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DILJA/1156: Europäische Union auf dem Weg zur kriegführenden Imperialmacht (SB)


Die EU wird zu einer kriegführenden imperialen Weltmacht transformiert

Die Wahlen zum Europäischen Parlament haben darauf keinen Einfluß


In der Bundesrepublik Deutschland gehört die sogenannte Gewaltenteilung zum elementaren Unterrichtsstoff allgemeinbildender Schulen, und so dürfte hierzulande das zum Grundaxiom parlamentarischer Demokratien erklärte Prinzip einer Trennung exekutiver, legislativer und judikativer Befugnisse in aller Munde sein. Die Europäische Union würde einen solchen Demokratie-Test nicht im Ansatz bestehen; in ihr kann von einer solchen Trennung nicht die Rede sein. Im Vorfeld der in Deutschland am kommenden Sonntag durchgeführten Wahlen zum Europäischen Parlament wurde in den Medien durchaus thematisiert, daß dieses Parlament kein Initiativrecht besitzt, also über die Kernbefugnis einer parlamentarischen Volksvertretung, nämlich aus eigener Initiative Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen und bei entsprechender Mehrheitslage zu verabschieden, gar nicht verfügt.

Das Parlament, das keines ist, darf lediglich den ihm vorgelegten Gesetzen zustimmen, sie ablehnen oder Änderungsvorschläge machen. Es ist ganz offensichtlich in einen Gesetzgebungsprozeß eingebunden, in dem es mitnichten Regie führt. Da es sich bei der sogenannten Europäischen Union um ein Kunstgebilde handelt, das keineswegs aus einer gewachsenen politisch-kulturellen Entwicklung der Bevölkerungen ihrer inzwischen 27 Mitgliedsstaaten hervorgegangen ist, etwa, weil diese ihre nationale Identität und Zugehörigkeit zugunsten einer "europäischen" aufgegeben hätten, ist die Annahme, daß hier ein faktischer europäischer Zentralstaat geschaffen werden soll, durch dessen Machtmittel die größten und führenden EU-Staaten ihre imperialen Weltmachtsambitionen, die sie im Alleingang niemals umsetzen könnten, zu realisieren im Begriff stehen, kaum von der Hand zu weisen.

Die politische Struktur der Europäischen Union bestätigt diese Annahme. Nicht nur, daß das Europäische Parlament ein bloßes Zustimmungsorgan ist - der "Rat der Europäischen Union" ist ein Zwitterwesen mit zugleich gesetzgeberischen und diese ausführenden Funktionen, was es in einer Demokratie nicht geben dürfte. Im Fischer Almanach 2008 wird zu den Aufgaben dieses Rates ausgeführt:

Der Rat, in dem die Regierungen der Mitgliedsstaaten ihre Interessen vertreten, ist das wichtigste Entscheidungsorgan der EU mit legislativen und exekutiven Befugnissen.
(...)

Der weitverbreitete Unmut, die überaus geringe Wahlbeteiligung, von der auch bei den jetzigen Wahlen alle Experten ausgehen, das allgemeine Desinteresse an den Vorgängen in Brüssel sind die sichtbaren Resultate einer Entwicklung, die als eine Ent-Demokratisierung bezeichnet werden könnte, die umso schneller und tiefgreifender voranschreitet, je weitreichender nationale Souveränitätsrechte auf die EU übertragen werden. Von besonderer Brisanz dürfte angesichts einer solchen, ganz generell besorgniserregenden Entwicklung in den Bestrebungen einiger Mitgliedsstaaten bzw. ihrer Regierungseliten zu sehen sein, die Europäischen Union in eine Militärmacht zu transformieren, die, an die Begrenzungen durch die nationalen Verfassungen nicht mehr gebunden, in der Lage ist, mit militärischen Mitteln die Interessen der angehenden europäischen Weltmacht in allen Regionen der Erde durchzusetzen.

Nicht von ungefähr gewann das Militärische innerhalb des sogenannten EU-Vereinigungs- und Reformprozesses immer mehr an Bedeutung. Wäre die Union ein demokratischen Prinzipien zutiefst verbundener Staatenbund gewesen, hätte mit dem 1997 unterzeichneten Vertrag von Amsterdam kaum die Einrichtung einer "engen Zusammenarbeit" zwischen Staaten, die in bestimmten Fragen, in denen innerhalb der gesamten EU keine Einigung erzielt werden konnte, voranschreiten wollen, stattfinden können - was nichts anderes bedeutet, als daß die ablehnende Haltung der Staaten, die einen allgemeinen EU-Beschluß verhindert haben, auf diese Weise umgangen wird. Zu diesem Zeitpunkt wäre die Anwendung einer solch undemokratischen Einrichtung auf die sogenannten außenpolitischen Fragen noch überhaupt nicht durchsetzbar gewesen, und so wurden im Vertrag von Amsterdam Fragen der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) explizit von der "engen Zusammenarbeit" eines Teils der EU-Staaten ausgeklammert.

Diese taktische Zurückhaltung hielt gerade einmal drei Jahre an. In dem im Jahre 2000 unterzeichneten Vertrag von Nizza wurde die Gruppe voranschreitender Staaten als eine "verstärkte Zusammenarbeit" tituliert. Zu ihrer Bildung waren nicht mehr wie zuvor mindestens die Hälfte der EU-Staaten, sondern nur noch acht von 27 erforderlich. Der Bereich der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik", also die Durchsetzung hegemonialer Interessen der innerhalb der EU führenden Kräfte im Verhältnis zu den außereuropäischen Kontinenten, wurde nicht länger außen vor gehalten; lediglich militärrelevante Fragen wurden pro forma ausgeklammert.

Mit der EU-Verfassung bzw. dem sogenannten EU-Reform- oder auch Lissabon-Vertrag, bei dem es sich, von geringfügigsten Änderungen abgesehen, um eine Wiedervorlage des von den Bevölkerungen Frankreichs sowie der Niederlande 2005 in Referenden abgelehnten Verfassungstextes handelt, sollte und soll noch immer der entscheidende Durchbruch zu einem "militärischen" Europa vollzogen werden. Dazu muß angeführt werden, daß es sich bei dieser Militarisierung Europas keineswegs um Bestrebungen handelt, die Union gegen etwaige Angriffe von außen verteidigen zu können - dies anzunehmen, würde voraussetzen, die Existenz der NATO, die als ein solches Verteidigungsbündnis konzipiert wurde, zu ignorieren. Da in der NATO ein Einstimmigkeitsprinzip vorherrscht und - zumindest theoretisch - ein Angriff auf ein Mitgliedsland erfolgen müßte, stellt die NATO ein wohl viel zu schwerfälliges Instrument da, um den Interessen führender EU-Strategen gerecht werden zu können.

Sollte ungeachtet der derzeit noch bestehenden Probleme - in Deutschland, Irland, Tschechien und Polen wurde der Lissabon-Vertrag noch nicht endgültig ratifiziert - steht zu erwarten, daß die Konstrukteure eines militärischen Kerneuropas ihre Absichten wenn nicht auf dem einen, dann auf einem anderen Wege durchsetzen werden. Das europäische Parlament mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten hat wohlweislich nicht die Befugnis, eine solche Entwicklung zu verhindern. Durch den Lissaboner Vertrag sollen die rechtlichen Voraussetzungen für die Einrichtung einer sogenannten "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" (SZZ) geschaffen werden. Dies sind in Erweiterung der vorherigen Pioniergruppen Bündnisse von EU-Staaten, die quasi auf eigene Faust aufrüsten und für den Kriegseinsatz im Ausland vorgesehene Kampftruppen ("Battlegroups") aufstellen. EU-Staaten, die sich daran nicht beteiligen wollen, können oder dürfen, haben nicht die geringste Möglichkeit, die Einrichtung der "Ständigen Strukturellen Zusammenarbeit" zu verhindern.

Die mächtigsten EU-Staaten, namentlich Deutschland und Frankreich, wollen aus den sogenannten Kern-EU-Staaten ein Militärdirektorat bilden, das nach eigenem Ermessen, also ohne an die allgemeinen Institutionen der EU gebunden zu sein, militärische Operationen durchführen kann. Die SSZ, die mit der Ratifizierung des Lissabon-Vertrages endgültig Gestalt annehmen würde, stellt einen wesentlichen Schritt in diese Richtung dar. Maßgeblich ist dabei die Idee, daß sich diejenigen Staaten, die sich in der Vergangenheit bereits um die Militarisierung der EU verdient gemacht haben, nicht durch langsamere oder unwillige Mitgliedsstaaten ausbremsen lassen müssen. Durch spezielle Auswahlkriterien und -verfahren soll zudem verhindert werden, daß EU-Staaten, die mit diesem Kurs nicht einverstanden sind, gleichwohl in die SSZ eintreten, um innerhalb dieses Gremiums der weiteren Militarisierung entgegenzuarbeiten.

Für die SSZ gibt es überhaupt keine Mindestanzahl teilnehmender Staaten mehr. Sie kann mit qualifizierter Mehrheit des Rates der Europäischen Union eingerichtet werden. Ist dies geschehen, gilt innerhalb der SSZ das Prinzip der Einstimmigkeit, doch können Mitgliedsstaaten, die ihre Verpflichtungen nicht erfüllen, hinausgeworfen werden. Es versteht sich von selbst, daß EU-Staaten, die an einer SSZ nicht beteiligt sind, keinerlei Mitspracherechte haben. Die Zutrittskriterien sind jedoch so hoch gesteckt, daß etliche der mittleren und sicherlich alle der kleineren EU-Staaten von vornherein ausgegrenzt sind. Im Text des EU-Reformvertrages heißt es dazu [1]:

An der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit nach Artikel 28a Absatz 6 des Vertrags über die Europäische Union kann jeder Mitgliedstaat teilnehmen, der sich ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon verpflichtet,

a) seine Verteidigungsfähigkeiten durch Ausbau seiner nationalen Beiträge und gegebenenfalls durch Beteiligung an multinationalen Streitkräften, an den wichtigsten europäischen Ausrüstungsprogrammen und an der Tätigkeit der Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (Europäische Verteidigungsagentur) intensiver zu entwickeln und

b) spätestens 2010 über die Fähigkeit zu verfügen, entweder als nationales Kontingent oder als Teil von multinationalen Truppenverbänden bewaffnete Einheiten bereitzustellen."
(Protokoll Nr. 10, Artikel 1)

EU-Mitgliedsstaaten, die die Transformation der Union in eine überaus schlagkräftige und in jeder Hinsicht zur Kriegführung gerüstete Weltmacht verhindern wollen, haben dazu keinerlei Möglichkeit, sobald der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt. Doch selbst dann, wenn dies wider Erwarten nicht der Fall sein sollte, werden die Konstrukteure einer solchen EU auf andere Weise ihre Absichten und Interessen durchzusetzen suchen, und ganz gewiß werden sie über diese Pläne keine Referenden in den Bevölkerungen der EU-Staaten abhalten lassen, zumal diese schon nicht gewillt sind, dem ihnen mit guten Gründen höchst suspektem europäischen Reformprozeß die parlamentarische Absegnung durch eine überzeugende Wahlbeteiligung zu erteilen.

[1] Zitiert aus: Lissabon-Vertrag hin oder her - das militärische Kerneuropa soll kommen! IMI-Studie 2008/08 - 13.8.2008, Herausgeber: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

5. Juni 2009