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DILJA/1214: Steht Lateinamerika am Vorabend eines Krieges "gegen links"? (SB)


Venezuelas Präsident Hugo Chávez rechnet mit einem militärischen Angriff auf sein Land durch Kolumbien und die USA

Ein Krieg in Lateinamerika wäre ein Krieg "gegen links"


Die Spannungen in Lateinamerika haben mit der Unterzeichnung des auf dem gesamten Kontinent stark kritisierten Abkommens zwischen der rechtsgerichteten Regierung Kolumbiens und den USA, durch das das US-amerikanische Militär autorisiert wird, in den nächsten zehn Jahren insgesamt sieben Militärbasen auf kolumbianischem Territorium zu errichten und zu nutzen, erheblich zugenommen. In Lateinamerika wird kaum jemand den Verlautbarungen der beiden Vertragspartner Glauben schenken, denenzufolge die damit erheblich ausgeweitete Militärpräsenz der USA dem Zweck der Drogen- bzw. Terrorismusbekämpfung dienen solle. Venezuela sieht sich als direktes Nachbarland mit einer 2000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze unmittelbar bedroht und reagierte auf das nun unterzeichnete Abkommen bereits mit der zusätzlichen Stationierung von 15.000 Soldaten im Grenzgebiet.

Am vergangenen Sonntag rief Präsident Hugo Chávez in seiner allwöchentlichen Fernsehsendung "Aló Presidente" die Bevölkerung seines Landes sowie das Militär dazu auf, sich auf einen möglichen Krieg vorzubereiten. "Sich darauf vorzubereiten, ist der beste Weg, den Krieg zu vermeiden", so Chávez, der zugleich davor warnte, daß sich ein bewaffneter Konflikt zwischen Venezuela und Kolumbien "auf den ganzen Kontinent ausweiten" könnte. Diese Befürchtung ist weder gegenstandslos noch überzogen, zumal das zwischen Bogotá und Washington geschlossene Militärabkommen der beste Beweis dafür ist, daß die Achse USA/Kolumbien als Speerspitze einer internationalen Elite in Erscheinung zu treten im Begriff steht, um nicht nur einen unliebsamen Präsidenten, sondern einer politischen Entwicklung auf dem gesamten Kontinent Einhalt zu gebieten - mit notfalls militärischen Mitteln.

Und dieser "Notfall" scheint aus Sicht der von den USA angeführten internationalen Gemeinschaft der führenden kapitalistischen Staaten längst eingetreten zu sein. In Lateinamerika sind die politischen Verhältnisse in den einzelnen Ländern wie auch im Gesamtkontext längst der Kontrolle der westlichen Hegemonialmächte USA und EU entzogen. Kolumbien steht, von wenigen weiteren Ausnahmen abgesehen, als Vasall des US-Imperialismus in recht isolierter Position und kann gar nicht vermeiden, von den übrigen Staaten bzw. ihren Regierungen und Bevölkerungen auch als solcher wahrgenommen zu werden. Da fruchten Erklärungen dergestalt, daß das auf dem ganzen Kontinent als möglicher Destabilisierungsfaktor abgelehnte Militärabkommen der Drogen- bzw. Terrorismusbekämpfung dienen solle, herzlich wenig, zumal sie durch das Verhalten der Regierung Uribe selbst konterkariert werden.

Diese unterließ es tunlichst, die von Brasilien geforderte Garantieerklärung, daß sich die Operationen des US-Militärs auf kolumbianisches Territorium beschränken werden, abzugeben, was bereits dazu führte, daß sich die Regierung des mit Abstand größten Landes Lateinamerikas bedroht sieht und deshalb die atomare Bewaffnung der eigenen Streitkräfte in Erwägung zieht. Die USA ihrerseits haben auch dazu beigetragen, die bestehenden Irreführungen über das Abkommen mit Bogotá aufzuklären. So wurde unlängst ein an den US-Kongreß gerichtetes Papier der US-Luftwaffe bekannt [1], in dem diese die Vorzüge der Luftwaffenbasis Palanquero (in Kolumbien) durch die Erklärung bekräftigte, daß dieser Stützpunkt, dessen Modernisierung Kosten in Höhe von 46 Millionen US-Dollar verursachen wird, "den Zugang zum gesamten Kontinent, mit Ausnahme von Cap Hoorn", garantiere. Warum, so muß gefragt werden, strebt die US-Luftwaffe einen solchen "Zugang" zu Zielen auf dem gesamten Kontinent an, wenn sie doch angeblich nur Drogenhändler und Guerilleros in Kolumbien jagen will?

Glaubwürdig ist dies nicht. Zu dem seit langem angespannten Verhältnis zwischen Kolumbien und Venezuela hat Präsident Chávez auf seiner Rede vor der UN-Generalversammlung Anfang Oktober Stellung genommen und dabei den Widersinn der Worte seines US-amerikanischen Amtskollegen Barack Obama deutlich gemacht, der von "Frieden" spricht, während er die Militarisierung der Konflikte in Lateinamerika durch das mit Kolumbien getroffene Abkommen vorantreibt [2]:

Denkt Präsident Obama etwa daran, seine zweite Säule, die Suche nach Frieden, mit sieben zusätzlichen Militärbasen in Kolumbien zu verfolgen? Diese sieben Militärbasen sind eine Bedrohung, nicht nur für den möglichen Frieden in Kolumbien, sondern für den Frieden in Südamerika. Wir, die Regierungen Südamerikas, haben recht, wenn wir alle jeweils in unserer eigenen Weise und der uns eigenen Intensität unsere große Sorge über die Errichtung dieser sieben Gringo-Militärbasen auf kolumbianischem Gebiet ausgedrückt haben. Hier klage ich an und fordere von Präsident Obama, er möge nachdenken und seine Säulen durchsetzen. Fördern wir den Frieden!

Ein Krieg zwischen Kolumbien und seinen unmittelbaren Nachbarländern wäre aller Voraussicht nach kein Konflikt zwischen womöglich hitzköpfigen Präsidenten. Er wäre auf seiten Kolumbiens mit Sicherheit ein Stellvertreterkrieg, in dem Bogotá sich zum Erfüllungsgehilfen ausländischer Interessen machen würde, die ihre Hegemonialbestrebungen durch die Linksentwicklung des gesamten Kontinents gefährdet sehen. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez ist keineswegs der Initiator dieser "Revolution", wohl aber einer ihrer Wortführer und Protagonisten. In seiner Rede vor den Vereinten Nationen, aus der hier abschließend in kurzen Auszügen zitiert wird, stellte Chávez klar, daß die USA und die EU gut daran täten, sich dieser Entwicklung anzuschließen. Wiewohl der venezolanische Präsident in dieser Rede mit keiner Silbe die Verteidigungsbereitschaft, zu der er die Bevölkerung seines Landes jetzt aufgerufen hat, erwähnte, steht doch außer Frage, daß die Friedfertigkeit der lateinamerikanischen Revolution keineswegs bedeutet, sich einem militärischen Angreifer widerstandslos zu unterwerfen.

Die folgenden Sätze mögen Anlaß genug bieten, um die in den westlichen Staaten vorherrschende Auffassung, im heutigen Venezuela sowie der Bolivarianischen Revolution sei eine Bedrohung zu sehen, einer kritischen Überprüfung zu unterziehen [2]:

Wir sind Millionen, und nichts und niemand kann diese große südamerikanische, lateinamerikanische und karibische Revolution aufhalten. Ich denke, die Welt sollte sie unterstützen. Die USA sollten diese Revolution unterstützen, Europa sollte diese Revolution unterstützen, denn diese Revolution ist, und das haben einige Brüder und Schwestern noch nicht gemerkt, der Beginn des Weges zur Rettung dieses Planeten, zur Rettung der vom Kapitalismus, vom Imperialismus, von Krieg und Hunger bedrohten menschlichen Gattung. Es ist die notwendige Revolution. Seit Jahrhunderten wurden wir "die Neue Welt" genannt. Ja, die neue Welt, heute können wir sie so nennen. Die neue Welt wird gerade geboren. (...)

Gestern haben wir - von Obama angefangen über Lula, Sarkozy, Ghaddafi, Cristina - den Ruf nach Veränderung gehört. Aber was für Veränderungen? Im Kapitalismus ist Veränderung nicht möglich. Glauben wir den Lügen nicht. Nur im Sozialismus werden wir wirkliche Veränderungen erreichen, und die Revolution in Lateinamerika trägt einen zutiefst sozialistischen Inhalt in sich, (...) ein neuer Sozialismus, der nicht die Kopie oder Nachahmung von irgendwas ist. Es gibt keine Bedienungsanleitungen darüber, wie man Sozialismus macht, man muß ihn erfinden, er ist heldenhafte Schöpfung (...).

Habt keine Angst vor der Demokratie! (...) Die Eliten haben Angst vor den Völkern, sie haben Angst vor der wirklichen Demokratie, die Abraham Lincoln, dieser andere große Märtyrer, klar mit drei Konzepten definiert hat: Regierung des Volk, Regierung durch das Volk, Regierung für das Volk. Nicht die Regierung der Bourgeoisie, die Regierung der Elite, und wenn das Volk aufsteht, rufen sie die Gorillas.

Das ist es, was in Honduras passiert ist, und was in Venezuela 2002 passierte, was in Brasilien mit Joao Goulart geschah und was in der Dominikanischen Republik passierte. Warum wurde dem Volk Lateinamerikas und der Karibik im 20. Jahrhundert nicht erlaubt, seinen eigenen Weg zu wählen? Sie haben es uns nicht erlaubt. Dieses Jahrhundert ist unser Jahrhundert. In diesem Jahrhundert werden wir in Lateinamerika und der Karibik unseren eigenen Weg bauen, und niemand, wirklich niemand, wird das verhindern können.

Der Imperialismus muß beseitigt werden. (...) Obama hat gestern gesagt, daß man keinem Volk irgendein politisches System aufzwingen dürfe, daß jedes Volk und seine Souveränität respektiert werden müssen. Und nun, Präsident Obama? Worauf warten Sie noch, um die Aufhebung der brutalen und mörderischen Blockade Kubas anzuordnen?

(...) Die Wirtschaft. Wir sagen Sozialismus, aber diskutieren wir die Indikatoren, die Modi, die Produktionsweisen. Wie gestern Präsident Obama in seiner vierten Säule gesagt hat: "Wir brauchen eine Wirtschaft im Dienste des Menschen". Gut, Obama, das heißt Sozialismus. Obama, komm zum Sozialismus, wir laden dich ein auf die "Achse des Bösen". Obama, komm auf die Achse des Bösen und beginnen wir, eine Wirtschaft aufzubauen, die wirklich im Dienst des Menschen steht. Das geht nicht im Kapitalismus, im Kapitalismus ist das unmöglich. Der Kapitalismus dient einer Minderheit und schließt die Mehrheit aus, und außerdem zerstört er die Umwelt, zerstört er das Leben. Das ist der Kapitalismus.

Anmerkungen

[1] Proteste gegen US-Militärs in Kolumbien. Friedensorganisationen demonstrieren vor Luftwaffenbasis Palanquero. Venezuela verstärkt Militärpräsenz an Grenze, von Harald Neuber, 5.11.2009, amerika21.de

[2] Komm zur Achse des Bösen. Dokumentiert. Rede des Präsidenten der Bolivarischen Republik Venezuela, Hugo Chávez, bei der 64. Vollversammlung der Vereinten Nationen, junge Welt, 5.10.2009, S. 10

9. November 2009