Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1280: Ausnahmezustand in Thailand auch nach gewaltsam beendeten Protesten (SB)


Nach gewaltsamer Zerschlagung der Oppositionsproteste herrscht weiterhin der Notstand

Da Thailand als prowestlich gilt, bleiben internationale Proteste aus


Im Rajprasong-Geschäftsviertel der thailändischen Hauptstadt Bangkok hatten vor wenigen Wochen die Auseinandersetzungen zwischen der Opposition, bei der es sich im wesentlichen um die "Rothemden" genannte Anhängerschaft des 2006 durch einen Militärputsch gestürzten und seitdem im Exil lebenden früheren Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra handelt, und der Regierung des derzeitigen Premiers, Abhisit Vejjajiva, einen gewaltsamen Höhepunkt gefunden. Obwohl noch am Tag zuvor die Anführer der Protestbewegung, die das Geschäftsviertel Wochen zuvor friedlich besetzt hatte, um ihren Forderungen nach einem Rücktritt Abhisits und der baldigen Durchführung von Neuwahlen Nachdruck zu verleihen, der Regierung Verhandlungsbereitschaft signalisiert hatten, gab Abhisit am 19. Mai dem Militär den Befehl, das Geschäftsviertel zu erstürmen und die Oppositionsproteste gewaltsam aufzulösen. Die Europäische Union hatte auf Appelle der Rothemden, in diesem Konflikt zu vermitteln, um eine gewaltsame Eskalation zu verhindern, ablehnend reagiert.

Als die Panzer in Marsch gesetzt waren und somit absehbar wurde, daß das Militär entgegen der zuvor immer und immer wieder von Armeechef General Paojinda gemachten Zusage, er werde seine Soldaten nicht gegen die Oppositionellen marschieren lassen, doch mit Brachialgewalt vorgehen würde, hatten die meisten Anführer der Rothemden kapituliert und sich gefangennehmen lassen. Im weiteren Verlauf kam es zu stundenlangen Kämpfen zwischen Anhängern der Opposition und den Regierungstruppen, bei denen mindestens sechs Menschen, unter ihnen auch ein italienischer Fotograph, getötet und weitere 60 verletzt wurden sowie zahlreiche Gebäude, unter ihnen die Börse, mehrere Banken sowie eine Luxus-Einkaufsmeile, in Flammen aufgingen. Nach neun Stunden teilten die Streitkräfte am Abend mit, sie hätten das belagerte Geschäftsviertel unter ihre Kontrolle gebracht. Die Regierung verhängte ein Ausgehverbot zunächst bis zum nächsten Morgen, das dann jedoch noch auf weitere Nächte ausgeweitet wurde.

Zwei Tage später gab die Stadtverwaltung von Bangkok die Zahl der Getöteten mit 52 und die der Verletzten mit 407 an. Das Militär hatte mit der Durchsuchung des erstürmten Viertels nach versteckten Oppositionellen begonnen und setzte diese Menschenjagd noch weitere Tage fort. Das Europaparlament in Straßburg hatte im Anschluß an die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, zu deren Verhinderung durch die Annahme einer Vermittlerrolle die EU nicht beizutragen gewillt gewesen war, alle Beteiligten zur Mäßigung aufgefordert sowie ein Ende der Gewalt angemahnt. Damit tragen die EU-Staaten zu einer Entwicklung bei, die Ministerpräsident Abhisit als Rückkehr zur Normalität verstanden wissen will. Ihm ist nun augenscheinlich daran gelegen, die (oppositionelle) Bevölkerung vergessen zu machen, daß ihr friedlicher Protest gewaltsam niedergeschlagen und ihre Forderungen nach einem demokratischen Neuanfang ebenso gewaltsam erstickt worden sind.

Regierung und Opposition stehen sich keineswegs auf gleicher Augenhöhe gegenüber. Nicht nur die militärischen, auch die juristischen Machtmittel liegen ausschließlich auf seiten der derzeitigen Regierung, die sich offensichtlich nach den "erfolgreich" niedergeschlagenen Protesten in einer Position der Unangreifbarkeit wähnt. So hat Präsident Abhisit von seiner zwischenzeitlich angedeuteten Bereitschaft, vorzeitige Neuwahlen zuzulassen, längst wieder Abstand genommen. Die Erfüllung dieser von den Oppositionellen erhobenen Forderung hat er nun zum Mittel ihrer Disziplinierung gemacht. In einer Fernsehansprache stellte er wenige Tage nach der gewalttätigen "Befreiung" des Rajprasong-Viertels klar, daß er allein - also nicht etwa das Parlament - über mögliche Neuwahlen entscheiden wird. Solche würde es nur geben können, so der umstrittene Regent, wenn im Land friedliche und wirtschaftlich stabile Verhältnisse herrschten.

Mit anderen Worten: Würde die Oppositionsbewegung, und sei es mit abermals friedlichen Protesten, die aber mit den Vorstellungen Abhisits über friedliche Verhältnisse nicht unbedingt übereinstimmen, ihre Bestrebungen fortsetzen, nähme der Ministerpräsident dies zum Anlaß, ihr die Erfüllung dieser Forderung noch länger vorzuenthalten. Spätestens im Dezember 2011 müssen laut Gesetz Neuwahlen durchgeführt werden. Auf im Grunde unabsehbare Zeit herrschen in Thailand damit quasi-diktatorische Verhältnisse, wurde doch der angesichts der Unruhen in der Hauptstadt verhängte Notstand aufrechterhalten, auch nachdem die Lage aus Sicht der Armee "unter Kontrolle" gebracht worden war. Dies hat schwerwiegende Folgen für das politische Leben, zumal die Rothemden-Bewegung noch immer unter einem massiven Verfolgungsdruck steht und keineswegs als politische Kraft frei agieren und am gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozeß aktiv teilnehmen kann, wie es in einer parlamentarischen Demokratie unabdingbar wäre.

Am 6. Juni hatte Abhisit seine bedingte Zusage zu Neuwahlen, diesmal zum Zeitpunkt Anfang 2011, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters erneuert und davon abhängig gemacht, daß die "Versöhnung" Fortschritte mache und die Opposition "kooperiere". In der vietnamesischen Stadt Saigon, wo der thailändische Premier an einer Veranstaltung des World Economic Forum teilnahm, kündigte Abhisit desweiteren an, daß der Notstand, der dem Militär weitgehende Befugnisse einräumt und die Bürgerrechte einschränkt, weiter in Kraft bleiben wird. Punktum. Kritik aus dem Ausland seitens all jener westlichen Staaten und internationalen Organisationen, die sich, so es ihren tatsächlichen Interessen zweckdienlich ist, gern den Schutz der Menschenrechte auf die Fahnen schreiben und in ihnen genehmen Fällen mit Anschuldigungen und Sanktionen gegen mißliebige Regierungen schnell zur Hand sind, ist nicht zu vernehmen.

Wer es nur wollte, könnte sich schnell Aufschluß über die quasi-diktatorischen Verhältnisse in Thailand verschaffen. Ungeklärt ist beispielsweise das Schicksal der Rothemden, die am 19. Mai bei der Erstürmung des Geschäftsviertels verhaftet wurden. Ihre genaue Zahl sowie die Namen der Betroffenen sind unbekannt. Vermutlich werden sie noch immer in Gefängnissen oder Lagern der Armee festgehalten. Nach Angaben des Justizministeriums soll es sich um rund 300 Inhaftierte handeln. Nach Informationen der "Zeitung für Thailand" [1] befindet sich seit rund zwei Wochen unter ihnen auch Somyot Pruksakasemsuk, der Chefredakteur der verbotenen Zeitung "Red News", der demnach in einem Militärlager in Saraburi festgehalten wird, ohne daß gegen ihn Anklage erhoben wird. Seine Internierung werde damit begründet, daß er Gewalttätigkeiten und Chaos hervorgerufen habe.

Doch nicht nur oppositionelle Zeitungen wurden verboten, auch Fernseh- und Radiostationen, die den Rothemden, also der oppositionellen "Vereinten Front für Demokratie gegen Diktatur" (UDD), nahestehen, wurden abgeschaltet, dementsprechende Internetseiten gesperrt. All dies hat Menschenrechtsorganisationen wie "Human Rights Watch" (HRW) ebenso auf den Plan gerufen wie die gegen die Rothemden durchgeführten Verhaftungswellen. All dies brachte der Regierung Abhisit den Vorwurf ein, die Befugnisse des Ausnahmerechts zur Unterdrückung ihrer politischen Gegner sowie zur Durchführung einer Zensur zu mißbrauchen. Ein Repräsentant von Human Rights Watch, Phil Robertson, beschrieb die von seiner Organisation als "übertrieben" eingestuften Maßnahmen folgendermaßen: "Sie machen alles dicht, was auch nur einen Hauch Rotes an sich hat." [1] Der Ausnahmezustand wurde auf ein Drittel des gesamten Landes ausgeweitet. in ganz Thailand wurde ein gesellschaftliches Klima geschaffen, in dem die Menschen Angst hätten, ihre Meinung laut kundzutun oder schriftlich darzulegen, weshalb Supinya Klangnarong von "Thai Netizen Network" die Zustände mit einer "Hexenjagd" verglich.

Obwohl Ministerpräsident Abhisit von "Versöhnung" spricht, tut seine Regierung unterdessen alles, um eben dies zu verhindern. Nach Angaben des ARD-Studios Südostasien werden kritische Journalisten aus dem In- wie auch aus dem Ausland in ihrer Arbeit massiv von ihr behindert und durch die Polizei kontrolliert. Eine Woche nach der gewaltsamen Niederschlagung der oppositionellen Proteste, bei der insgesamt 86 Menschen getötet worden sind, hatte die parlamentarische Opposition einen Mißtrauensantrag gegen Ministerpräsident Abhisit eingereicht. Wenige Tage zuvor hatte der frühere Premier und politische Kontrahent Abhisits, Thaksin, aus dem Exil zum Dialog aufgerufen. Der amtierenden Regierung schien dies gar nicht gefallen zu haben. Sie beantragte umgehend einen Haftbefehl gegen Thaksin, dem sie zum Vorwurf machte, aus dem Exil heraus die Rothemden zu ihren Protesten angestiftet zu haben. Am 25. Mai erließ ein Gericht in Bangkok den geforderten Haftbefehl gegen Thaksin.

Im Parlament hatte die Beantragung eines Mißtrauensvotums ebenfalls Konsequenzen. Die Puea-Pandin-Partei, die es gewagt hatte, beim Mißtrauensvotum gegen die Regierung zu stimmen, wurde aus der Regierungskoalition ausgeschlossen. Ihre Minister, Industrieminister Charnchai Chairungruang, Telekommunikationsministerin Ranongruk Suwunchwee und Vizefinanzminister Pruttichai Damrongrat, wurden ihrer Ämter enthoben. Die dadurch entstandenen Lücken im Kabinett wurden durch Abgeordnete der von dem General und Putschistenführer Sonthi Boonyaratkalin gebildeten Matubhum Party gefüllt. Diese zeigte sich sofort bereit, die ihr zugedachte Rolle bei dieser Kabinettsumbildung wahrzunehmen, um, wie es hieß, die notwendige politische Stabilität im Lande zu gewährleisten.

Dies allerdings ist die Letztbegründung aller Putschisten und diktatorischen Regime. Die Außerkraftsetzung demokratischer Rechte in Thailand ist den internationalen Medien kaum eine Meldung wert. Ebensowenig hagelt es auf der politischen Bühne Proteste, um von der Forderung nach einer sofortigen Aufhebung des Notstands ganz zu schweigen. Von einer tatsächlichen Versöhnung, die ein offenes Gespräch und politische Verhandlungen mit dem exilierten Thaksin beinhalten müßten, um aus Sicht seiner Anhänger glaubwürdig sein zu können, kann in der aktuellen Situation nicht die Rede sein. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. So warnte Thaksin in seinem Exil vor einer Entwicklung, die in einen Guerillakrieg münden könnte, wenn nicht tatsächliche Schritte zur Beilegung des Konflikts eingeleitet werden. An einer derartigen Radikalisierung der Oppositionellen scheint die Regierung Adhisit durchaus interessiert zu sein, würde ihr dies doch die Verfestigung der militärischen Sicherheitsstruktur ermöglichen und die dauerhafte Etablierung des Notstandsrechts rechtfertigen.

Der Politikwissenschaftler Thitinan Pongðsudhirak äußerte nach den den Demonstranten bei der gewaltsamen Räumung des Geschäftsviertels zugeschriebenen Angriffen auf Banken und Geschäfte die Einschätzung, daß die Rothemden nun das Stadium des bewaffneten Widerstands erreicht hätten. In dieselbe Kerbe schlug auch Sunai Phasuk von Human Rights Watch mit der Befürchtung, daß der Schuß nach hinten losgehen könne [1] und daß es kein Wunder sei, wenn Angehörige der Rothemden, die auf solch ungesetzliche Weise interniert werden, untertauchen und sich radikalisieren würden. Tatsächliche Anhaltspunkte für diese Behauptung gibt es allerdings nicht, und so kann nicht ausgeschlossen werden, daß derartige Stellungnahmen in willfähriger Unterstützung der Regierung Abhisit verbreitet werden, um zur fortgesetzten Rechtfertigung undemokratischer Maßnahmen beizutragen.

Anmerkungen

[1] Gibt es Gerechtigkeit unter Notstandsgesetzen? TIP Zeitung für Thailand, 07.06.2010,
http://www.thailandtip.de/tip-zeitung/nachrichten/news/gibt-es- gerechtigkeit-unter-notstandsgesetzen//back/2/

10. Juni 2010