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DILJA/1207: Honduras - Widersprüchlichkeit des Westens tritt offen zu Tage (SB)


Offiziell erkennt die internationale Gemeinschaft Manuel Zelaya als rechtmäßigen Präsidenten von Honduras an

Für die ausgebliebene Forderung nach seiner Rückkehr ins Amt gibt es handfeste Gründe


Nach Angaben der argentinischen Tageszeitung Página 12 sind bei der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste der Anhänger des durch den Militärputsch vom 28. Juni gestürzten und am Montag sozusagen incognito ins Land zurückgekehrten rechtmäßigen Präsidenten Manuel Zelaya gegen das Putschistenregime bislang drei Menschen getötet und dreihundert festgenommen worden, während 35 Verletzte in Krankenhäusern behandelt werden mußten. Die tatsächliche Zahl der Repressionsopfer dürfte noch weitaus höher liegen, ist jedoch selbst für die im Land tätigen Menschenrechtsorganisationen aufgrund der seit der Rückkehr Zelayas am Montag abermals massiven Pressezensur kaum zu ermitteln. "Wir wissen nicht, wie viele Verletzte und ob es Tote gegeben hat", lautete denn auch die Stellungnahme von Bertha Oliva, der Koordinatorin der Menschenrechtsorganisation COFADEH, die in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung bekanntgab, daß ihr Sitz am Nachmittag desselben Tages von Polizeikräften mit Tränengas angegriffen wurde.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation CHAAC wurde am Dienstag in der Stadt San Pedro Sula ein Jugendlicher von der Polizei erschossen, nachdem er Polizeibeamte in einem vorbeifahrenden Streifenwagen als "Putschisten" bezeichnet habe. In Colonia Honduras, einem Stadtteil von Tegucigalpa, soll eine Bewohnerin durch einen Bauchschuß von der Polizei getötet worden sein, nachdem sie Nachbarn, die von der Polizei angegriffen wurden, zu Hilfe eilen wollte. Meldungen dieser Art, auch wenn sie bislang durch unabhängige Quellen in einem Land, dessen Machthaber jede Berichterstattung durch Medien, die sie nicht kontrollieren können, systematisch unterbinden, nicht bestätigt und nicht widerlegt werden können, wären Anhaltspunkte genug für die Staaten der internationalen Gemeinschaft, um die sofortige und bedingungslose Einstellung der polizeilichen und militärischen Maßnahmen des Micheletti-Regimes zu fordern.

Die Behauptung, daß die Rückkehr Manuel Zelayas, die, wie er selbst sagt, in der ständigen Angst vor Entdeckung und unter widrigsten Umständen erfolgte, für das ganze Land eine Bedrohung darstellte, auf die die De-facto-Machthaber in dem Bestreben, die Sicherheit aller Bürger zu gewährleisten, nur mit der Verhängung einer inzwischen bereits zweimal verlängerten Ausgangssperre im ganzen Land reagieren konnten, stellte die tatsächliche Lage im Land vollkommen auf den Kopf.

Wie könnte von Präsident Zelaya, der sich wie ein Flüchtling im eigenen Land unter den Schutz der brasilianischen Botschaft begeben hat, eine "Gefahr" ausgehen, zumal er nach wie vor Dialogbereitschaft mit seinen Kontrahenten bekundet und seine Anhänger zu friedlichen Protesten aufruft? Nimmt man die Erklärungen führender internationaler Staaten inklusive der USA sowie der EU-Staaten, die allesamt bekundet haben, Manuel Zelaya sei der rechtmäßige Präsident Zelayas, für bare Münze, mutet das Verhalten dieser Staaten nicht nur seltsam, sondern in seiner bizarren Widersprüchlichkeit schon wieder eindeutig an.

Man stelle sich nur einmal folgendes - völlig fiktives und wirklichkeitsfremdes - Szenario vor: In einem skandinavischen Staat, sei es Schweden, kommt es zu einem Staatsstreich gegen die gewählten Ministerpräsidenten, dem die Putschisten vorwerfen, einen Verfassungsbruch begehen zu wollen. Dieser Staatsstreich wird von den übrigen Staaten der Welt einhellig verurteilt, gegen die neuen Machthaber werden gewisse Sanktionen verhängt. Drei Monate später gelingt es dem gestürzten und gewaltsam außer Landes verbrachten Ministerpräsidenten, auf Schleichwegen in die Hauptstadt seines Landes zurückzukehren, wo er wie auch im ganzen Land von seinen Anhängern wie auch allen Demokraten enthusiastisch gefeiert wird.

Die Usurpatoren denken jedoch noch immer nicht daran, die Regierungsmacht an ihn zurückzugeben und setzen Polizei und Militär gegen die protestierende Bevölkerung ein. Die führenden Staaten der internationalen Gemeinschaft bringen es in dieser Situation nicht fertig, die Rückkehr des gestürzten Ministerpräsidenten in sein Amt zu fordern, sondern rufen, so als stünden sich hier zwei gleichberechtigte und gleichstarke Parteien auf Augenhöhe gegenüber, alle Beteiligten zur Besonnenheit auf. Wer würde da nicht argwöhnen und schlußfolgern, daß diese Staaten, ihren eigenen Bekundungen zum Trotz, insgeheim mit den Putschisten im Bunde stehen und diesen, soweit es ihnen möglich ist, zuarbeiten?

Nicht anders verhalten sich die führenden westlichen Staaten seit dem Staatsstreich in Honduras, wobei sie diese ambivalent anmutende und doch letzten Endes eindeutige Haltung keineswegs erst seit der überraschend am Montag erfolgten Rückkehr Zelayas an den Tag legen. Da das Micheletti-Regime nun allerdings "blank zieht" und jeden demokratischen Tarnanstrich fallenläßt bzw. fallenlassen zu müssen glaubt, tritt die Widersprüchlichkeit auf Seiten der USA sowie der EU-Staaten nur umso krasser und augenfälliger zu Tage. Von ihnen ist der einfache Satz: "Wir fordern Roberto Micheletti auf, das von ihm okkupierte Präsidentenamt unverzüglich an Manuel Zelaya zu übergeben, da dieser sich bereits in der Hauptstadt befindet", nicht zu vernehmen, wofür es selbstverständlich handfeste, in ihrer Teilhaberschaft zu verortende Gründe gibt.

Die UN-Vollversammlung hingegen sprach sich für eine Wiedereinsetzung Zelayas in sein Amt aus. Augenscheinlich haben es die USA wie auch die EU-Staaten für unschicklich oder vielmehr taktisch unklug gehalten, in diesem Gremium dem Micheletti-Regime die Stange zu halten; schließlich haben sie ihre finanzielle Unterstützung für das von Putschisten beherrschte Honduras auch reduziert, um angesichts der im übrigen weltweit einhelligen Verurteilung dieses Militärputsches nicht das Gesicht zu verlieren. Wäre es ihnen jemals ernst gewesen mit ihrer Ablehnung der sogenannten "Interimsregierung" um Roberto Micheletti, wäre die Forderung nach einer Rückkehr Zelayas ins Amt, nun, da der Präsident wieder in Tegucigalpa ist, schlechterdings ohne Alternative und eine Minimalanforderung an jeden, der den Anspruch erhebt, sich für demokratische Verhältnisse in Honduras einzusetzen.

US-Außenministerin Hillary Clinton, durch und durch Diplomatin, erklärte zwar nach Zelayas Rückkehr ins Land, diese sei "eine Chance, die Krise in Honduras politisch zu lösen", vermied jedoch tunlichst, die Forderung nach seiner Rückkehr auch ins Präsidentenamt zu erheben. Nicht anders verhält sich die Europäische Union, die in einer Erklärung ihrer schwedischen Ratspräsidentschaft folgendermaßen Stellung nahm [2]:

Mit Blick auf die Rückkehr von Präsident Zelaya nach Tegucigalpa unterstreicht die Präsidentschaft der Europäischen Union die Bedeutung einer Verhandlungslösung für die gegenwärtige Krise in Honduras. Die Europäische Union ruft alle Beteiligten auf, von Aktionen abzusehen, durch welche die Spannungen und Gewalt verschärft werden können. Die Präsidentschaft erklärt ihre volle Unterstützung für die Anstrengungen der Organisation Amerikanischer Staaten und unterstützt die von Generalsekretär Insulza unternommenen Initiativen, um den Dialog und die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Honduras zu erleichtern.

Auch hier sucht man schlichte Worte, durch die Micheletti zur Aufgabe aufgefordert und ihm abverlangt wird, das Präsidentenamt für Zelaya zu räumen, vergeblich. Diese von den USA und der EU faktisch eingenommene Haltung trägt allerdings ganz erheblich dazu bei, daß sich Honduras auf einen Bürgerkrieg zubewegen könnte. Wenn der rechtmäßig gewählte und gewaltsam gestürzte Präsident eines demokratischen Landes, der, gemessen an den Massenprotesten im ganzen Land, offensichtlich noch immer über einen großen Rückhalt in der Bevölkerung verfügt, mit militärischer Gewalt - die brasilianische Botschaft, in der er sich aufhält, wurde nicht nur vom honduranischen Militär abgeriegelt, ihr wurden die Wasser- und Stromzufuhr gekappt sowie Telefonverbindungen abgeschnitten - schon daran gehindert wird, sich im Land frei zu bewegen, um von der Ausübung seines Amtes ganz zu schweigen, wirft dies ein bezeichnendes Schlaglicht auf alle Staaten, die dazu nicht eindeutig Stellung nehmen.

Wie eine unmißverständliche Stellungnahme aussehen könnte, ist einer Erklärung der "Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas" (ALBA) [2] zu entnehmen, in der es nach der Rückkehr Zelayas nach Honduras unter anderem hieß:

Die Regierungen der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA) unterstützen die Rückkehr von Präsident Manuel Zelaya in sein Heimatland und rufen die internationale Gemeinschaft auf, die Entscheidung des legitimen und verfassungsgemäßen Präsidenten der Republik Honduras zu unterstützen, sein Präsidentenamt wieder zu übernehmen.

Die Rückkehr von Präsident Manuel Zelaya nach Honduras erfüllt die von der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas, der Vollversammlung der Vereinten Nationen, der Organisation Amerikanischer Staaten, der Rio-Gruppe und anderen verabschiedeten Beschlüsse und ebnet den Weg für die Wiederherstellung der Demokratie in Honduras, die durch den Putsch vom 28. Juni schwer beschädigt wurde.
(...)

Je länger die auch hier eingeforderte Unterstützung der "internationalen Gemeinschaft" für die Bemühungen Präsident Zelayas, in sein Amt zurückzukehren, ausbleibt, umso deutlicher tritt deren stille Kumpanei zu Tage. Allein dies stellt einen ersten und in seinen Auswirkungen kaum zu unterschätzenden Erfolg der beschwerlichen Rückkehr Zelayas nach Honduras dar, da es den westlichen Staaten durch die nun bereits aufgebrochene offene Repression, die mehr und mehr den Vergleich zum Chile unter General Pinochet herausfordert, zunehmend unmöglich gemacht wird, ihre tatsächlichen Absichten und Handlungen hinter wohlfeilen Worten zu verbergen.

Anmerkungen

[1] Illegale und willkürliche Maßnahmen, Kommunique der Menschenrechtsorganisation COFADEH über die aktuelle Lage in Honduras, von Klaus E. Lehmann (Übersetzung), amerika21.de, 22.09.2009

[2] Zitiert aus: Zur Rückkehr von Manuel Zelaya, Abgeschrieben, junge Welt, 23.09.2009, S. 8

23. September 2009