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DILJA/1247: Mordkomplottvorwürfe - Neuer Affront Spaniens gegen die Regierung Venezuelas (SB)


Mordkomplott - Madrid fährt schweres diplomatisches Geschütz gegen Venezuela auf

Spanischer Ermittlungsrichter plaziert vermeintliche "Erkenntnisse" über eine Beteiligung der Regierung Chávez an angeblichen Mordplänen gegen kolumbianische Politiker


"Im Falle einer Aggression gegen Argentinien wird die Schwester-Republik diesmal nicht allein sein." Mit diesen Worten brachte Hugo Chávez, Präsident der Bolivarischen Republik Venezuela, die Haltung seiner Regierung wie auch die der lateinamerikanischen Staaten in ihrer fast ausnahmslosen Gesamtheit im aktuellen Konflikt zwischen Argentinien und Britannien um die von den Briten beanspruchten Malwinen am Südzipfel Südamerikas zum Ausdruck. Bei einem Treffen der 32 Staaten der Rio-Gruppe im mexikanischen Cancún stellten diese sich geschlossen hinter die, wie Mexikos Präsident Felipe Calderón es ausdrückte, "legitimen Rechte der Argentinier im Streit mit Großbritannien". Boliviens Staatspräsident Evo Morales brachte die solidarische Geschlossenheit der karibischen und lateinamerikanischen Staaten in der Erklärung auf den Punkt, daß sich "ganz Lateinamerika und die Karibik mit Argentinien vereinigen wird, um die Islas Malvinas zu verteidigen". Die Imperien, so auch das britische, seien gescheitert, stellte der Präsident Boliviens desweiteren klar.

Dies sind Worte, die in eben diesen Imperien, die selbstverständlich durch die Bank weg bestreiten (müssen), solche zu sein, nicht gern vernommen werden. Aus US- und EU-imperialistischer Sicht stellt dieses neue Lateinamerika mittlerweile eine einzige Problemzone dar, zumal aus den Erklärungen vieler Staatspräsidenten ein neues Selbstbewußtsein abzulesen ist, das auf der realen Basis einer einseitig und unumkehrbar vollzogenen Lösung kolonialer und postkolonialer Fesseln beruht und gerade deshalb aus Sicht der ehemaligen Kolonialmächte mit einem rapiden und unaufhaltsam voranschreitenden Kontrollverlust einhergeht. Auf dem letzten Gipfel der Rio-Gruppe wurde zudem unter Ausschluß der USA und Kanadas die Gründung eines neuen, sämtliche Staaten der Karibik sowie Zentral- und Südamerika umfassenden Bündnisses beschlossen, was Venezuelas Staatspräsident Chávez explizit befürwortete, weil Lateinamerika damit der Kolonialisierung durch die USA entgegentrete.

In den USA und Europa, und dort vor allem auch in Spanien ist die Bereitschaft, das Ende von Kolonialismus und Postkolonialismus faktisch anzuerkennen, in den Reihen der maßgeblichen Eliten allerdings nicht besonders weit verbreitet. So wurde am 12. Oktober vergangenen Jahres in Spanien der 517. Jahrestag der Landung von Christoph Kolumbus im Jahre 1492, der als Tag der "Entdeckung Amerikas" in die koloniale Geschichtsschreibung eingegangen war, feierlich begangen, während der 12. Oktober in etlichen Staaten Lateinamerikas, so beispielsweise in Venezuela als "Tag des indigenen Widerstandes" auf betont antikoloniale Weise begangen wird. Die frühere Kolonialmacht Spanien hingegen hielt an ihrem "Tag der Hispanität" (12. Oktober) fest. Franco-Anhänger demonstrierten an diesem Tag in mehreren Städten Spaniens und zum Teil, so beispielsweise im baskischen Iruña (spanisch: Pamplona), unter dem Schutz der Polizei vor protestierenden Gegendemonstranten, für die Großmachtsansprüche der einstigen Weltmacht (Spanier zuerst).

Aus Sicht Spaniens wie auch der übrigen westlichen Staatengemeinschaft, die die Geschicke der gesamten Menschheit zu dominieren und zu kontrollieren beansprucht und sich, mit dem inoffiziellen Titel "internationale Gemeinschaft" geschmückt, als Welthegenom zu etablieren sucht, liegt die Versuchung nahe, in der Person des venezolanischen Präsidenten so etwas wie einen primären Unruhestifter zu vermuten. Die jüngsten Anwürfe eines spanischen Untersuchungsrichters gegen die amtierende Regierung Venezuelas können wohl nur in diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund des hier angedeuteten Konfliktes verstanden und bewertet werden, zumal sie in juristischer Hinsicht auf so dünnen bis nicht existenten Beinen stehen, daß sie in jedem anderen Zusammenhang ihre Urheber der Lächerlichkeit preisgegeben hätten.

Eloy Velasco, Richter am Real Audiencia Española, dem spanischen Sondergericht für Terror- und Drogendelikte, hatte am Montag einen Bericht veröffentlicht, in dem der Regierung Chávez die Beteiligung an mutmaßlichen Mordkomplotten gegen kolumbianische Politiker, die angeblich von Angehörigen der baskischen Untergrundorganisation "Euskadi Ta Askatasuna" (ETA, Baskenland und Freiheit) wie auch der kolumbianischen Linksguerilla "Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) hätten durchgeführt worden sollen, vorgeworfen wird. Aus einer Anklageschrift, die der Ermittlungsrichter in Madrid vorlegte, geht hervor, daß die kolumbianische FARC in Spanien mit Unterstützung der baskischen ETA den kolumbianischen Staatspräsidenten Alvaro Uribe wie auch dessen Amtsvorgänger Andrés Pastrana umbringen wollte. Weitere Zielpersonen des Mordkomplotts seien Velasco zufolge die frühere Botschafterin Kolumbiens in Spanien, Noemí Sanín, der frühere Präsidentschaftskandidat Kolumbiens, Antanas Mockus sowie der derzeitige Vizepräsident, Francisco Santos, gewesen.

Daß die Mordpläne allesamt nicht zur Ausführung gelangten, wenn es sie denn überhaupt gegeben hat, ficht die Bereitschaft führender westlicher Medien, die Bezichtigungen als bare Münze zu nehmen und weiterzuverbreiten, als handele es sich bei ihnen um zweifelsfrei bewiesene Tatsachen, nicht an. Spiegel online stellte insbesondere die von dem spanischen Richter, der ebenfalls am Montag gegen sechs mutmaßliche Mitglieder der ETA und sieben der FARC internationale Haftbefehle erließ, ebenfalls behauptete Beteiligung der Regierung Venezuelas als vermeintliche Tatsache dar [1]:

Die Vorwürfe der spanischen Justiz bergen enormen politischen Sprengstoff: Ermittler haben Kenntnisse, dass Venezuela in ein Komplott zur Ermordung von Kolumbiens Staatschef Alvaro Uribe verstrickt ist. Die baskische Terror-Organisation Eta und die kolumbianische Farc-Guerilla hätten bei ihren Attentatsplänen mit den Regierung in Caracas "zusammengearbeitet", erklärte der spanische Untersuchungsrichter Eloy Velasco am Montag in Madrid.

Zwischen Spanien und Venezuela kam es aufgrund dieser richterlichen Anschuldigungen umgehend zu diplomatischen Spannungen. Madrid forderte Präsident Chávez zu einer umgehenden Stellungnahme auf. Dieser Aufforderung kam Chávez nach und erklärte in Montevideo, der Hauptstadt Uruguays, nach einer Unterredung mit dem dortigen, neu ins Amt gekommenen Linkspräsidenten José Mujica, daß seine Regierung weder die ETA noch die FARC unterstütze. Doch damit hatte die Angelegenheit nicht ihr Bewenden. Wie der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero am Rande eines Treffens mit der deutschen Bundeskanzlerin in Hannover erklärte, werde Spanien seine weitere Reaktion von der Antwort aus Caracas abhängig machen. Ein offizielles Kommuniqué des venezolanischen Ministeriums der Volksmacht für Auswärtige Angelegenheiten liegt inzwischen vor. Darin heißt es in einer freien Übersetzung der Botschaft Venezuelas in Berlin [2] unter anderem:

In der genannten Anklageerhebung wird auf einen Bürger Bezug genommen, der seit Mai 1989 im Ergebnis der damals durch Carlos Andrés Pérez und Felipe González erzielten Vereinbarungen in Venezuela lebt. Es überrascht, dass zu keinem Zeitpunkt die Namen der Urheber dieser Vereinbarung erwähnt werden, während der Richter sich aber die Mühe macht, wiederholt und respektlos auf den Präsidenten der Venezolaner, Hugo Chávez, Bezug zu nehmen, wobei er gleichermaßen befangene wie leere Behauptungen über die Bolivarische Regierung aufstellt.

Die gesamten von diesem Richter formulierten Befragungen sind das Ergebnis der Verwendung von Dateien aus dem Computer, der angeblich bei Raúl Reyes während der Militäroperation sichergestellt wurde, die die illegale Bombardierung des ecuadorianischen Territoriums beinhaltete und bei der Dutzende Personen massakriert wurden.

Der hier erwähnte Bürger wird seitens der spanischen Ermittler sowie vieler westlicher Medien als Lateinamerika-Verantwortlicher der ETA, dem die Kooperation mit der FARC oblag, bezeichnet. Tatsächlich jedoch haben die spanischen Behörden gegen ihn bislang weder Anklage erhoben noch die Auslieferung beantragt, was sie schon hätten tun können, bevor im Jahre 1989 der damalige spanische Ministerpräsident Felipe Gonzáles und der damalige Präsident Venezuelas, Carlos Andrés Pérez, sich über dessen weiteren Aufenthalt in Venezuela verständigten. Während in der westlichen Presse Schlagzeilen die Runde machen, denen zufolge die heutige Regierung in Mordkomplotte gegen kolumbianische Politiker in Spanien verwickelt sei, wird die Frage, auf welchen Grundlagen Richter Velasco seine politisch schwerwiegenden Anschuldigungen überhaupt erhoben hat, wohlweislich gar nicht erst gestellt.

Die vorgebliche Erklärung ist so dürr, daß sie, wie anzunehmen ist, nicht zu solchen, in ihrer weiteren Eskalation noch unabsehbaren Folgen hätte führen können, läge ihr nicht die politische Absicht, das heutige Venezuela und seinen Präsidenten, stellvertretend für die im Westen verhaßte Linksentwicklung ganz Lateinamerikas, zu diskreditieren. Die vermeintlichen Fakten sollen allesamt aus einem Computer stammen, der dem FARC-Kommandeur Raul Reyes zugeordnet worden war, nachdem dieser und weitere Menschen durch einen mit US-amerikanischer Unterstützung durchgeführten Luftangriff des kolumbianischen Militärs im benachbarten Ecuador 2008 getötet worden war. Jedes Schulkind weiß, daß Datenträger beliebig manipuliert werden können, weshalb elektronische Beweismittel internationalen Vereinbarungen zufolge bestenfalls dann als solche anerkannt werden können, wenn sie direkt in die Hände der Staatsanwaltschaft gelangen. Davon kann im Fall des vermeintlich Reyes gehörenden Laptops nicht die Rede sein, weshalb die vermeintlichen Erkenntnisse, auf denen die schweren aktuellen Bezichtigungen gegen Venezuela fußen, bei seriösen Untersuchungen als gegenstandslos und unverwertbar behandelt werden müßten.


Anmerkungen

[1] Terror-Ermittlungen, Venezuela soll Mordplan gegen Uribe unterstützt haben, 01.03.2010, Spiegel online,
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,681045,00.html#ref=rss

[2] Bolivarische Regierung bezeichnet Richterspruch der Real Audiencia Española als inakzeptabel und befangen, Kommuniqué vom 2. März 2010, Botschaft der Bolivarischen Republik Venezuela in der Bundesrepublik Deutschland, Schillstr. 9-10, 10785 Berlin
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LATEINAMERIKA/1077: Kommuniqué der Bolivarischen Republik Venezuela, 02.03.10

3. März 2010