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DILJA/1160: "Gefühlte Folter" - Medien leisten Beihilfe zur Folter (SB)


"Waterboarding" - schwere Foltervorwürfe gegen Scotland-Yard-Beamte

In Medienberichten wird der Anwendung dieser Folter durch verharmlosende Formulierungen der Weg geebnet


Wie die Aufsichtsbehörde der Londoner Polizei (Independent Police Complaints Commission) am Mittwoch bestätigte, wurden sechs Beamte von Scotland Yard wegen gegen sie erhobener Foltervorwürfe vom Dienst suspendiert. In einer polizeiinternen Untersuchung soll nun dem Vorwurf, die Beamten hätten im November vergangenen Jahres in Enfield im Norden Londons gegen fünf wegen des Verdachts des Drogenhandels Festgenommene die mittelalterliche Wasserfolter angewandt, nachgegangen werden. Ein Sprecher Scotland Yards verweigerte mit dem Argument, den Ergebnissen der laufenden Untersuchung nicht vorgreifen zu wollen, jede Stellungnahme. In britischen Medien wurden zum Teil unterschiedliche Darstellungen über die konkreten Umstände dieser Folterungen veröffentlicht. So berichtete die "Daily Mail", daß die Polizeibeamten die Köpfe der Gefolterten in Wassereimer getaucht hätten; nach Darstellung der "Times" hätten die Beamten Wasser auf ein Stück Stoff gegossen und dieses den Beschuldigten in den Mund gelegt.

Somit hat die Londoner Polizei, die seit geraumer Zeit wegen gewaltsamer Übergriffe auf Demonstranten und Festgenommene, durch die, wie zuletzt bei den G-20-Protesten, sogar ein Mensch (Ian Tomlinson) ums Leben kam, einen weiteren Skandal, der umso schwerer wiegt, weil zu befürchten steht, daß diese berüchtigte und in den USA zunächst sogar erlaubte, inzwischen jedoch offiziell nicht mehr zugelassene "Verhörpraxis" in Britannien Einlaß in die "ganz normale" Polizeiarbeit gefunden hat. Die näheren Umstände dieses Vorfalls, so weit sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt bekannt sind, legen zudem die Vermutung nahe, daß es innerhalb des Polizei- und Justizapparats eine gut funktionierende Zusammenarbeit zur Verschleierung der Folter gibt. So wurde gegen die fünf Folteropfer, bei denen es sich um vier Männer und eine Frau gehandelt haben soll, die eine größere Menge Cannabis bei sich gehabt hätten, zunächst wegen eines Drogendelikts ermittelt. Vier Monate später wurde allerdings davon abgesehen, gegen die fünf Folteropfer den Prozeß zu eröffnen, weil, so die zuständige Staatsanwaltschaft, dies nicht im öffentlichen Interesse läge.

In einer solchen Verhandlung wären die Verhör- oder vielmehr Foltermethoden öffentlich zur Sprache gebracht worden. Die offizielle Begründung will glauben machen, daß dieser Drogenprozeß nicht durchgeführt wurde, um die laufenden Ermittlungen gegen die Polizeibeamten nicht zu gefährden. Erst im Zuge umfangreicher interner Untersuchungen, bei denen es keineswegs "nur" um die erst jetzt publik gewordenen Foltervorwürfe ging, sondern um den Verdacht, daß Polizeibeamte falsche Beweise fabriziert und sich am sichergestellten Eigentum Verdächtiger bereichert hätten, gelangten Informationen über das "Waterboarding", das bereits ein halbes Jahr zurückliegt, an die Presse und damit die britische wie auch internationale Öffentlichkeit. Die nun erfolgte Suspendierung der beschuldigten Polizeibeamten sowie die offizielle Bekanntgabe der gegen sie eingeleiteten Untersuchungen dienen selbstverständlich auch dem Zweck, das Ansehen der Londoner Polizei insgesamt aufzubessern, indem der Eindruck zu erwecken gesucht wird, man gehe intensiv und rigoros gegen die "schwarzen Schafe" in den eigenen Reihen vor.

Dieser "Fall" weist jedoch noch eine weitere, nicht minder besorgniserregende Komponente auf. So hat sich in den internationalen Nachrichtenagenturen, deren Berichte bis in die exakte Wortwahl hinein von weiteren, auch vielen deutschsprachigen Medien völlig unhinterfragt und kritiklos übernommen wurden, eine ebenso gezielte wie verhängnisvolle Formulierung eingeschlichen. So wurde beispielsweise von NDR Info folgende Meldung gesendet [1]:

London: Mehrere Beamte von Scotland Yard sind nach schweren Anschuldigungen über Verhörmethoden vom Dienst suspendiert worden. Dies teilte die britische Polizei mit. Britische Medien hatten berichtet, sechs Beamten werde vorgeworfen, festgenommene mutmaßliche Drogenhändler dem sogenannten Waterboarding unterzogen zu haben. Bei dieser Verhörpraxis haben die Betroffenen das Gefühl, kurz vor dem Ertrinken zu stehen, was von Kritikern als Folter eingestuft wird. Scotland Yard kündigte eine interne Untersuchung an.

Tatsächlich handelt es sich bei der Wasserfolter um ein Ersticken, das keineswegs "nur simuliert" wird, sondern gräßlichste Qualen mit sich bringt. Nicht von ungefähr wurde (und wird?) das sogenannte "Waterboarding" vom US-Geheimdienst bzw. -Militär vorzugsweise angewandt, hinterläßt es doch keine sicht- und damit nachweisbaren körperlichen Spuren bei gleichzeitiger Erzielung größtmöglicher Torturen, durch die der Widerstand des Betroffenen gebrochen werden soll. "Waterboarding" erfüllt zweifellos alle Kriterien von Folter; so wurden nach dem Zweiten Weltkrieg japanische Offiziere wegen der Anwendung der Wasserfolter als Verbrecher hingerichtet. In den vorherrschenden Medien herrscht heutzutage jedoch ein Tenor und Sprachgebrauch vor, der zu schlimmsten Befürchtungen Anlaß bietet, weil Folter im allgemeinen und Waterboarding im speziellen fast schon salonfähig geworden zu sein scheinen.

Dabei spielt die Behauptung, es handelte sich bei dieser "Verhörmethode" um ein simuliertes Ertränken - und nicht um ein höchst reales Ersticken - keine so gravierende Rolle, weil jede Methode des Quälens, Erniedrigens und Schmerzenzufügens und selbstverständlich auch jede Art der Scheinhinrichtung als Folter zu bewerten ist. Die stillschweigende, wenn auch offiziell noch nicht ganz durchgesetzte Akzeptanz der Wasserfolter wird durch die Formulierung vermittelt, es handele sich um das bei den Betroffenen erzeugte "Gefühl" zu ertrinken. Durch die damit nahegelegte (Fehl-) Deutung, ein Gefühl wäre nichts Reales, wird und soll die Akzeptanz der Folter durchgesetzt werden. Das zeigt sich darüber hinaus daran, daß den Agenturmeldungen zum Thema auch die Formulierung zu entnehmen ist, diese "Verhörpraxis" - schon das Wort "Foltermethode" wird geflissentlich vermieden - werde "von Kritikern als Folter eingestuft".

Die Medienverantwortlichen müßten sich genaugenommen fragen, ob diese Form vermeintlicher Berichterstattung nicht sogar strafrechtliche Konsequenzen für sie selbst nach sich ziehen könnte. Da Folterungen welcher Art auch immer fraglos als schwerste Straftaten zu bewerten wären, könnten verharmlosende und die Folterqualität des Waterboarding in Abrede stellende mediale Darstellungen durchaus als Beihilfe zur Folter aufgefaßt werden. Die generelle und keineswegs nur in den USA auszumachende Entwicklung, das als bedingungslos und weltweit gültig konzipierte Folterverbot aufzuweichen und zu umgehen, ist auch in den kerneuropäischen Ländern weitaus weiter vorangeschritten, als gemeinhin angenommen wird, und so stellen die jüngsten Enthüllungen über das von Scotland Yard angewandte Waterboarding keinen spektakulären Einzelskandal dar, sondern sind Bestandteile einer Gesamtentwicklung, in die auch maßgebliche Medien längst eingebunden sind.

[1] NDR-Info, Nachrichten, 10.06.2009, 12.45 Uhr
http://www.ndrinfo.de/nachrichten/nachrichten2_con-09x06x10x12y45.html

11. Juni 2009