Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1202: Pulverfaß Zentralamerika - Putschgefahr auch in El Salvador (SB)


Putschdrohungen gegen den gewählten Linkspräsidenten El Salvadors

Die Wunden des Bürgerkrieges können nicht verheilen, weil dieser noch nicht wirklich beendet wurde


Seit dem 1. Juni 2009 regiert in dem ehemaligen Bürgerkriegsland El Salvador Mauricio Funes von der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional, FMLN). Dieser Wechsel im Präsidentenamt markiert weitaus mehr als ein Wechselspiel, wie es in westlichen Staaten zwischen inhaltlich nahezu ununterscheidbaren Großparteien zelebriert wird, um die Vision einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft allen Wählerempfindungen zum Trotz aufrechterhalten zu können. In El Salvador stellt sich die politische Lage nach den im März von der FMLN gewonnenen Präsidentschaftswahlen gänzlich anders dar schon allein deshalb, weil sich das kleine mittelamerikanische Land nach dem 1992 für beendet erklärten Bürgerkrieg in einer Art Schockstarre befand. Von einem demokratischen Neubeginn und einem echten Schlußstrich konnte nicht die Rede sein, da die Oligarchie des Landes, die eine aus ihrer Sicht drohende Linksentwicklung ab 1980 mit militärischen Mitteln bekämpfen ließ, ihre Vormachtstellung konsolidieren und einen "gleitenden Übergang" in die Nach-Bürgerkriegszeit schaffen konnte, ohne die geringsten politischen Einbußen oder auch nur Zugeständnisse hin- bzw. vornehmen zu müssen.

Wie virulent die stillen (militärischen?) Machthaber El Salvadors heute noch sind, läßt sich aus der Tatsache ablesen, daß der gewählte neue Präsident, Mauricio Funes, wenige Tage vor seinem Amtsantritt, genauer gesagt am Tag nach dem am 28. Juni in Honduras erfolgten Militärputsch, durch den Fraktionsvorsitzenden der ARENA-Partei am Telefon offen bedroht wurde. Sollte er - Funes - sich "zu weit vorwagen", erwarte ihn "das gleiche Schicksal" (wie seinen honduranischen Amtskollegen Zelaya). Die ARENA-Partei (Alianza Republicana Nacionalista, in etwa Republikanisch-Nationalistische Allianz), die in El Salvador seit zwanzig Jahren ununterbrochen regiert hatte, war schon während des Wahlkampfes recht aggressiv aufgetreten und hatte mit "harten Maßnahmen" gedroht, sollte sich die FMLN im Falle ihres Wahlsieges als neue Regierung mit Venezuela gutstellen.

Nach demokratischen Geflogenheiten westlichen Stils hört sich das ganz sicher nicht an. Mit der ARENA-Partei auf der einen und der FMLN auf der anderen Seite stehen sich im Grunde die Gegner eines Bürgerkrieges auf nun "politischer" Ebene gegenüber, die ungeachtet des 1992 ausgehandelten Kriegsendes keinen gemeinsamen politischen Konsens aufweisen, weshalb nicht nur aufgrund der telefonisch gegen Funes ausgestoßenen Drohungen von einer latenten Putsch- bzw. Bürgerkriegsgefahr in El Salvador ausgegangen werden muß. Der neue Präsident hat sich, ob in Folge dieser Drohungen oder/und aufgrund eigener strategisch-taktischer Entscheidungen der nun regierenden FMLN, zu einem vorsichtigen Umwandlungskurs entschlossen, ohne jedoch die politische Basis dieser Linkspartei, die in krasser Armut lebende Bevölkerungsmehrheit, zu verprellen.

Sie hat Sofortmaßnahmen ergriffen, die die Notlagen der Ärmsten des Landes auf Anhieb gemildert haben. So wurde eine Notrente für Bedürftige über 55 Jahre in Höhe von 55 US-Dollar eingeführt sowie die Krankenhausgebühr abgeschafft. Ein Programm zur Armutsbekämpfung wurde aufgelegt, desweiteren sollen in den kommenden eineinhalb Jahren 100.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, die öffentlichen Dienste verbessert sowie die Infrastruktur ausgebaut, 25.000 Häuser in den Städten und 20.000 Hütten auf dem Land neugebaut bzw. renoviert werden. Wenngleich es, wie Präsident Funes selbst anmerkte, nach dem ersten 100 Tagen seiner Amtszeit noch viel zu früh ist, um die tatsächliche Effizienz dieser Vorhaben und Programme feststellen zu können, ist doch unverkennbar, daß die Bevölkerung El Salvadors mit ihrem neuen Präsidenten mehrheitlich hochzufrieden ist.

Bei seiner feierlichen Amtseinführung hatte Funes den Wiederaufbau von "Moral und Werten" angekündigt und erklärt, dies bedeute, "eine friedliche und demokratische Revolution durchzuführen, die ein Modell etabliert, in dem das Soziale bestimmt, wie die Wirtschaft organisiert wird". In seiner noch kurzen Amtszeit hat der FMLN-Präsident dieses politisch brisante Vorhaben noch nicht in Angriff genommen, was im Umkehrschluß keineswegs heißen muß, daß die ehemalige Guerilla-Bewegung des Landes grundsätzlich bereit wäre, auf die Annäherung an bzw. den Beitritt zum linken Staatenbündnis ALBA oder gar auf die Aufhebung des 1992 verabschiedeten Amnestiegesetzes zu verzichten. Insbesondere letzteres ist ein Grund dafür, warum die Wunden des Bürgerkrieges, in dem in den Jahren zwischen 1980 und 1992 75.000 Menschen ums Leben gekommen und 6.000 "verschwunden" sind sowie 40.000 zu Invaliden wurden, nicht verheilen können.

"Das salvadorianische Volk mußte einen langen Weg zurücklegen, um diesen Tag zu erreichen. Keine Anstrengung und kein Opfer waren umsonst", erklärte Präsident Funes bei seinem Amtsantritt in Anspielung auf den jahrzehntelangen Kampf der FMLN, die 1980 zu den Waffen gegriffen hatte, um das Volk von dem diktatorisch herrschenden Regime und dessen Todesschwadronen zu befreien. Symbolträchtig hatte Funes vor der Zeremonie auch das Grab des im gleichen Jahr von diesen Gruppen ermordeten Erzbischofs Escar Arnulfo Romero besucht, dessen Ermordung den Bürgerkrieg damals international erst publik gemacht und weltweite Proteste ausgelöst hatte, und diesen als "geistigen Führer" einer neuen Politik und eines neuen Regierungsstils gewürdigt.

Einer der Täter, der salvadorianische und in den USA lebende Ex-Militär Alvaro Saracia, wurde im September 2004 von einem Gericht im US-Bundesstaat Kalifornien zur Zahlung von zehn Millionen US-Dollar "Wiedergutmachung" für dieses "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verurteilt, wie das US-Gericht befunden hatte. Die Forderungen der katholischen Kirche El Salvadors nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens in El Salvador verhallten jedoch wirkungslos, und insbesondere der damalige Präsident und Amtsvorgänger des heutigen FMLN-Präsidenten, Antonio Saca, bezog in dieser Frage eine gänzlich andere Position. Es sei nicht angebracht, so Saca 2004, "die Wunden der Vergangenheit zu öffnen", das bringe in einem Land, "das nach vorne schaut", nichts, und so gäbe es auch keinen Grund, das nach zwölf Jahren Bürgerkrieg verabschiedete (und eine juristische Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen, die zum ganz überwiegenden Teil den Militärs und Paramilitärs zuzulasten sind, verhindernde) Amnestiegesetz aufzuheben.

Die Gründe für diese Positionierung sind leicht zu eruieren, gehört Antonio Saca doch der ARENA-Partei an, die das Land seit Kriegsende ununterbrochen regierte und 1981 von Major Roberto D'Aubisson, der als "Vater" der ultrarechten Todesschwadrone El Salvadors gilt, gegründet wurde. Der inzwischen verstorbene D'Aubisson gilt zudem als geistiger Urheber der Ermordung von Erzbischof Romero; wie also könnte sich ein führender Funktionär der von ihm gegründeten Partei für die Aufhebung des Amnestiegesetzes stark machen? Nach offiziellen Angaben weist El Salvador noch heute eine der höchsten Mordraten der Welt auf mit 61 Morden je 100.000 Einwohnern pro Jahr, was darauf hindeutet, daß der 1992 durch Verhandlungen zwischen der Guerilla und der damaligen Regierung beendete Bürgerkrieg im stillen weitertobt - Tendenz steigend -, nur daß nun die Todesopfer statistisch als Kriminalitätsopfer geführt werden.

Die Regierung von Präsident Funes hat es bislang vermieden, das heiße Eisen "Amnestiegesetz" anzufassen. Da die Lebensverhältnisse der meisten Salvadorianer schlichtweg katastrophal zu nennen sind - 40 Prozent leben in Armut bei einer Arbeitslosenquote von 6,5 Prozent -, hat sie ihre Priorität auf Armutsbekämpfung und Sozialreformen gelegt. Der Konfrontation mit der ARENA-Partei und der durch sie repräsentierten Oligarchie des Landes, um von deren ausländischen Unterstützern gar nicht erst zu sprechen, wird die erste Linksregierung El Salvadors weder aus den Weg gehen können noch wollen, zumal zu befürchten steht, daß ihre Gegner die Putsch- und Bürgerkriegsdrohungen wahrmachen, sobald sie die Lage für sich als erfolgversprechend einschätzen. Es wäre ein Putsch gegen die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, haben doch zuletzt 83,9 Prozent in einer Studie der Technischen Universität UTEC erklärt, positiv zur bisherigen Amtsführung des ersten Linkspräsidenten zu stehen.

15. September 2009