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DILJA/1267: Südamerikanische Union droht der EU mit Gipfelboykott - wegen Honduras (SB)


Boykottankündigung gegen den EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid

Die Staaten der Südamerikanischen Union akzeptieren die Anwesenheit des honduranischen Putschpräsidenten Porfirio Lobo nicht


Pflichtschuldigst hatten sowohl die USA als auch die Europäische Union, wenn auch mit Ausnahme einer der beiden späteren deutschen Regierungsparteien, der FDP, im vergangenen Sommer den Putsch gegen den Präsidenten des mittelamerikanischen Staates Honduras, Manuel Zelaya, verurteilt. Nichts anderes stand zu Gebote, wollten sie nicht Gefahr laufen, in ganz Zentral- und Südamerika, aber auch allen anderen Regionen der Welt, als stille Förderer und Nutznießer gewaltsamer Umsturzbewegungen identifiziert zu werden, die "Demokratie" immer dann großschreiben, wenn es ihren Hegemonialinteressen zweckdienlich ist, und mit Füßen treten (lassen), wenn ihrer Meinung nach Korrekturen in der politischen Führung eines Landes unabwendbar geworden sind. Eben dies war in Honduras der Fall gewesen einzig und allein deshalb, weil Präsident Zelaya das Land in das antikolonialistische Staatenbündnis ALBA geführt sowie erste Vorbereitungen getroffen hatte, die für eine Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.

All dies ist ebenso sattsam bekannt wie die weitere Entwicklung in Honduras, wo nicht nur der rechtmäßige Präsident mit Militärgewalt gestürzt und außer Landes verbracht wurde, sondern eine De-facto-Diktatur installiert wurde, der bis heute jegliche demokratische Legitimität fehlt. Hatte mit Roberto Micheletti zunächst ein "Interimspräsident" regiert, dem der Stallgeruch des Putschisten unverkennbar anhaftete, wurden im November, selbstverständlich unter der politischen Kontrolle der Putschisten, Wahlen abgehalten, aus denen der Unternehmer Porfirio Lobo als "Sieger" hervorging. Auf dieser Basis trat Lobo im Januar das Präsidentenamt an in einem Land, in das die überwunden geglaubte Zeit offener Militärdiktaturen, wie sie in den Staaten Lateinamerikas in den 1960er bis 1980er Jahren weit verbreitet und berüchtigt gewesen waren, mit dem Putsch gegen Zelaya vom 29. Juni 2009 zurückgekehrt war.

Die politische Opposition wurde mit allen Mitteln der Repression inklusive politischer Morde, willkürlicher Verhaftungen, Folterungen und dem "Verschwindenlassen" unliebsamer Regimegegner bekämpft und an ihrer politischen Entfaltung zu hindern gesucht. Namentlich Medienvertreter gingen bei ihrer Arbeit ein hohes persönliches Risiko ein, da es für die neuen Machthaber in Tegucigalpa von besonders großer Wichtigkeit war, daß das tatsächliche Ausmaß der von ihnen errichteten Diktatur gegenüber der internationalen Presse und damit der sogenannten Weltöffentlichkeit nicht vermittelt werden konnte. So sind neben weiteren bekannten Aktivisten der breiten Front der Zelaya-Unterstützer honduranische Journalisten in einem so hohen Maß zu Opfern politisch motivierter Morde geworden, daß "Reporter ohne Grenzen" das Land im April zum "tödlichsten Land für Journalisten" erklärt hat.

Allein im März sind fünf Medienvertreter getötet worden. Weitere haben Drohungen erhalten, so daß sie sich gezwungen sahen, das Land zu verlassen. Der Amtsantritt Lobos hat an dieser Realität nicht das Geringste zu ändern vermocht. Die vermeintlichen Bemühungen seitens der Strafverfolgungsbehörden, diese Morde, von denen die Regierung behauptet, daß es sich um normale Kriminalität handeln würde, aufzuklären, haben seit dem Putsch nicht in einem einzigen Fall zu Resultaten geführt. Das Land und die in ihm lebende Bevölkerungsmehrheit, die erleben mußte, daß die führenden westlichen Staaten ihren verbalen Protesterklärungen keinerlei Maßnahmen folgen ließen, die das Regime in seinem Bestand ernstlich geschwächt hätten, leben nach wie vor in "bleiernen Verhältnissen" und in der allgegenwärtigen Angst vor Todesschwadronen, deren Opfer zu beklagen sind, ohne daß ihre Existenz - wie auch? - nachgewiesen werden könnte, liegt doch die Kontrolle über dementsprechende Ermittlungen in den Händen derer, die ihre Macht im Staate gerade auf diese Weise konsolidieren wollen.

Viele Staaten der Region haben sich zwar mit Präsident Zelaya und zugleich mit der Demokratiebewegung von Honduras solidarisch erklärt und dieser Erklärung auch, so weit ihnen möglich, Taten folgen lassen. Da namentlich die USA, aber auch die stillen EU-Partner entgegen ihrer offiziellen Verlautbarungen nicht ernsthaft ihre stützenden Hände von den neuen Machthabern in Tegucigalpa abzogen, wurden diese in der Annahme gestärkt, daß die "Zeit" schon für sie arbeiten, sich der internationale Druck früher oder später legen und die Staatengemeinschaft in ihren Protesten endgültig erlahmen würde, auf daß alle (am Putsch) Beteiligten zu ihrer Tagesordnung übergehen können. So oder ähnlich muß der Plan gelautet haben, der auch in Brüssel beherzigt wurde. Die EU ließ im Februar ihre letzten Hüllen fallen, indem sie Lobo als Präsidenten anerkannte, wie es die USA und Spanien schon unmittelbar nach den Wahlen im November getan hatten.

Innerhalb der Staaten Mittel- und Südamerikas stellte sich die Situation jedoch gänzlich anders dar. Hier haben allein Kolumbien und Peru Lobo als angeblich rechtmäßigen Präsidenten von Honduras anerkannt. Diese beiden Staaten nehmen eine Außenseiterrolle ein im Gefüge einer die gesamte Region betreffenden Entwicklung, die den westlich kapitalistischen Staaten ein Dorn im Auge sein muß, weil sie auf diesem Wege ihrer postkolonialen Einflüsse verlustig gehen. Wie weit die tatsächliche Beendigung der zumeist unsichtbaren und gleichwohl nach der Periode der sogenannten Entkolonialisierung in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nicht minder wirksamen postkolonialen Abhängigkeitsverhältnisse auf einem Kontinent, der von seinen früheren Erbeutern bzw. deren inländischen Helfershelfern einst "Lateinamerika" getauft wurde, bereits vorangeschritten ist, zeigte sich beim jüngsten Treffen der 2008 gegründeten "Union Südamerikanischer Nationen" (UNASUR) in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.

Bezeichnenderweise fehlten hier die Regierungschefs der "abtrünnigen" Mitgliedsstaaten Peru und Kolumbien, was die anwesenden jedoch nicht davon abhielt, sich auf eine Boykottankündigung des für den 17. und 18. Mai in Madrid anberaumten EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfels zu verständigen. Einziger Streitpunkt ist Honduras, genauer gesagt die von Spanien, das derzeit noch die Ratspräsidentschaft in der EU innehat, ausgesprochene Einladung an Porfirio Lobo. Als erste haben Brasilien und Argentinien erklärt, an dem Gipfel in Madrid nicht teilzunehmen, sollte Lobo dort anwesend sein. Weitere UNASUR-Mitgliedsstaaten, unter ihnen Uruguay, Bolivien und Venezuela, haben ebenfalls ihre Bereitschaft, diesen Boykott zu unterstützen, erklärt. Auf der Abschlußpressekonferenz des UNASUR-Gipfels am Dienstag in Buenos Aires fand Rafael Correa, der Präsident Ecuadors, deutliche Worte. In seiner Eigenschaft als Präsident UNASURs kündigte Correa an, daß er der Regierung "unseres Freundes" José Luis Rodríguez Zapatero, also dem spanischen Ministerpräsidenten, die Verärgerung der Staaten Südamerikas vermitteln werde. "Wir spüren, daß man uns ignoriert und daß so getan wird, als sei nichts geschehen", erklärte Correa in Hinsicht auf den Sturz Zelayas im Juni vergangenen Jahres.

Sein venezolanischer Amtskollege Hugo Chávez hatte auf der Pressekonferenz klargestellt, daß die UNASUR-Staaten "nicht gerne" an dem Boykott festhalten würden. Die anwesenden Staatschefs hätten sich nach einem "guten Gespräch" über Honduras jedoch darauf verständigt, daß sich "die alten Zeiten der Putsche und Gegenputsche nicht wiederholen dürfen", so Chávez, der den Europäern nahelegte, ihre Politik gegenüber einer Region zu überdenken, die sich aus dem neoliberalen Gefüge löse.

Dies dürfte namentlich der EU extrem schwerfallen, wenn nicht unmöglich sein. Die spanische EU-Ratspräsidentschaft wußte sich denn auch nicht anders zu behelfen, als sich angesichts des kurz bevorstehenden Platzens des alle zwei Jahre stattfindenden Gipfels mit den karibischen und lateinamerikanischen Staaten in Schweigen zu hüllen. Es bleibe bei der Einladung an alle Staatschefs, war aus Madrid zu vernehmen, was angesichts dessen, daß eben dies im Falle Honduras' der Streitpunkt ist, einer Nullaussage gleichkommt und dennoch eine klare Stellungnahme in sich trägt. "Wir brauchen nicht zu verschweigen, daß es mehrheitlich Unmut über diese Entscheidung" (die an Lobo ergangene Einladung nach Madrid) gibt, hatte Ecuadors Präsident Correa am Dienstag noch erklärt. Lobo selbst gibt sich handzahm, indem er erklärte, auf eine Teilnahme verzichten zu wollen, sollte diese zu Problemen führen.

Auf Anfrage der Deutschen Welle (DW-WORLD.de/5.5.2010) ließ das spanische Außenministerium verlauten, daß es keine offizielle Reaktion seitens der spanischen Regierung auf die Kritik aus Südamerika geben werde. Damit hat die EU die Chance verspielt, in ihrem Verhältnis zu den Staaten dieser Region eine Weichenstellung zu tatsächlich kooperativen Beziehungen zu vollziehen, was von diesen mehrheitlich mit Sicherheit als die Inanspruchnahme einer Position verstanden werden wird, die gleichermaßen als neoliberal, imperialistisch oder auch postkolonial zu bezeichnen wäre.

6. Mai 2010