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DILJA/1185: Charme-Offensive der USA gegen China - Obama mimt den Geostrategen (SB)


Charme-Offensive des US-Präsidenten gegen China

Wie kann Obama glauben, den Beziehungen seines Landes zu China käme für das 21. Jahrhundert eine "Schlüsselrolle" zu?


Am Montag eröffnete Präsident Barack Obama in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington ein zweitägiges "Dialogforum" mit China und erklärte gleich zu Beginn dieser Charme-Offensive gegenüber dem Reich der Mitte, daß Washington und Peking ihre beiderseitigen Beziehungen vertiefen müßten, "um den globalen Herausforderungen zu begegnen". Gedacht ist an eine, wie verlautbart wurde, engere politische und wirtschaftliche "Abstimmung"; gleichwohl wurde an diesen beiden Tagen auch über "Sicherheitsfragen" gesprochen. Obama, der die Chinesen gleich wissen ließ, daß er die Nr. 1 in diesem Dialog zu sein beansprucht, indem er Peking ermahnte, die "Menschenrechte" zu achten ganz so, als könnten die chinesischen Dialogteilnehmer nicht Gleiches mit gleicher Münze zurückgeben, stellte zum Auftakt der Beratungen die These auf, daß den Beziehungen beider Staaten im 21. Jahrhundert "eine Schlüsselrolle" zukäme.

Was mag, kurz gefragt, dahinterstecken? Ist es lediglich der sattsam bekannte Omnipotenzwahn der US-amerikanischen Elite, von dem auch der amtierende Präsident nicht verschont bleiben konnte, der Obama zu solchen in ihrer vermeintlichen Bedeutung für den gesamten Erdball und noch dazu das ganze Jahrhundert völlig überzogen anmutenden Erklärungen veranlaßt haben könnte, gepaart mit einem Sendungsbewußtsein, wie es ohnehin in keiner zweiten Nation vorzufinden ist? Oder könnten sich zwischen den Zeilen oder vielmehr Worten Obamas Hinweise und Anhaltspunkte auf mittel- bis langfristig angelegte Absichten und strategische Planungen Washingtons herauslesen lassen, die zu größter Besorgnis Anlaß bieten, weil zu vermuten stünde, daß die derzeitige Charme-Offensive gegen China in einen geostrategischen Gesamtzusammenhang gestellt werden müßte und nur dort in ihrem vollen Ausmaß zu verstehen ist, der alles andere als friedlichen Zwecken gewidmet ist?

Es ist das erklärte Ziel einflußreichster US-amerikanischer Geostrategen, zu denen neben Henry Kissinger und Samuel P. Huntington auch der polnisch-amerikanische Politikwissenschaftler und frühere Sicherheitsberater von US-Präsident James Carter, Zbigniew Brzezinski, zu zählen ist, die USA zur einzigen oder, wie Brzezinski es in seinem 1997 veröffentlichten strategischen Grundlagenwerk "The Grand Chessboard" (Das große Schachbrett) formulierte, sogar "letzten" Weltmacht zu machen. Da es keinen plausiblen Anhaltspunkt für die These gibt, daß die gegenwärtig amtierende Administration um Barack Obama, der durchaus in Verbindung zu Brzezinski bzw. dessen Familienclan steht oder zumindest gestanden hat, sich nicht diesem langfristigen Ziel verpflichtet sieht, könnte der jüngste Vorstoß Obamas zur Intensivierung der US-amerikanisch-chinesischen Beziehungen in diesem Kontext seine eigentliche Bedeutung offenbaren.

Bekanntlich haben die beiden größten Staaten auf der eurasischen Landmasse, die nach Ansicht westlicher Geostrategen den Schlüssel zur Weltherrschaft demjenigen verleiht, der sie zu kontrollieren versteht, Rußland und China, mit der Schanghai Kooperationsorganisation (SCO) ein wirtschaftliches und politisches Bündnis geschlossen, das eine militärische Kooperation beider Staaten wie auch der übrigen zentralasiatischen Mitgliedsländer (Kirgisien, Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan) erklärtermaßen nicht ausschließt, das den US-Interessen in der Region diametral entgegensteht. Da die USA auf dem Gebiet der Begehrlichkeiten, sprich der gesamten eurasischen Landmasse, über kein originär eigenes Territorium verfügen, sind sie zur Durchsetzung ihrer Pläne auf die keineswegs unerhebliche Zusammenarbeit mit einflußreichen und letzten Endes auch militärisch bedeutsamen Partnern angewiesen.

Im Westen ist dieses Problem leicht zu lösen, da mit den EU- bzw. NATO-Partnerstaaten Bündnispartner bereitstehen, mit denen eine tatsächliche Interessenallianz in gezielter Reaktivierung der unter Bush leicht eingefröstelten Beziehungen unschwer wiederherzustellen sein dürfte bzw. längst in Stellung gebracht wurde. Unter den Stichworten EU-Osterweiterung und NATO-Ausdehnung sind Entwicklungen bereits seit Jahren im Gange, die der damalige russische Präsident Wladimir Putin in seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 in unerwarteter Deutlichkeit als Bestrebungen brandmarkte, eine Welt zu schaffen, in der es nur noch einen Herrn, einen Souverän, gibt. Putin scheute sich nicht, die Vereinigten Staaten von Amerika als die Großmacht namentlich zu nennen, die ihre nationalen Grenzen in jeder Hinsicht überschritten hat.

Durch ihr System militärischer Stützpunkte und umfangreicher militärischer Operationen, die längst die Größenordnung regulärer Kriege, so im Irak und in Afghanistan, angenommen haben, sind die US-Streitkräfte immer näher und tiefer auf eurasisches Gebiet vorgedrungen. Bosnien, Georgien, Aserbaidschan und Kirgisien, um nur einige zu nennen, deuten darauf hin, daß es den USA längst gelungen ist, zumindest einen Keil bzw. ein Brückenkopfsystem zu installieren, dessen militärisches Bedrohungspotential gegen Rußland, aber auch China gerichtet ist. Bereits 2007 hatten sich die USA so weit vorgearbeitet, daß ihre Kampfjets in für Rußland und China eigentlich völlig inakzeptabler Nähe lagen und beispielsweise den chinesischen Atomversuchsreaktor in Sinkiang bequem erreichen könnten. Hinzu kommt, daß das Pentagon in seiner 2007 vorgelegten Verteidigungsplanung "Quadrennial Defense Review" China explizit als die Macht bezeichnete, "die das größte Potential besitzt, in militärische Konkurrenz zu den USA zu treten und sich kontraproduktive Militärtechnologie zu beschaffen, die im Lauf der Zeit die traditionelle militärische Überlegenheit der USA neutralisieren könnte."

Dem chinesischen Außenministerium zufolge hat Peking umgehend Protest gegen dieses Pentagon-Dokument der Ära Bush Jun. eingelegt. Im Sommer desselben Jahres veröffentlichte Zbigniew Brzezinski sein zweites Buch, in dem er seine geostrategischen Überlegungen von 1997 keineswegs ad acta legte, sondern aktualisierte und den neuesten Entwicklungen entsprechend modifizierte. Zwar erkennt Brzezinski die unmittelbare Machtausdehnung der USA im südlichen Bereich Eurasiens als weitgehend gescheitert an, doch zieht er daraus die Schlußfolgerung, mit erhöhter Intensivität die Einschnürung und Umzingelung Rußlands zu betreiben. Die Regierung Barack Obamas scheint diesen Maßgaben Rechnung zu tragen. Nicht nur, daß der medial als vergleichsweise friedfertig inszenierte Präsident mehr noch als sein Amtsvorgänger den Krieg in Afghanistan auf das Nachbarland Pakistan ausweitete, er schlägt auch gegenüber Moskau keine andere Linie ein.

Vor diesem Hintergrund scheint die jüngste Charme-Offensive Obamas gegenüber Peking dem strategisch durchsichtigen Zweck zu dienen, Rußland und China bestmöglich gegeneinander auszuspielen, indem dem einen durch die sogenannten Raketenabwehrpläne militärisch gedroht wird, während dem anderen eine gedeihliche wirtschaftliche und sonstige Zusammenarbeit zum vermeintlich beiderseitigen Nutzen schmackhaft zu machen versucht wird. Würden sich etwaige Gräben zwischen China und Rußland durch Winkelzüge dieser Art vertiefen lassen, würde aus der Schanghai Kooperationsorganisation (SCO) ein recht zahnloser Tiger werden, noch bevor sich dieser Interessenverband asiatischer Staaten zu einem realen Gegengewicht zur NATO entwickelt und seine volle militärische Potenz entfalten haben könnte. Eine solche Entwicklung kann und wird nicht im Interesse der neuen US-Regierung liegen, zumal auch sie, wie angenommen werden muß, an den von Brzezinski in dankenswerter Offenheit dargelegten Alleinherrschaftsansprüchen festhält.

30. Juli 2009