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DILJA/1322: Der Feind wird doch wohl links stehen - Paketbomben aus Griechenland (SB)


Unklare bis widersprüchliche Lage nach "griechischer" Paketbombenserie

Medien und Politik machen ohne konkrete Ermittlungsergebnisse "Autonome" und "Linksextremisten" verantwortlich


Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war am gestrigen Dienstag zu keinem Zeitpunkt gefährdet durch ein an sie persönlich adressiertes Paket mit brenn- bzw. explosionsfähigem Inhalt, das einen "Sprengstoffalarm im Regierungsviertel in Berlin" [1] auslösen sollte. Nach dapd-Informationen soll eine Warnmeldung eingegangen sein, die zu einer vollständigen Kontrolle der an das Bundeskanzleramt gerichteten Postsendungen geführt habe, was einer Mitteilung aus dem Bundesinnenministerium allerdings nicht zu entnehmen war. Dort wurde der konkrete Ablauf der Ereignisse folgendermaßen geschildert [2]:

Bei der Postkontrolle im Bundeskanzleramt wurde gegen 13.00 Uhr ein verdächtiges Paket festgestellt. Das verdächtige Paket wurde unter Verwendung einer speziellen Technik geöffnet. Nach der ersten Einschätzung der Ermittler handelt es sich dabei um eine sprengfähige Vorrichtung. (...) Das Paket hat nicht nur einen griechischen Absender, sondern es ist - nach allem, was wir bisher wissen - auch tatsächlich von Griechenland nach Deutschland versandt worden, und zwar vor zwei Tagen.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) teilte darüberhinaus mit, daß die "Detailuntersuchungen und Ermittlungen durch das Bundeskriminalamt derzeit andauern" und daß er diesen nicht vorgreifen wolle. Ungeachtet dessen präsentierte die deutsche Bundesregierung zeitnah nicht nur eine Täterzuordnung, sondern mahnte weitreichende Konsequenzen an. Gegenüber der "Passauer Neuen Presse" erklärte die Kanzlerin, die mehrere Stunden nach beendeter Bombenentschärfung aus Brüssel nach Berlin zurückgekehrt war, daß - am besten weltweit - eine verschärfte Kontrolle der Luftfracht nun erforderlich sei [3]:

Dieser Vorfall und auch das Problem, das wir gerade im Bundeskanzleramt mit einem verdächtigen Paket hatten, müssen Anlass sein, die Kontrollen für Frachtgüter innerhalb Europas, mit den Vereinigten Staaten und dann möglichst weltweit besser abzustimmen.

Das verdächtige Paket, das laut Welt online Schwarzpulver enthalten hatte, soll durch eine Zustellerfirma in der Postverteilerstelle des Kanzleramtes abgegeben worden sein, wo es von der Polizei mit einer Wasserkanone beschossen und unschädlich gemacht wurde. Auffällig ist, daß das Paket einen Absender - das griechische Wirtschaftsministerium - aufwies, den es seit der letzten Regierungsumbildung in Athen gar nicht mehr gibt. In Griechenland sind in den letzten beiden Tagen (1./2.11.) über zehn derartige Pakete aufgegeben worden, weshalb in den Medien bereits von einer Anschlagsserie die Rede ist. Die "Zeit" wußte unterdessen zu berichten, daß die Bundesregierung das an die Kanzlerin adressierte Paket der griechischen Gruppe "Verschwörung der Zellen des Feuers" und damit einer Organisation, die seit 2008 für zahlreiche Sprengstoffanschläge verantwortlich gemacht wird, zugeschrieben hätte, zitiert jedoch, ohne den darin liegenden Widerspruch zu thematisieren, Bundesinnenminister Thomas de Maizière dahingehend, daß bisher keine Aktivitäten dieser Gruppe im Ausland bekannt und ermittelt wurden.

Dies macht die allzu schnelle Täterzuordnung nicht eben plausibler, zumal nach derzeitigem Kenntnisstand kein Bekennerschreiben der von griechischen wie auch deutschen Stellen unter Tatverdacht gestellten Gruppierung vorliegt. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte noch am Tag des auf Bundeskanzlerin Merkel gerichteten Anschlagsversuchs einen Text unter dem Titel "Der Bombenterror griechischer Autonomer" [4], der zwar auch keinen Aufschluß darüber geben kann, anhand welcher Tatsachen oder Spuren die Täterzuordnung vorgenommen wurde, jedoch in allgemein gehaltenen Sätzen darlegt, daß "radikale griechische Autonome mit Mord und Bombenterror" seit Monaten Angst und Schrecken (in Griechenland) verbreiten würden, wofür als Auslöser der Tod eines 15jährigen durch eine Polizeikugel in Athen im Dezember 2008 angeführt wurde.

Dann folgt mit dem Satz "Auch der jüngste Fund eines verdächtigen Päckchens im Berliner Bundeskanzleramt könnte auf griechische Extremisten zurückzuführen sein" eine bloße Spekulation, die im unmittelbaren Anschluß daran inhaltlich mit der von den Autonomen kritisierten Finanzpolitik sowohl der griechischen Regierung wie auch der Europäischen Union verknüpft wird. Die griechischen Autonomen, angeführt werden vier Namen, schrecken diesem Bericht zufolge vor keiner Gewalttat zurück, um ihr vermeintliches Ziel, nämlich "den Sturz des Systems durch Terror und Chaos" [4] zu erreichen. Dies führt allerdings zu dem Problem, daß diese Gruppen oder auch nur eine von ihnen, nämlich die "Konspiration der Zellen des Feuers", die in die engste Wahl genommen wurde, die Paketbombenserie, so sie denn tatsächlich für sie verantwortlich sind, auf eine Weise durchgeführt haben, die erkennen läßt, daß sie Verletzungen oder gar den Tod von Menschen oder auch größeren Sachschaden vermeiden wollten.

Bereits am Montag sollen nun in Athen zwei Verdächtige verhaftet worden sein. Sie gelten als Terrorverdächtige, was nach griechischem Recht zur Folge hat, daß der Schutz ihrer Persönlichkeit entfällt, weshalb ihre Namen und familiären Verhältnisse in der griechischen Presse bereits veröffentlicht wurden. Sie verweigern die Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz. Laut Spiegel [3] sollen bei den beiden 22- bzw. 24jährigen Männern zwei Paketbomben, eine von ihnen an den französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy adressiert, gefunden worden sein, angeblich sollen beide Pistolen bei sich gehabt haben. Nach offizieller Lesart besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem "Bombenfund" im Bundeskanzleramt und den übrigen, in den vergangenen Tagen in Griechenland aufgefundenen, zum Teil von der Polizei oder den Zustelldiensten entschärften Paketbomben, nicht jedoch zu den Bombenfunden, die am vergangenen Freitag aus dem Jemen stammend in Flugzeugen entdeckt wurden.

Gefahndet wird in Griechenland nach weiteren fünf Männern, die dem "linksextremen Milieu" zugeordnet werden (Spiegel). Daß es sich ungeachtet der Festnahme zweier Verdächtiger am Montag um eine Vermutung griechischer Ermittler handelt, daß "hinter den Attacken auf ausländische Botschaften in Athen und Regierungschefs im Ausland linksextremistische Terroristen" stecken, die "sich gegen die harten Sparpläne Griechenlands wenden" [3], könnte seinerseits ein erster Hinweis auf die zu so einem so frühen Zeitpunkt der Ermittlungen keineswegs auszuschließende Möglichkeit sein, daß die Paketbomben von gänzlich anderen und unbekannten Tätern bzw. Tätergruppen verschickt wurden, um die griechischen Linken mehr noch als bisher in Verruf zu bringen. Ein denkbares Motiv könnte in einem derart gelagerten Szenario die Absicht sein, den von der griechischen Bevölkerung getragenen Protest gegen den der Athener Regierung von Brüssel aus aufgezwungenen Sparkurs zu diskreditieren und zu kriminalisieren, was aus gesamteuropäischer Sicht ordnungspolitisch sinnvoll sein könnte, da die Sparkurs-Proteste sich längst nicht mehr auf diesen EU-Staat beschränken.

Anmerkungen

[1] Terrorismus - Paketbombe für Merkel kam aus Griechenland. Zeit online, 3.11.2010,
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-11/kanzleramt-paket-sprengstoff

[2] Statement Bundesinnenminister de Maizière zu Erkenntnissen einer verdächtigen Postsendung im Bundeskanzleramt und damit im Zusammenhang stehenden Ereignissen in Griechenland, 02.11.2010,
http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2010/11/statement.html

[3] Paketbomben - Griechen fahnden nach fünf Verdächtigen, Spiegel, 03.11.2010,
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,726938,00.html

[4] Der Bombenterror griechischer Autonomer, Süddeutsche Zeitung, 02.11.2010,
http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1062666

3. November 2010