschwili, wenn auch mit friedlichen, der sogenannten Rosenrevolution vom November 2003 nicht unähnlichen Mitteln stürzen zu wollen. Dies entspricht voll und ganz der Stimmung im Lande. Wenn auf einer der vielen Protestveranstaltungen in der Hauptstadt oder den Provinzen Redner Verhandlungsbereitschaft mit dem Präsidenten zu signalisieren scheinen, haben Sprecher der dem Oppositionsbündnis angehörenden Organisationen hinterher große Mühe, gegenüber ihren Anhängern klarzustellen, daß sie keineswegs von der Forderung nach einem Sturz Saakaschwilis abzurücken bereit sind.

Die EU hingegen ist an einer Durchsetzung dieses kaum noch zu übersehenden Volkswillens nicht interessiert. Saakaschwili, der sich der Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen widersetzt, weil diese sein sofortiges Aus nach sich zögen, versucht, sich mit Unterstützung aus Brüssel an der Macht zu halten. In einer Unterredung mit vier Repräsentanten oppositioneller Gruppierungen, die diese als nutzlos charakterisierten, legte Saakaschwili angeblich "konstruktive" Vorschläge vor, die darauf abzielten, der Opposition Zugeständnisse unterhalb der Schwelle seines Rücktritts zu versprechen bzw. in Aussicht zu stellen. Mitte Mai erklärte Peter Semneby, der Sonderbeauftragte der EU für den Südkausasus, daß es für die Opposition "keine Alternative" zu dem von dieser längst abgelehnten Dialog mit der Regierung Saakaschwili gebe.

Wie aber kommt die EU dazu, der (oppositionellen) Bevölkerung Georgiens erklären und vorschreiben zu wollen, wie die politische Entwicklung des Landes vonstatten zu gehen habe? Die EU maßt sich im Zehnerpack Kompetenzen an, die sie gegenüber einem souveränen Staat gar nicht haben kann; andernfalls wäre die Souveränität des NATO-Verbündeten Georgien eine völlige Luftnummer. Wenn sich allerdings die Europäische Union schon in dem massiven Konflikt zwischen der georgischen Bevölkerung und Saakaschwili als eine Parteigängerin des Präsidenten erwiesen hat, die dessen Machterhalt aus Gründen, die ausschließlich in der Sphäre ihrer eigenen imperialistischen Grundabsichten und Interessen zu verorten sein dürften, betreibt, hat sie erst recht jede Berechtigung, die Legitimität der Parlamentswahlen in Südossetien in Abrede zu stellen, verloren.

3. Juni 2009